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Jenseits des Souvlaki-Spießchens

Von Solmaz Khorsand

Politik
Krise hin oder her: Athina Zoi und Argyro Pavlidou haben sich in der Fremde den Traum vom eigenen Lokal erfüllt.
© Sebastian Philipp

Griechenlands junge, gebildete, krisengeschüttelte Städter bringen Athen-Vibe nach Wien.


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Wien. Hektisch schaut der junge Mann in die Runde. Viel Zeit hat der Starbucks-Mitarbeiter nicht. Er ist auf Mittagspause. Er will ein bisschen verschnaufen von dem amerikanischen Kürbis-Latte-Imperium. Und er hat nur ein Verlangen. Er will einen Kaffee. Einen richtigen. Unbemerkt pilgert er von seinem Arbeitsplatz auf der Mariahilfer Straße gen Gumpendorfer Straße. Hier wartet Athina Zoi auf ihn. Und versorgt ihn mit dem richtigen Stoff: einem richtig starken Espresso. Seit April dieses Jahres betreibt die gebürtige Griechin aus Athen das Café "Brass Monkey" in der Gumpendorfer Straße 71 im 6. Bezirk. Auf der Karte: starke Espressi, vegane Cupcakes und ein Hauch modernes Griechenland, fernab von Souvlaki-Spießchen und Sirtaki-Folklore.

Zoi gehört zur Generation jener Griechen, für die man in den Medien in den vergangenen Jahren einen Namen gefunden hat. Die neuen Gastarbeiter: jung, urban, gebildet und dermaßen geplagt von der Krise in ihren Herkunftsländern, dass sie bereit sind, ihre Heimat hinter sich zu lassen, um in der Ferne ihr Glück zu finden.

"Griechen, die vorher nicht gekommen wären, sind jetzt gekommen, weil sie dazu gezwungen sind", sagt Zoi. "Wäre keine Krise gewesen, hätte ich in Griechenland vielleicht mein Studium auf der Kunstakademie beendet." Sie zuckt mit den Schultern, frei nach der Devise: Gibt ihr das Leben Zitronen, macht sie Limonade draus, oder in ihrem Fall Kaffee.

Männer, die bei veganen Kuchen zu Buben werden

Die 28-Jährige hat schon einmal in Wien gelebt. 2006 für ein Erasmusjahr. Damals war noch keine Rede von Krise. Die studierte Bauingenieurin kehrte zurück nach Athen und begann, Kunst zu studieren. Zwei Jahre später entschied sie sich, wieder nach Wien zu kommen, dieses Mal für ein Architekturstudium. Nebenbei erfüllte sie sich ihren Traum vom eigenen Lokal. Die Wahl für den Standort war ganz pragmatisch: Die Lokalmieten seien günstiger in Wien als in Athen. Mit Startkapital ihrer Familie renovierte sie die 40 Quadratmeter in der Gumpendorfer Straße und schuf damit ein Wohnzimmer für die Anrainer.

Intim ist es hier. Maximal acht Gäste passen in die Espressobar rein. So wollen es die Auflagen. Auf dem langen Holztisch stapeln sich die Magazine. Hier lassen sich die Gespräche der Nachbarn nur selten überhören. Von den Gymnasiasten, die eine Businesskarriere planen, den jungen Frauen, die Stress mit ihren Partnern haben, und den Hipstern, die raffinierte Dinner-Pläne schmieden.

Wohl fühlen sich die Gäste hier. So wohl, dass sie schon einmal unangekündigt in der Küche stehen und Zoi beim Kuchenbacken zuschauen. Bunt ist die Klientel. Von alleinerziehenden Müttern, die gelegentlich ihre Kinder im Lokal parken, um Besorgungen zu machen, über erwachsene Männer, die wie kleine Buben nur für den veganen Schokoladekuchen andackeln, bis hin zu den jungen Griechen, die sich am späten Nachmittag zusammenfinden. Hier machen sie ihrem Ärger über die Rechtsextremen im griechischen Parlament Luft, bedauern, dass ihre Freundeskreise in der Heimat immer mehr ausdünnen, weil es jeden ins Ausland zieht. Und bei Gelegenheit erklären sie auch den Einheimischen die Misere hinter den roten Zahlen ihres Staatshaushalts.

20 Prozent ihrer Kundschaft sind Griechen, sagt Zoi. Ein griechisches Lokal sei sie aber nicht. Die meisten ihrer griechischen Gäste kennt sie vom Studium oder aus der Heimat, gar aus dem Schulbus in Athen. Kontakt zu alteingesessenen Griechen in Wien haben Zoi und ihre Freunde kaum. Diese fühlen sich in den griechischen Tavernen à la "Mykonos" oder "Poseidon" wohler als in einem Lokal, das nach einem Beasty Boys Song benannt wurde, in Referenz an durchzechte Nächte.

Die griechische Community im Wandel der Krise

Auch Argyro Pavlidou hat sich bei der Namensgabe ihres Bistros nicht an den Namen der griechischen Mythologie oder Inselparadiese orientiert. "Rote Rübe", so heißt ihr Lokal in der Zieglergasse 37. Der Name entstand mehr aus der Not. Die 46-Jährige hatte eine Schachtel mit wenigen Buchstaben ehemaliger Fabriken für ihre Fassadenbeschriftung. "Rote Rübe" schien die einzige Kombination zu sein, die sich aus den Buchstaben bilden ließ. Heute serviert sie in der "Roten Rübe" Crêpes mit Spinat und Feta, frisch gepresste Säfte und Salate, die nach Sommer schmecken.

Vor zwei Jahren hat Pavlidou das Lokal eröffnet. Auch sie gehört zur Generation der Auslandsgriechen, die in der Fremde noch einmal durchstarten wollen. In ihren Zwanzigern hat die Athenerin bereits einmal in Wien gelebt. Damals war sie ihrem Ehemann, einem Friseur, nach Wien gefolgt. Nach zehn Jahren beschloss das Paar nach Griechenland auszuwandern, wo die Ehe zerbrach. Schwierig war die abermalige Umstellung für Pavlidou an das mediterrane Chaos in der Heimat. Sie musste sich wieder anpassen. An die Mentalität. Den Humor. Die Witze. Dann kam die Krise und sie verlor ihren Job als Sekretärin. Sie beschloss, wieder nach Wien zurückzukommen.

Viel hat sich seit dem ersten Mal geändert. Vor allem in der griechischen Community. "In den ersten zehn Jahren, wo ich hier gelebt habe, konnte ich keine Griechen kennenlernen. Die waren ganz anders. Jetzt bin ich seit ein paar Jahren wieder da und ich habe viel mehr griechische Freunde als damals", erzählt sie. Damals waren es noch jene Griechen, die aus der Provinz gekommen sind. Heute würden die jungen urbanen Städter kommen. Jene, mit denen Pavlidou auch etwas gemein hat. Sie lächelt: "Jetzt kommen die echten Griechen."