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Jerusalem - Die "Via Dolorosa", der Kreuzweg Jesu in Jerusalem, ist zu einem Leidensweg für die Tourismusindustrie geworden. Seit es immer weniger Besucher wegen der anhaltenden Gewalt ins "Heilige Land" zieht und immer mehr Händler ihre Geschäfte schließen, lebt das Flair der Altstadt nur noch in Erinnerungen.
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"Früher hättest Du für eine Führung entlang der 14 Stationen der Via Dolorosa 100 Schekel (25,8 Euro/355 S) bezahlt, heute mache ich es für 40 Schekel", sagt Touristenführer Ahmed. Der 45-Jährige "hängt", wie er sagt, jetzt nur noch vor der zweiten Station herum. An dieser Stelle hatte Jesus der Überlieferung nach das Kreuz aufnehmen müssen. In der Geißelungs- und Verurteilungskapelle, deren farbige Glasfenster jene Szene festhalten, wie sich der römische Statthalter Pontius Pilatus die Hände in Unschuld wusch, herrscht gähnende Leere. Nach einer Stunde taucht eine Gruppe polnischer Pilger auf.
Nahe der dritten Station, wo Jesus das erste Mal gestürzt sein soll, hat Abu Khaled seinen Geschäft mit Tonscherben und "antiken" Gefäßen. "Seit 20 Tagen habe ich nichts mehr verkauft", sagt er. Dort, wo römische Soldaten Simon von Kyrene zwangen, an Stelle des erschöpften Jesus das Kreuz zu tragen, liest Ali gelangweilt Zeitung. "Das ist das Schlimmste, was ich in den vergangenen 25 Jahren erlebt habe. Das Geschäft ist um 98 Prozent zurückgegangen", klagt der 37-Jährige. "Aber wir müssen überleben. Wir dürfen uns nicht kreuzigen lassen."
Der Vormittag ist weit fortgeschritten, und in der Via Dolorosa lässt sich weit und breit kein einziger Besucher sehen. Ganze vier Händler haben geöffnet. Die restlichen Geschäfte sind mit blau gestrichenen Metalltüren und Vorhängeschlössern verbarrikadiert. "Früher kamen hier so viele Leute vorbei, da hast Du keinen Platz zum Laufen gehabt", sagt Aiman. Er sitzt in seinem leeren Lokal bei der neunten Station am Fuße des Golgatha-Hügels. Auf großen Tabletts türmen sich die ganzen süßen Köstlichkeiten des Orients. Das halte ich noch zwei Monate durch. Dann mache ich zu." Vor der Grabeskirche, dem Ort der Kreuzigung, stehen heute nicht mehr als sechs bis zehn Besucher. Früher waren es Menschenmassen.
Zur Intifada stehen die meisten hier immer noch. "Wenn wir jetzt aufhören, haben wir alles verloren. Die Intifada ist unsere Hoffnung", meint Yussuf Hannaniah, der wie die meisten Palästinenser im Altstadtviertel entlang der "Via Dolorosa" christlichen Glaubens ist.