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Jemens Machthaber deutet Rückzug an

Von Gerhard Lechner

Politik
Wie in Ägypten, so im Jemen: Armeesoldaten, die zu den Demonstranten überlaufen, sind beliebt. Foto: ap

"Gebe Macht nur in sichere Hände." | Armee ist gespalten. | Jemen steht vor Berg an Problemen. | Sanaa. Einen "Tag des Abgangs" hatte die Opposition angekündigt, einen "Marsch der zwei Millionen" nach ägyptischem Vorbild - und hunderttausende Jemeniten strömten trotz des Blutbads vor einer Woche, als 52 Menschen von Heckenschützen erschossen worden waren, ins Zentrum der Hauptstadt Sanaa, um den Rücktritt von Präsident Ali Abdullah Saleh zu erzwingen. Manche riefen: "Wir kommen, Saleh, wir kommen!" Ein Demonstrant betonte, man wolle "Widerstand leisten, bis das Regime fällt".


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Da hatte Saleh seine Fernsehansprache bereits gehalten, die augenscheinlich ohne Wirkung blieb. Der Staatschef, der bereits vor einigen Tagen angekündigt hatte, im Herbst nicht erneut für die Präsidentschaft zu kandidieren, deutete darin die Möglichkeit seines Rückzugs an - unter gewissen Bedingungen. "Wir müssen die Macht in sichere Hände übergeben, nicht in kranke, aufgebrachte oder korrupte", sagte der seit 1978 regierende Autokrat. Er wolle kein Blutvergießen, rief Saleh am Freitag auch tausenden seiner Anhänger vor dem Präsidentenpalast zu. Sie hatten zu einem "Freitag der Toleranz" aufgerufen. Auf Bannern war zu lesen: "Nein zum Chaos, Ja zu Sicherheit und Stabilität."

Die Gegner des Präsidenten wollen aber nicht aufgeben - sie fürchten, sonst ausgetrickst zu werden: "Saleh ist ein Fuchs, der immerzu ausweicht. Wir möchten, dass er geht. Die Menschen können selbst regieren", sagte ein Regimegegner.

Heckenschützen aktiv

Die Stimmung zwischen beiden Gruppen in Sanaa war hoch gespannt: Zu den Regimegegnern übergelaufene Soldaten vertrieben mittels Warnschüssen Anhänger des Präsidenten. Einer der Soldaten, die die Präsidenten-Gegner schützten, soll zudem durch einen Heckenschützen verletzt worden sein. Die Opposition verschob angesichts der überhitzten Stimmung - im Osten des Landes waren vor kurzem auch Kämpfe ausgebrochen - den geplanten Marsch auf den Präsidentenpalast auf Freitag, den

1. April.

Im Westen gilt Saleh indessen immer noch als "bedeutender Verbündeter" im Kampf gegen den Terror, wie sich US-Verteidigungsminister Robert Gates ausdrückte. Der gewiefte Taktiker präsentiert sein Regime als einzige Alternative zum totalen Chaos: So ist etwa das Terrornetzwerk Al-Kaida im Jemen hoch aktiv, zerreißen religiöse Bruchlinien und Stammeskonflikte das Land. Den Jemen zu regieren sei wie "auf Schlangen zu tanzen", sagte Saleh einmal. Eine Kunst, die er offenbar beherrscht: Im Norden regiert er bereits seit 32 Jahren, 1990 kam noch der ehemals kommunistische Südjemen dazu. Die Wiedervereinigung verlief aber alles andere als reibungslos: Im Jahr 1994 kam es zu einem kurzen Bürgerkrieg, den Salehs Truppen für sich entschieden. In dessen Folge ließ Saleh alle entscheidenden Posten im Südjemen mit nordjemenitischen Vertrauensleuten besetzen, was bis heute zu anhaltender Gegnerschaft in der Süd-Metropole Aden beiträgt.

Doch auch im äußersten Norden des Jemen hält sich Gegnerschaft zum Regime Saleh. Die Houthi-Rebellen, eine Gruppe schiitischer Zaiditen, werden unterdrückt, Regierungstruppen zerstören immer wieder zaidistische Heiligtümer, Moscheen und Schulen. Seit 2004 tobt ein Krieg in der Nordprovinz Saada. General Ali Mohsen al-Ahmar - also jener General, der vor kurzem zu den Demonstranten übergelaufen ist - soll dabei besonders brutal vorgegangen sein.

Wer immer in Zukunft im Jemen regiert: Von "Arabia felix", dem glücklichen Arabien, wie die antiken Römer das Gebiet bezeichneten, ist nur noch wenig zu spüren. Der einst dominierende Kaffeeanbau - Mocca, im 18. Jahrhundert die wichtigste Hafenstadt des Jemen, ist heute nur ein 400-Seelen-Nest - wurde durch das stärker nachgefragte Kat verdrängt. Weder islamistische Eiferer noch säkulare Modernisierer konnten der Kau-Droge beikommen. Viele geben ein Drittel ihres Einkommens für Kat aus.

Land ohne Wasser

Dessen Anbau ist mit einem anderen großen Problem des Jemen eng verbunden: Dem Mangel an Wasser. Auch hier sind die goldenen Zeiten, als es fruchtbare Böden gab, vorbei. Die Droge verbraucht die letzten Wasserreserven, die das Land hat, der Grundwasserspiegel sinkt jährlich um bis zu acht Meter. Laut Prognosen wird Sanaa bald die erste Hauptstadt der Welt ohne Wasser sein.

Da solcherart auch die Landwirtschaft ausdorrt, muss der Jemen bereits drei Viertel der Lebensmittel importieren - und es werden immer mehr. Die rasant wachsende Bevölkerung ist äußerst jung: Über die Hälfte der Jemeniten ist unter 15 Jahre alt. Da zu allem Überfluss auch noch die Ölvorräte Prognosen zufolge in zehn Jahren aufgebraucht sein werden, steht der Jemen vor einer düsteren Zukunft.