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Jelzin reiste vorzeitig aus Istanbul ab

Von Peter Bochskanl/Istanbul

Politik

Istanbul · Noch vor der erzielten Einigung über die Europäische Sicherheitscharta, die heute unterzeichnet werden soll, verließ der russische Präsident Boris Jelzin Donnerstag nach | westlicher Kritik am Tschetschenien-Krieg vorzeitig den OSZE-Gipfel in Istanbul. Jelzin hatte vorher bereits eine Begegnung mit dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem französischen | Staatspräsidenten Jacques Chirac nach wenigen Minuten verlassen.


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Jelzin übertrug die Leitung der russischen Delegation Außenminister Igor Iwanow und reiste vorzeitig aus Istanbul ab.

Der Donnerstag in Istanbul eröffnete zweitägige Gipfel der OSZE stand gleich ab Beginn vor der Hürde des Tschetschenien-Kriegs. Österreich ist auf dem Gipfel durch Bundespräsident Thomas Klestil und

Außenminister Wolfgang Schüssel vertreten.

Nachdem in der Nacht zuvor die EM-Qualifikation der Türkei durch das 0:0-Ergebnis gegen Irland in der ganzen Stadt mit lautstarken Hupkonzerten gefeiert worden war, begann Punkt 9 Uhr der

Einzug der bis auf den verhinderten britischen Premier Tony Blair vollständig erschienenen Staats- und Regierungschefs.

Gleich zum dann pünktlichen Beginn sprach UNO-Generalsekretär Kofi Annan den Tschetschenien-Konflikt an: Bei aller Respektierung der Integrität von Staaten sollte notwendige Anwendung von Gewalt mit

Augenmaß erfolgen; man könne Terrorismus nicht mit terroristischen Methoden bekämpfen.

Bald nach ihm argumentierte der russische Präsident Boris Jelzin wie erwartet: "Sie haben kein Recht Russland zu kritisieren"; mit Banditen, die "zu beseitigen sind", werde nicht verhandelt;

man dürfe nicht mit dem Hinweis auf die Menschenrechte in die internen Angelegenheiten eines souveränen Staates eingreifen.

Nachdem EU-Kommissionspräsident Romano Prodi gebeten hatte, "die Botschafterfreunde zu hören", appellierte der Deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder eindringlich an Russland, den Konflikt mit

friedlichen Mitteln zu lösen.

US-Präsident Bill Clinton unterstrich seine Forderung, die Russen sollten den Zyklus der Gewalt unterbrechen, mit dem sehr persönlichen Hinweis, er habe Jelzin bewundert, als dieser den

demokratischen Weg Russlands schutzlos und mutig auf einem Panzer verteidigt habe.

Ob dies allerdings bei Jelzin in die richtige Kehle gekommen ist, bezweifeln jene, die ihn bei dieser Stelle der Clinton-Rede abrupt die Kopfhörer abnehmen sahen.

Bundespräsident Klestil, der am Nachmittag den Gipfel präsidierte, weil Österreich im nächsten Jahr den OSZE-Vorsitz hat, erklärte in seiner Rede zu Tschetschenien: "Nationalismus und

Intoleranz, Vorenthaltung demokratischer Grundrechte, ungelösten Minderheitenfragen, grenzüberschreitende Kriminalität und Terrorismus, wachsende soziale Ungleichheit, und Gefährdung unserer

natürlichen Lebensgrundlagen, bedrohen die Stabilität und Sicherheit in der OSZE-Region. Jüngstes und dramatischstes Beispiel dafür sind die blutigen Auseinandersetzungen im nördlichen Kaukasus, vor

allem in Tschetschenien, wo · bei allem Respekt vor den Prinzipien der territorialen Integrität und Souveränität · die internationale Gemeinschaft gefordert ist · angesichts der weitreichenden

humanitären und sicherheitspolitischen Aspekte dieses Konfliktes, ich verweise auf die diesbezügliche EU-Erklärung, zu der wir uns voll bekennen." Der EU-Rat verurteilt die unverhältnismäßigen

Maßnahmen und die Anwendung von Gewalt in Tschetschenien und ruft die Konfliktparteien auf, die Menschenrechte zu respektieren.

Außenminister Schüssel erklärte vor österreichischen Journalisten, er erachte es für das Wichtigste, dass die OSZE wieder in den Tschetschenien-Konflikt eingeschaltet werde. Er bewertet es als

positives Zeichen, dass Jelzin und die russische Delegation ein halbes Jahr nach dem Ende des Kosovo-Kriegs und Vorwahlen in Russland am Gipfel teilnehmen. Man müsse behutsam vorgehen.

Die hektischen Verhandlungen, die laufend abseits des Plenums stattfinden, werden entscheiden, wie stark oder schwach das Schlussdokument am Freitag ausfällt und ob und welche Verträge unterzeichnet

werden. Es geht dabei um den adaptierten Vertrag "Konventinelle Streitkräfte in Europa" (KSE), der nun für alle OSZE-Mitglieder, auch Österreich, zum Beitritt offensteht; ein erweitertes Wiener

Dokument über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen; und die Sicherheitcharta Europa, die u. a. die Schaffung eines rasch einsetzbaren Krisen-Reaktionsteams der OSZE vorsieht. Laut Schüssel

werde es Österreichs Ziel im kommenden Jahr des OSZE-Vorsitzes sein, dieses Charta "zu operationalisieren". Österreich werde dem OSZE-Rat am 13. Jänner sein Programm vorlegen und das Ministertreffen

der OSZE im November nach Wien einladen.

Die auf dem OSZE-Gipfel in Istanbul geplante Verabschiedung einer europäischen Sicherheitscharta ist verschoben worden. Das teilte der Vorsitzende der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit

in Europa (OSZE), der norwegische Außenminister Knut Vollebaek, am Donnerstag zum Auftakt des Treffens mit.

Am Nachmittag fand unter dem Vorsitz von Hillary Clinton eine Konferenz gegen Menschen- und Frauenhandel statt, an der auch die Gattin des österreichischen Bundespräsidenten, Margot Löffler-Klestil

teilnahm.