Die Verflechtung unserer Gesellschaften führt nicht unbedingt zu mehr Verständnis. Daran müssen auch Diplomaten arbeiten.
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Zum Ende der deutschen EU-Ratspräsidentschaft durfte ich Herrn Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen in der Hofburg besuchen. Es war ein freundliches, aber anspruchsvolles Gespräch, so viel darf ich wohl verraten. Vor dem Porträt Maria Theresias wurde ein Foto geknipst, das dann auf dem Twitter-Kanal des Bundespräsidenten erschien.
Als sich die Tür zum Präsidentenbüro schloss und ich durch die lange Flucht der Säle zur Treppe schritt, musste ich daran denken, wie sehr sich der Beruf der Diplomaten doch seit kaiserlichen Zeiten verändert hat. Statt Geheimdepeschen durch Tapetentüren zu reichen, geben sie heute auch Interviews, twittern und schreiben. Die zähen Verhandlungen in Brüssel und anderswo über Brexit, Klima und Corona zeigen, dass die gute alte Diplomatie noch immer stark gefragt ist - und wie sehr sie von Präsenz, Hartnäckigkeit und Finesse abhängt. Doch die Zeiten, als eine Kaiserin mit einem König über diplomatische Kanäle Noten austauschen ließ, sind eben lange vorbei.
Der Arbeitsraum der Diplomaten hat sich auf die Welt jenseits der Tapetentür und der Ministerialflure erweitert. Die wachsende Verflechtung unserer reisefreudigen und exportstarken Nationen erhöhen den Austausch, aber auch die Reibung zwischen den Nachbarn. Das führt nicht automatisch zu mehr Verständnis und Verständigung. Beides ist aber nötig: Politische Entscheidungen im einen Land betreffen, freuen oder ärgern auch die Menschen im anderen, und diese Reaktionen müssen im Ersteren wiederum begreiflich gemacht werden. Das Krisenjahr 2020 gab dafür genug Beispiele. Umso wichtiger ist es, dass Diplomaten die Menschen in ihrem Gastland verstehen und darüber nach Hause berichten - und andersherum die Entwicklungen daheim in der Fremde erklären. Dazu muss man reisen, reden und auch schreiben.
Vor einem halben Jahr habe ich diese Kolumne begonnen. Im Rückblick zum Jahresende stelle ich fest: Die Arbeit daran macht Spaß, aber sie fordert mich. Ich muss meinen Blick schärfen und meine Argumente. Ohne das Schreiben wären mir viele Besonderheiten Österreichs entgangen, im Gegenzug aber auch manche Merkwürdigkeit im eigenen Land nie aufgefallen.
Andersherum haben manche Texte hoffentlich auch bei Ihnen ein Aha-Erlebnis ausgelöst und den Blick aufs eigene Land oder den Nachbarn etwas aufgerüttelt. An der wechselseitigen Verständigung zu arbeiten, ist die vielleicht schönste Seite des Diplomatenhandwerks.