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Der amerikanische Künstler Jeff Koons hält die Sexualität und die Kindheit für seine zwei Hauptleidenschaften, berichtet von der Entwicklung seiner Kunst und von der Zeit als Investmentfondshändler an der New Yorker Wall Street.
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"Wiener Zeitung": Herr Koons, Ihre Kunst erinnert an einen riesigen Kindergeburtstag . . .Jeff Koons: Moment, ich muss eine Nachricht auf meinem iPhone schreiben, mein kleiner Sohn hat sich verletzt.
Was ist passiert?
Er ist gegen eine Tür gerannt und muss mit ein paar Stichen genäht werden. Zum Glück nicht so schlimm. Wie war die Frage?
Sie sind bekannt für bunte Hunde, Blumen und Herzen, die wie überdimensionale Ballonfiguren für Kinder aussehen. Was ist so faszinierend an Ballons?
Zuerst habe ich einfach aufblasbare Tiere gekauft. Ich habe sie als Ready Mades, also so wie sie sind, auf Spiegel gesetzt und geschaut, wie das wirkt. Mir gefällt, dass Ballons ein Symbol für Vergänglichkeit sind. Wir machen einen Atemzug, lassen Luft in uns hinein wie in Ballons. Wir atmen aus, lassen die Luft wieder raus, das ist eine Vorahnung des Todes. Das ist das eine. Das andere war, die Ballons mittels Edelstahl in etwas Festes, Hartes, Unverrückbares zu verwandeln. Das hat den interessanten Aspekt, dass der Betrachter sich seiner selbst und seines Lebens wieder sicher fühlt. Warum das?
Weil wir daran gewöhnt sind, dass eine Dichte in uns ist, Blut, Eingeweide, Gehirn, Muskeln, Knochen. Und dass die Außenwelt leer ist, aus Luft besteht, immer weiter geht. Bei etwas Aufblasbarem ist es ja genau umgekehrt: Es fühlt sich leer an, die Luft ist innen, das Äußere ist fest.
Wie kommen Sie auf Formen wie einen dreieinhalb Meter hohen pinkfarbenen Ballonschwan?
Ich habe einmal in Los Angeles einen Straßenkünstler gesehen, der aus Modellierballons einen Schwan machte. Da dachte ich: Wow, das ist muss ich machen! Es hat von der Form etwas Weibliches und etwas Männliches, und es ist so unglaublich sexuell.
A propos Sex. In Ihrer Ausstellung in Basel sind Ihre bekanntesten Werke zu sehen, die Staubsauger in Vitrinen oder der Michael Jackson aus Porzellan. Vermisst habe ich die Fotos und Figuren, die Sie beim Sex mit Ihrer Ex-Frau zeigen.
Auch viele andere meiner Werke haben etwas Sexuelles. Wie eben der Schwan, der eine enorme sexuelle Harmonie ausstrahlt.
Nicht zu vergessen der rosarote Panther aus Porzellan, der eine halbnackte Frau umarmt. Für Sie "ein Symbol der Masturbation".
Ich glaube auf fast schon religiöse Weise an Sexualität, daran, dass man sie begeistert annehmen muss. So vermehren wir uns, so ermöglichen wir die Fortsetzung unsere Gene und unserer DNA, so setzen wir das Leben fort.
Ihre Ex-Frau, die Sie in der Serie "Made in Heaven" verewigt haben, ist die italienische Politikerin und Pornodarstellerin Cicciolina. Würden Sie auch die Pornobilder, die man heute massenweise im Internet sieht, inspirieren?
Meine Frau habe ich das erste Mal im Magazin "Stern" gesehen. Ein Foto zeigte sie, als sie zu einer Party im Haus des italienischen Ministerpräsidenten Andreotti ging. Sie hatte ein durchsichtiges Netzkleid an, das hat mich fasziniert. Es war so anders als all das, was ich aus den Männermagazinen kannte, mit denen ich aufgewachsen war. Ich beschloss, diese Frau kennenzulernen. Die Pornographie aus dem Internet sehe ich mir nicht an, damit kann ich nichts anfangen.
Neben dem Sex, sagt der Kunsthistoriker Robert Rosenblum, handelt Ihr Werk von Ihrer zweiten Hauptleidenschaft: der Kindheit. Wie war Ihre Kindheit in der Stadt York in Pennsylvania?
Oh, ich liebte meine Kindheit. Meine Eltern haben für mich und meine Schwester ein anregendes Umfeld geschaffen. Meine Familie hatte einen Bauernhof auf dem Land, die alte Pferdefarm meines Opas, da waren wir oft an den Wochenenden. Ich wurde von meinen Eltern dazu angehalten, selbständig zu denken und meine Interessen wahrzunehmen. Und mein Interesse war nun einmal die Kunst.
Sie haben einmal gesagt: "Ich wurde darauf vorbereitet, Künstler zu sein."
Mein Vater hat mich sehr gefördert. Er hatte einen Möbelladen und arbeitete als Raumgestalter. Er hat immer kleine Zeichnungen von mir aufgehängt, weil er sie toll fand, er war der Erste, der meine Sachen ausgestellt hat. Das mag vielleicht etwas peinlich sein, aber er hat mir einen Sinn dafür gegeben, dass das, was ich mache, Zukunft hat.
Was hat Ihr Vater ausgestattet?
Er hat Häuser eingerichtet und manchmal Büros. Ich habe oft an den Wochenenden für ihn gearbeitet. Ich habe Tische, Stühle und Lampen aufgestellt, Stoffe und Vorhänge arrangiert. Von meinem Vater habe ich gelernt, wie Farben funktionieren, wie sie die Wahrnehmung beeinflussen. Und alles, was mit Statik zu tun hat, weiß ich von ihm.
Und Ihre Mutter?
Sie war Hausfrau, ihr Vater war Politiker, bei den Demokraten. Er war der Schatzmeister von New York. Ich habe bei ihm mitbekommen, wie man im Gemeinwesen interagiert und Wirkung erzielt.
Wie wurde Ihr Berufswunsch Künstler aufgenommen?
Die Leute runzelten die Stirn über Kunst. Damals galt das ja nicht als Beruf, höchstens als Interesse. Die Chance, Kunst zu machen, ohne eine andere Art der Unterstützung zu benötigen, war sehr gering.
Heute sind Sie einer der teuersten lebenden Künstler. 2008 wurde "Balloon Flower" für 25 Millionen Dollar verkauft.
Mir geht es nicht um Geld. Ich möchte, dass meine Kunst etwas bewirkt.
In Deutschland sind Sie eine Marke. Der Schriftsteller Rainald Goetz benannte ein Stück nach Ihnen, der Maler Martin Kippenberger wollte ein Porträt von Ihnen, Titel "Jeff Koons Thinks Martin Kippenberger is Great, Tremendous, Fabulous, Everything!"
Martin hat mich einmal gebeten, ein Poster für eine seiner Ausstellungen zu machen. Ich genoss es, mit ihm befreundet zu sein. Ich habe eindrückliche Erinnerungen an ihn, ich liebte seine Arbeit und seine Gesellschaft, Martin war ein großer Künstler.
Kippenberger feierte oft Nächte lang und tanzte auch mit heruntergelassenen Hosen auf den Tischen. Konnten Sie da mithalten?
Als junger Künstler habe ich mich natürlich mitten hinein gestürzt, ob in Köln, in New York oder Athen. Ich erinnere mich noch gut an das Pink Champagne, das war eine Bar in Köln. Martin hat mich und die anderen Künstler immer dorthin mitgenommen. Wissen Sie, es gab mal eine Begegnung zwischen Andy Warhol und Joseph Beuys. Warhol hat Beuys fotografiert, ein interessantes Zusammentreffen, trotz ihrer gegensätzlichen Ansichten von Kunst. Ich hatte das Gefühl, dass Martin und ich eine zeitgenössische Form dieser Warhol-Beuys-Situation lebten. Und ich glaube, Martin hat das auch so gesehen.
Weggefährten nannten den früh verstorbenen Kippenberger eine "Kerze, die an beiden Seiten brannte". Sie hingegen sind sehr diszipliniert, oder?
Ich war und bin sehr diszipliniert, auch wenn ich es genossen habe, mitzumachen, mich unter die Leute zu mischen. Aber es stimmt: Ich stand immer im Dienst meiner Arbeit oder meiner Familie.
An Ihren Ballonfiguren arbeiten Sie Jahre lang. Was ist so schwierig daran?
Nehmen wir den Schwan, den habe ich 2001 begonnen, und ich habe mehr als ein Jahrzehnt daran gearbeitet. Ich habe die Form erst einmal gescannt, dann angefangen, mit dem Computer daran zu arbeiten. Das Mühsamste war, die Menge an Scan-Daten zu verarbeiten, dazu kam die Unvollständigkeit der Daten. Das hat Jahre gebraucht, ich wollte ja den größtmöglichen Realismus. Heute könnte ich das viel schneller, ich würde das Ganze einfach röntgen, dann hätte ich auch die Daten aus dem Inneren.
Sie arbeiten mit Röntgenbildern?
Naja, ich mache Scans im Computertomographen. In verschiedenen Einrichtungen in den USA oder in Deutschland. Die Datenverarbeitung, das Reverse Engineering - diese Dinge nehmen unheimlich viel Zeit in Anspruch. Die eigentliche Fabrikation, das Gießen in Stahl, das Fräsen, ist das Kürzeste von allen, das hat vielleicht 18 Monate gebraucht.
In New York arbeiten hundert Assistenten für Sie. Ist das so eine Art Warhol’sche Factory?
Ich habe Ideen für meine Arbeit und ich habe Leute um mich, die mir helfen, diese Ideen zu verwirklichen. Es gibt Leute, die sich mit dem Zweidimensionalen beschäftigen, und welche, die Ideen am Computer verarbeiten, sich um den Maßstab kümmern, die Form in ihrer Dreidimensionalität sehen. Aber ich bin der Ideengeber, ich überblicke jeden Aspekt und bin für jedes einzelne Detail verantwortlich.
Brauchen Sie dafür spezielle Techniker, Ingenieure?
Fast keiner meiner Mitarbeiter ist nur Techniker, auch wenn ich dafür offen wäre. Alle haben einen künstlerischen Hintergrund, den es wahrscheinlich auch braucht für die speziellen Anforderungen.
Sie sagten einmal, in Ihrem Werk gebe es keine Ironie. Was ist so schlimm an Ironie?
Ich glaube schon, dass Ironie in meinem Werk ist. Für mich bedeutet Ironie, dass etwas verschiedene Bedeutungen haben kann. Mein Hase kann ein Symbol für Ostern sein, für ein Playboy Bunny oder für einen Politiker. Viele Leute, die das Wort Ironie hören, verbinden damit allerdings, dass man sich über etwas lustig macht, sarkastisch ist. Das ist eine Entwertung, und davon halte ich nichts.
In meinem Bad sehe ich täglich ein Kunstwerk von Ihnen, die von Ihnen gestaltete Kiehl’s "Creme de Corps Jeff Koons". Entwertet das Kunst nicht, wenn sie Kosmetikartikel ziert?
In diesem Fall nicht. Ich habe ein paar Produkte für diese Firma gemacht, weil sie philanthropisch tätig ist. Ein Teil des Umsatzes, eine Viertelmillion Dollar oder so, geht an das Jeff Koons Family Institute. Das ist ein Teil des "International Centre for Missing and Exploited Children" und setzt sich für Kinderrechte ein, zum Beispiel, wenn es um internationale Kindesentführungen geht.
Sie sind ein prominentes Beispiel. 1994 brachte Ihre Ex-Frau Ihren gemeinsamen Sohn nach Italien, obwohl Sie das Sorgerecht hatten. Sie kämpften lange darum, ihn sehen zu dürfen.
Leider sind wir bis heute nicht in der Lage, viel Zeit zusammen zu verbringen. Mein Sohn wurde mir regelrecht entfremdet und hat wenig Verständnis für mich.
Sie sagten, Sie hätten damals riesige Ballonfiguren gemacht, um mit ihrem Sohn in Kontakt zu treten.
In den Jahren, als ich den Sorgerechtsstreit hatte, arbeitete ich an meiner Serie "Celebration". Ich wollte nicht den Glauben an das Gute im Menschen verlieren, und das gelang mir durch die Kunst. Bei vielen Objekten und Bildern hatte ich zudem das Gefühl: Wenn mein Sohn Ludwig älter ist und das sieht, dann weiß er, dass ich an ihn gedacht habe. Die gegenständliche Kunst, die ich machte, hatte für ihn dieselbe Bedeutung wie für mich. Mein Sohn sollte einen Ballonhund sehen, der ihm gefällt. Aber auch die Kraft, die davon ausgeht, denn da stand plötzlich ein riesiger Hund in der Landschaft, fast wie ein trojanisches Pferd.
Mit Ihrer jetzigen Frau haben Sie vier Söhne. Welche Rolle spielt Kunst in Ihrer Familie?
Meine Frau ist zwar auch Künstlerin, aber wir wollen den Kindern sagen: Kunst ist viel größer als eure Eltern. Ich will nur Dad sein, nicht Dad, der Künstler. Und meine Frau will eine Mom sein. Aber wir leben mit den Arbeiten anderer, deswegen sammle ich Kunst.
Schenken Sie Ihren Söhnen Kunst wie der Verleger und Sammler Benedikt Taschen? Seine Kinder kriegen zum Geburtstag keine Barbies, sondern etwa Werke von Ihnen.Wow! Aber: Um Gottes Willen, nein! Alles, was ich mit unserer Sammlung bezwecke, ist, dass unsere Kinder mitbekommen, wie erhaben und kraftvoll Kunst sein kann.
Was sammeln Sie?
Alle Epochen. Wir haben Stücke aus der Antike und aus dem Mittelalter, Gemälde aus dem Barock und aus dem 19. Jahrhundert. Wir sind nur wählerisch, was unseren Geschmack angeht, nicht, was die Zeit betrifft.
Würden Sie auch Damien Hirst kaufen, der als maßlos überbewertet gilt?
Sicher, wir haben sogar mehrere Arbeiten von Damien.
Sie selbst wissen am besten, wie der Markt funktioniert. In den 80er Jahren haben Sie als Broker an der Wallstreet gearbeitet.
Ich habe mit Investmentfonds begonnen, ich bin von Tür zu Tür gelaufen und habe diese Fonds verkauft. Dann wurde ich Rohstoffmakler, ich habe zum Beispiel Termingeschäfte mit Baumwolle gemacht.
Der Maler Julian Schnabel sagte, Sie hätten immer mehr wie ein Broker als ein Künstler gewirkt.
Ich war immer ein Künstler. Investmentfonds zu verkaufen, war einfach eine Form, mich zu finanzieren. Als Broker kann man ja so viel Geld verdienen, wie man will. Begonnen hat das alles, als ich für das Museum of Modern Art in New York jobbte. Ich sollte Mitglieder dazu bringen, ihre Beiträge zu erhöhen. Einige von ihnen kamen dann auf mich zu und fragten mich, ob ich nicht auch für sie arbeiten will. So begann ich, für Firmen an der Wallstreet zu arbeiten.
Gefiel Ihnen die Wall Street?
Überhaupt nicht. Der Druck war furchtbar, und die Tatsache, dass man an der Börse nichts unter Kontrolle hat. In der Kunst kann ich meine Arbeit steuern, ich kann meine emotionale Verfasstheit direkt in Aktivitäten umsetzen. Der Markt hingegen ist heute oben, morgen unten, und du hast absolut keinen Einfluss darauf. Das ist total unpraktisch und unvorhersehbar. Da ziehe ich den Anstand der Kunstwelt vor.
Verena Mayer, geboren in Wien, Journalistin und Autorin, lebt nach zehn Jahren in Berlin in Zürich.
Zur Person<br style="font-weight: bold;" /> <br style="font-weight: bold;" /> Jeff Koons wurde 1955 in York im Bundesstaat Pennsylvania geboren. Von 1972 bis 1976 studierte er Kunst und Design am Maryland Institute College of Art in Baltimore. Zwischen 1977 und 1979 entwickelte er seine erste Werkgruppe, bestehend aus kombinierten Readymades, in denen aufblasbare Figuren auf und vor Spiegeln platziert sind. Koons arbeitete in dieser Zeit auch als Broker an der Wall Street.
1988 stellte Koons’ Serie "Banality" die Kritik vor Rätsel. 1991 heiratete der Künstler Ilona Staller alias Cicciolina. Die Arbeiten, die ihn beim Liebesakt mit seiner Frau zeigen, wurden von der Kritik zum Großteil verrissen.
Durch seinen kleinen Sohn Ludwig Maximilian inspiriert, entwickelt er 1993 die umfangreiche Serie "Celebration", die aus farbigen Chromstahl- und Polyäthylenskulpturen und Gemälden besteht. Koons trennte sich von Ilona Staller und ein langer Kampf um das Sorgerecht für den Sohn entbrannte.
2002 heiratete er Justine Wheeler, 2004 wurde sein Werk in New York, Oslo und Helsinki mit Retrospektiven geehrt, 2008 begann die Arbeit an der neuen Werkgruppe "Antiquity".
In der Fondation Beyeler in Basel ist noch bis zum 2. September 2012 Koons’ erste museale Ausstellung in der Schweiz zu sehen; und vom 20. 6. bis 23. 9. 2012 wird in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main, eine Koons-Ausstellung gezeigt.
Website Jeff Koons