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Maulfaul war er nie. Udo Jesionek, der scheidende Präsident des Jugendgerichtshofes Wien (JGH), der sich gegen die Abschaffung des Gerichtes in der Rüdengasse verbissen zur Wehr setzt, hat am 22. November seinen 65er gefeiert. Ihm zu Ehren haben prominente Autoren eine Festschrift verfasst, die heute in den Räumlichkeiten der Nationalbank vor über 200 Festgästen überreicht werden soll.
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Der Jugendrichter mit der flinken Zunge gestaltete das österreichische Strafrecht in den letzten 35 Jahren maßgeblich mit. Zwei Leitsätze hätten ihn Zeit seines Lebens geprägt, erklärt Jesionek im Gespräch mit der "Wiener Zeitung": Das Erich Kästner-Zitat "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es" und der Bibelspruch "Dienet einander mit der Gabe, die Ihr erhalten habt". Jesioneks Gabe war es wohl, verkrustete Strukturen aufzuzeigen und Reformen in Richtung einer menschlicheren und zugleich zweckmäßigeren Justiz voranzutreiben.
Der Kampf gegen das elterliche Züchtigungsverbot, das Jugendgerichtsgesetz und die Diversion mit ihren vielfältigen Möglichkeiten des Täter-Opfer-Ausgleichs gehen auf das Konto Udo Jesioneks und seiner Mitstreiter. "Nicht unbedingt milder, sondern vernünftiger strafen", lautet Jesioneks Credo, für das er nicht nur Begeisterung erntete: "Am Anfang wurde mir unterstellt, die Justiz ruinieren zu wollen". Heute sind viele der liberalen Ansätze Gesetz - Jesioneks Verdienste unumstritten. Alternativen zur Geld- oder Freiheitsstrafe wie der Außergerichtliche Tatausgleich (ATA) oder gemeinnützige Leistungen, die eingangs in der Jugendgerichtsbarkeit erprobt wurden, finden sich heute im allgemeinen Strafrecht wieder. Der Jugendgerichtshof Wien mit dem System der Kooperation von Richter, Staatsanwalt, Sozialarbeitern und Psychologen der Jugendgerichtshilfe, gilt international als Erfolgsmodell.
Unabhängigkeit der Justiz
Anderes Beispiel: Die Richter-Dienstrechtsreform, die Jesionek als Standesvertreter in Angriff nahm. Reinhard Moos schreibt dazu in seiner Laudatio: "Seine Gegner waren die Verwaltungen der Justiz- und Innenressorts, die den Richterstand noch immer als eine Spielart der Verwaltung und nicht als eigene unabhängige dritte Staatsgewalt betrachteten ." Richterliche Proteste und Unterstützung durch den Verein österreichischer Staatsanwälte unter Präsident Otto F. Müller führten 1979 zu einem neuen Dienstrecht, das die richterliche Unabhängigkeit sicherte.
Ganz zufrieden ist einer wie Jesionek, den es während des Interviews kaum auf seinem Sessel hält, nie: "Ich habe immer darum gekämpft, die Justiz bürgerfreundlicher zu machen - da ist mir weniger gelungen als ich mir gewünscht hätte." Es mangle am Bewusstsein, dass "Gerichte Servicebetriebe sind": Gerichts-Infostände oder Kinderbetreuungsstellen, wo Eltern ihre Sprösslinge für die Zeit ihrer Einvernahme unterbringen können, fehlen, ärgert sich der Jubilar. Als bestimmende Persönlichkeiten in seinem Leben nennt der deklarierte SPÖ-Anhänger den vormaligen Justizminister Broda und Bruno Kreisky. An Broda hätten ihn soziales Engagement und Durchsetzungsvermögen fasziniert - gepaart mit der Fähigkeit Kompromisse zu schließen.
Pensionsschock?
Nach dem 1. Jänner steht bei der Opferschutzorganisation Weißer Ring, deren Präsident Jesionek ist, ein Büro für ihn bereit. "Pensionsschock werde ich hoffentlich keinen kriegen", sinniert der Noch-JGH-Präsident. Leute, die im Ruhestand sofort glücklich würden, seien im Beruf im Allgemeinen nicht so aufgegangen, vermutet Jesionek. Dass für den quirligen Mann die Pension zum beschaulichen Ruhe-Stand verkommt, wird allerdings ohnehin jeder, der ihn kennt, bezweifeln.
Werkzeugmacher und Richter
Udo Jesionek wurde am 22. November 1937 als Kind österreichischer Eltern in Berlin geboren. Seine Kindheit, die v. a. durch den Tod des Vaters, der 1943 in Russland fiel, überschattet war, verbrachte er an wechselnden Orten: In Budweis, in der Buckligen Welt in NÖ und in Wien. Zunächst Werkzeugmacher bei Gräf & Stift, legte er 1957 die Externistenmatura ab, um danach Jus zu studieren. Im März 1965 begann er seine richterliche Laufbahn am BG Wiener Neustadt. Mit Jänner 1968 wurde er zum Richter am Strafbezirksgericht Wien ernannt, wo er die Bewährungshilfe belebte. 1970 wurde er zum Vorsitzenden der Bundessektion der Richter und Staatsanwälte in der GÖD gewählt. Später wurde er Vizepräsident der Richtervereinigung. Weitere Stationen: Vizepräsident des Straflandesgerichts 1980, ab 1. Jänner 1982 Präsident des Jugendgerichtshof Wien. Von 1974 bis 1983 war er Präsident der Richtervereinigung.