Gesetzesänderung dringend notwendig: Über die Zulässigkeit | der "doppelten" Sachverständigenbestellung.
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Seit der Strafprozessnovelle 2004 ist es das Recht der Staatsanwälte, Sachverständige im Ermittlungsverfahren zu bestellen. Ein dann im Hauptverfahren vom Gericht bestellter Sachverständiger gilt nicht als befangen, nur weil er bereits im Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft bestellt wurde. Alleine auf diesen Umstand gestützte Ablehnungsanträge werden von den Gerichten als unzulässig zurückgewiesen.
Mit diesen Bestimmungen wurde aus rechtsstaatlicher Sicht die Büchse der Pandora geöffnet. Gerade in jenen Fällen, in denen schon die Anklagebehörde einen Sachverständigen benötigt, um den Sachverhalt zu analysieren und "anklagereif" zu ermitteln, braucht auch das Gericht einen solchen. Zumindest bislang haben Strafgerichte nahezu immer denselben Sachverständigen bestellt - so zum Beispiel im Libro- aber auch im "Hypo III"-Verfahren.
In der Hauptverhandlung können daher kaum neutrale Expertengutachten erwartet werden. Denn die Staatsanwaltschaft wird eher Sachverständige bestellen, die die Anklage untermauern, und gerade in medienwirksamen Prozessen besteht großer Erfolgsdruck. Dazu kommt, dass der rege Meinungs- und Informationsaustausch zwischen Staatsanwalt und Sachverständigem während des Ermittlungsverfahrens ein menschliches Naheverhältnis bewirkt, das durch die finanzielle Abhängigkeit gegenüber dem gut zahlenden Auftraggeber Staatsanwaltschaft verstärkt wird.
Hat ein Gutachter im Ermittlungsverfahren eine Meinung gefasst und für die Staatsanwaltschaft vertreten, wird er diese im Hauptverfahren kaum mehr kritisch hinterfragen oder gar revidieren. Minimale Modifikationen sind hier schon das Höchste der zu erwartenden "Objektivität". Auch das verfassungsrechtlich gewährleistete Anklageprinzip, das die personell-organisatorische Trennung zwischen Richter und Ankläger beinhaltet, wird untergraben. Zwar kommt es zu keiner "echten" Personalunion von verfolgender und richtender Partei. Doch das Gericht stützt sich bei der Urteilsfindung auf jenen Sachverständigen, der bereits für den Ankläger tätig war, verwendet also dasselbe "Hirn" und urteilt de facto als verlängerter Arm der Staatsanwaltschaft.
Die Zulässigkeit der "doppelten" Sachverständigenbestellung steht nicht nur in Widerspruch zum Anklageprinzip, sondern auch zum im Artikel 6 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) verankerten Fairnessgebot, aus dem sich der Grundsatz der Waffengleichheit ableitet. Um keine - gerechtfertigte - Verurteilung durch den EGMR (Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte) zu riskieren, ist eine entsprechende Gesetzesänderung aus verfassungs- und konventionsrechtlichen Gründen notwendig.
Stefan Prochaska ist Partner bei PHHV Rechtsanwälte.
www.phhv.at