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Jemand muss den Job auch machen

Von Martyna Czarnowska

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Die Autobahnen in Polen bauen sich nicht von selbst - doch der Baubranche fehlen 300.000 Menschen. | Der Grenzübertritt ist eine Reise in die Dunkelheit. Der Übergang bei Korczowa, am südöstlichen Zipfel Polens ist in der Nacht hell erleuchtet. Kurz davor geht die Straße sogar auf sechs Spuren auseinander. Das moderne Zollgebäude hat die EU mitfinanziert.


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Hinter Korczowa aber beginnt die Ukraine. Die sechs Spuren schrumpfen auf enge zwei zusammen: Eine holprige Straße führt nach Lemberg, in die Hauptstadt der Region. Keine Straßenlaternen beleuchten die Dörfer am Weg, nur aus den Häusern dringen zaghaft Lichtstrahlen nach draußen - wenn nicht gerade der Strom abgeschaltet ist.

Doch all das ist fünf Jahre her. Viel hat sich seither verändert. Und die Zukunft schaut noch lichter aus, dem Fußball sei Dank. Immerhin sollen Polen und die Ukraine die Europameisterschaft 2012 austragen. Beide Länder sehen sich schon jetzt von Autobahnen durchzogen, mit Hochleistungs-Eisenbahnstrecken verbunden.

Von einem "fußballerischen Marshall-Plan" schrieb gar die polnische Zeitschrift "Polityka". Von der von US-Staatssekretär George Marshall initiierten Finanzhilfe für das nach dem Zweiten Weltkrieg in Ruinen liegende Europa hat der Osten des Kontinents nicht profitieren können, auf Geheiß der Sowjetunion. Erst nach 1989 und mit der Annäherung an die Europäische Union bekamen die Länder die Chance, zu Westeuropa aufzuschließen.

Die erste Phase des modernen Marshall-Plans markierte für Polen der Nato- und EU-Beitritt, eine nächste könnte die EM abschließen. Der Ukraine wiederum könnte das Ereignis neue Motivation geben: Dem zwischen EU-Anhängern und Befürwortern einer größeren Annäherung an Russland zerrissenen Land könnte dabei geholfen werden, seinen Platz in Europa zu finden.

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Doch jenseits der hehren Überlegungen gilt es auch, praktische Hindernisse auf dem Weg zu einer gelungenen EM zu überwinden. Da wären etwa all die Stadions, Hotels und Autobahnen zu bauen. Für Polen könnte das Investitionen in Höhe von bis zu 24 Milliarden Euro bedeuten. Allein für den Straßenbau könnte es aus EU-Fonds 20 Milliarden Euro bekommen. Mindestens 650 Kilometer Autobahn sollen entstehen - zehn Mal mehr als bisher. In fünf Jahren soll es etwas geben, was in den letzten 18 noch keine Regierung zustande gebracht hat: eine effiziente Infrastruktur. Wie hochgesteckt die Ziele für polnische Verhältnisse sind, zeigt sich an den bisherigen Plänen für den Autobahnbau. Heuer: ganze sieben Kilometer.

Zu einem der größten Probleme könnte aber der Arbeitskräftemangel werden. Selbst wenn genug Geld zur Verfügung stünde - von Investoren, aus EU-Töpfen, nationalen und regionalen Mitteln -, selbst wenn die Pläne zum Straßenbau mit den europäischen Umweltschutzstandards konform wären, selbst wenn rechtzeitig mit allem begonnen würde - jemand muss die Arbeit machen. Doch schon heute bräuchte allein die Baubranche drei Mal mehr qualifizierte Arbeiter als sie hat; ihr fehlen bis zu 300.000 Menschen.

Die Arbeitslosenrate in Polen liegt bei 16 Prozent. Doch die Menschen dort verdienen im Schnitt vier Mal weniger als in Westeuropa. Laut Schätzungen arbeiten bis zu zwei Millionen Polen im Ausland. Allein in England leben mehr als eine halbe Million, an die 300.000 Polen sind es in Irland. Und an dem Exodus wird sich nicht viel ändern, solange die Löhne im eigenen Land nicht deutlich steigen.

Parallel drängt die Wirtschaft auf die Öffnung des polnischen Arbeitsmarkts - auch nach Asien hin. Das Arbeitsministerium führte bereits Gespräche mit den Botschaftern Indiens und Chinas über die Beschäftigungsmöglichkeiten von Arbeitern aus dem Fernen Osten. Denn die aus dem näheren werden jetzt schon rar.

Tausende Ukrainer arbeiten - meist schwarz - auf den polnischen Obst- und Gemüseplantagen oder als Haushaltshilfen. Doch auch sie sehen sich schon nach noch besser bezahlten Jobs in Westeuropa um. Und: Auch die Ukraine selbst wird bald mehr Arbeiter brauchen. Auch sie muss Stadions, Hotels und Autobahnen bauen.