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Jüngst in Salzburg: Ich stehe in einem Lift mit zwei Frauen. Frage: Wie hat mir der neue "Giovanni" gefallen? Ich mache aus meiner Meinung keinen Hehl. Ein Fehler. Denn die beiden sind Statistinnen des Abends, und die eine bewundert den Dirigenten Teodor Currentzis glühend. Das Urteil der Kritiker sei "grob gestrickt", zürnt sie. Ich versichere, mein Unbehagen gelte vor allem der Regie. Puh, die Sache endet glimpflich.
Der Zorn der Currentzianer ist derzeit leicht entflammbar. Denn das deutsche Feuilleton hat sich auf ihren Helden eingeschossen. Einen "Sektenführer" auf "Egotrip" nennt ihn die "FAZ", "Die Welt" attestiert ihm manierierte Verzopftheit, der "Spiegel" widmet ihm gar ein Herabwürdigungsporträt - als "Mozart-Zerstörer".
Nun hat jeder ein Recht auf seine Meinung, und gerade Currentzis ist ohne Gegenwind undenkbar - der Ruhm des "Klassikrebellen" lebt von der Zuspitzung der Tempi ebenso wie von einer öffentlichen Polarisierung. Doch die Medienschelte kommt seltsam laut und mit Verzug. Der Mann mit dem Guru-Gestus steht ja seit bald zehn Jahre im Rampenlicht, und die Presse hat ihn dahingehievt, nicht servil zwar, aber mit einem Mix aus Befremden, Bewunderung und Sensationslust. Da ist das Verdikt nun eine seltsam späte Einsicht. Noch dazu nach einem "Giovanni" mit weniger Radikal-Tempi, als sie Nikolaus Harnoncourt ungestraft dirigiert hätte. Zum sakrosankten Maestro, so scheint’s, fehlt es Currentzis schlicht an Jahren. Dem Feuilleton mangelt es in dieser "Debatte" jedenfalls an Nuance und Selbstreflexion.