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Jemenitischer Alptraum

Von Michael Schmölzer

Politik

Arabischer Frühling mündete direkt ins Chaos. Al-Kaida und schiitische Rebellen bekämpfen einander - hunderte Tote.


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Sanaa/Wien. Im Jemen tobt seit mehreren Wochen ein unerbittlicher, an mehreren Fronten geführter Krieg - und kaum jemand nimmt Notiz davon. Die neuen Zeiten, die nach dem Sturz des autoritären Machthabers Ali Abdullah Saleh 2012 anbrechen sollten, entpuppten sich als Alptraum für die Bevölkerung. Al-Kaida und schiitische Rebellen bekämpfen einander, die Zentralregierung versucht vergebens, den Jemen mit der Armee unter Kontrolle zu halten: Das Land an der Südspitze der Arabischen Halbinsel ist bereits zerbrochen.

Das Chaos ist perfekt, seit die schiitischen Houthi-Rebellen von Norden kommend neben der Hauptstadt Sanaa auch die strategisch wichtige Hafenmetropole Hudeida eingenommen haben. Die Rebellen, die seit zehn Jahren gegen die Zentralregierung kämpfen, verlangen von Präsident Abd Rabbo Mansour die Unabhängigkeit ihrer Stammesgebiete und gleichzeitig mehr Mitsprache in der Zentralregierung. Den Rücktritt des Premiers haben sie bereits erzwungen, der neu eingesetzte Regierungschef Khaled Mahfus Baha stößt auch nicht auf Zustimmung. Gestützt werden die Rebellen vom Iran, der so auf der Arabischen Halbinsel seinen Einfluss ausbauen will.

Islamisten-Kalifat

Dazu kommt, dass die Al-Kaida im Jemen beängstigende Erfolge feiert: Im Süden kontrolliert sie weite Gebiete, zuletzt nahmen die Terroristen die Stadt Mudaichira westlich der Provinzhauptstadt Ibb ein. Immer wieder werden Soldaten entführt und erschossen. Die USA stufen den jemenitischen Ableger der Al-Kaida längst als den gefährlichsten im arabischen Raum ein, er ist im Land fest verwurzelt und wird von Washington mit Drohnen nicht wirklich in Schach gehalten. Jetzt bekämpfen einander die vorrückenden Houthi-Rebellen und die expandierende Al-Kaida bis aufs Blut. Ein Selbstmordattentäter sprengte sich in der vergangen Woche bei einer Houthi-Versammlung in die Luft und riss 50 Personen mit in den Tod, gestern kamen 33 Menschen ums Leben, als eine Bombe im Haus eines Behördenvertreters explodierte.

Neue Bündnisse

Mittlerweile haben sich sunnitische Stammeskämpfer mit der Al-Kaida verbündet, sie gehen gemeinsam gegen die Houthi-Rebellen vor. Es toben Kämpfe an verschiedenen Orten, die bereits hunderte Tote gefordert haben. Die wenigen funktionierenden Spitäler, die es in dem bitterarmen Land gibt, sind überfüllt. Die Armee, die eigentlich gegen die Rebellen antreten sollte, hält sich zurück.

Der Jemen ist nach dem Sturz des ehemaligen Langzeit-Präsidenten Ali Abdullah Saleh 2012 nicht, wie erhofft, demokratischer, sondern unregierbar geworden. Saleh, der 30 Jahre lang die Zügel in der Hand gehalten hatte, bezeichnete seine Regierungstätigkeit einmal als "Tanz auf Schlangenköpfen". Er war permanent damit beschäftigt, einen Ausgleich unter den einzelnen Machtzentren im Jemen zu schaffen - den verschiedenen Stämmen und dem ehemals unabhängigen, kommunistischen Süden. Als 2011 der Arabische Frühling als große Verheißung begann, gelang es auch den Jemeniten nach blutigen Demonstrationen, das korrupte Regime Saleh zu stürzen. Neuer Staatschef wurde allerdings dessen Stellvertreter Mansour, der das Spiel des Machterhalts nicht so virtuos versteht und dem die Zügel jetzt aus der Hand gleiten. Er hat seinen eigenen Machtapparat nicht unter Kontrolle, einzelne Generäle kämpfen mit ihren Soldaten längst auf eigene Faust.

Teheran und Riad mischen mit

Wobei Saleh nicht aus dem Spiel ist. Er soll mit den Houthi-Rebellen unter einer Decke stecken, seinen ehemaligen Erzfeinden. "Der gestürzte Ex-Präsident ermutigt Stämme, sich den Houthi-Rebellen anzuschließen", weiß die deutsche Politologin und Jemen-Expertin Mareike Transfeld. Offenbar ist der militärische Erfolg der Rebellen so erklärbar. Transfeld geht davon aus, dass sich Saleh außerdem für seinen Sturz rächen will. Immerhin erlitt der Ex-Präsident bei dem Versuch, ihn von der Macht zu entfernen, selbst schwere Verletzungen und musste Monate in einem saudischen Spital verbringen. Transfeld betont zudem, dass es sich im Jemen auch um einen Stellvertreterkonflikt zwischen dem Iran und Saudi-Arabien handle. Riad unterstützt die Armee, Teheran die schiitischen Rebellen.

Der Süden Jemens mit der Hafenstadt Aden als Metropole ist ebenfalls unruhig, hier kommt es regelmäßig zu Sprengstoffattentaten und Überfällen auf Polizei und Armee. Die Menschen wollen die Dominanz des Nordens seit Jahren gewaltsam brechen. Erst im Mai haben tausende wütende Demonstranten in Aden für eine Unabhängigkeit vom Rest des Landes protestiert.