Zwei Worte Jesu erläutern den moralischen Schaden, den schwarze Schafe der Kirche zugefügt haben: "Wer eines dieser Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals im tiefen Meer versenkt würde" (Mt. 18,6). Und zur Berufung seiner Jünger: "Ihr seid das Licht der Welt. Man zündet kein Licht an und stellt es unter den Scheffel, sondern auf den Leuchter, damit es allen im Haus leuchte. So leuchte euer Licht vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen" (Mt. 5,14). Drei amtliche Erklärungen dämpfen leider die Leuchtkraft der Kirche.
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Erstens sagte Vatikansprecher Federico Lombardi, dass es wesentlich mehr Übergriffe in anderen Organisationen gebe. Verkürzt etwa der Splitter im Auge eines anderen den Balken im eigenen Auge (Mt. 7,3)? Es zählt doch der von Matthäus (15,19) und Markus (7,21) zitierte "Lasterkatalog" Jesu, der "Unzucht" und "Arglist" verdonnert. Arglist ist im üblen Spiel, wenn Autoritätspersonen ihnen anvertraute Kinder "zum Bösen verführen".
Zweitens bestimmte Kardinal Joseph Ratzinger 2001 als Chef der Glaubenskongregation in einer bis heute gültigen Direktive, dass "schwere Missbrauchsfälle zuallererst der päpstlichen Geheimhaltung unterliegen und außerhalb der Kirche nicht weitergegeben werden sollen". Damit will der Vatikan zwar Täter vor jeder Vorverurteilung schützen. Er begünstigt aber den Vorwurf der "Kultur des Verschweigens" und den Verdacht, "Verführer zum Bösen" würden nur ihrer Kirchenämter entkleidet und ins Kloster verbannt.
Drittens fehlt in den 2002 von der deutschen Bischofskonferenz beschlossenen Richtlinien über die Behandlung von Missbrauchsfällen die eindeutige Anweisung, solche Untaten der Justiz anzuzeigen.
Der Papst begnügte sich damit, der Welt durch den deutschen Erzbischof Robert Zollitsch mitteilen zu lassen, er sei tief bestürzt über die Skandale und verlange mit Nachdruck, "die volle Wahrheit aufzudecken". Warum nur durch einen Boten und erst jetzt?
Das moralische Erdbeben in der Kirche heizt wieder das Thema Zölibat an: Zölibatäre seien für Missbrauch anfällig, heißt es. Warum vergreifen sich dann Verheiratete an Kindern? Salzburgs Erzbischof Alois Kothgasser regt Überlegungen an, "ob der Zölibat die angemessene Lebensform für den priesterlichen Dienst ist". Der Papst wies das mit der Erklärung ab, der Zölibat sei die höchste Form der Hingabe an Gott.
Die Bibel verliert keine Silbe über den Zölibat, den hat erst im 12. Jahrhundert der Vatikan verordnet. Darauf kommt es aber nicht an. Denn "Verführung zum Bösen" geschieht vorwiegend in "geschlossenen" Gemeinschaften - in Familien ebenso wie in weltlichen oder kirchlichen Bildungsstätten. Das Umfeld gibt also den Ausschlag und nicht der Zölibat.
Jetzt zählen rückhaltlose Aufdeckung, tätige Reue, Buße, Prozesse, Strafen und die Hoffnung, dass dann die Opfer verzeihen können.
Clemens M. Hutter war bis 1995 Ressortchef Ausland bei den "Salzburger Nachrichten" .