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An Reformkonzepten hat es in Österreich noch selten gemangelt. Auf dem Papier wurde fast alles gerettet, was dann in der politischen Realität schließlich doch dem Untergang geweiht war - von der multinationalen Monarchie bis zur Ersten Republik, dem "Brückenkopf zwischen Ost und West" oder der Sozialpartnerschaft als "Schattenregierung". Fast schien es, als sei auch dem ehrgeizigen Projekt einer umfassenden Bundesstaatsreform ein ähnliches Schicksal beschieden: Bis zur letzten Konsequenz zu Ende gedacht, doch niemals politisch vollbracht. Nun plötzlich kommt Bewegung in die lange Zeit verfahrene Situation einer Neuordnung des österreichischen Staates. Alle politischen Parteien unterstützen die Idee eines "Österreich-Konvents", der innerhalb von zwei Jahren ein Konzept für eine Verfassungsreform erarbeiten soll.
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"Jetzt ist die Zeit der Reform" und deshalb müsse man "das Eisen schmieden, solange es noch heiß" ist: Selten noch äußerte sich ein österreichischer Spitzenpolitiker zuversichtlicher, wenn es um die Frage der Bundesstaatsreform und die Aussichten ihrer Verwirklichung ging, als gestern der Erste Nationalratspräsident Andreas Khol.
Unendliche Geschichte mit Happy End?
Der Khol'sche Optimismus ist umso erstaunlicher, wenn man sich die Geschichte dieses Vorhabens in Erinnerung ruft, die - glaubt man Kennern der österreichischen Realverfassung - durchaus an die Unternehmungen des Herkules heranreicht. Und weil sie in den vergangenen Jahrzehnten so oft bei politischen Ankündigungen im Mnude geführt wurde, hatten nicht wenige bereits die Hoffnung auf ihre Umsetzung aufgegeben.
Das Ringen um eine europäische Verfassung im Rahmen des "Europa-Konvents" verlieh jedoch den hiesigen Reformbemühungen neuen Auftrieb. Inspiriert vom europäischen Vorbild gebar der steirische Bundesrat und enge Mitarbeiter von Landeshauptfrau Waltraud Klasnic, Herwig Hösele, die Idee eines "Österreich-Konvents", für die sich bereits während des vergangenen Nationalratswahlkampfs ein breiter Konsens unter den politischen Parteien abzeichnete. Weitere Dynamik erhielt das "Konvent"-Projekt, als Khol zum Ersten Nationalratspräsidenten und Hösele zum Bundesratspräsidenten aufstiegen, und beide sich der Umsetzung dieser Idee verpflichteten.
ÖVP und SPÖ im Konvent-Gleichschritt
Von da an ging es Schlag auf Schlag: Vom Bundeskanzler abwärts erklärten sämtliche Spitzen der Republik ihre Unterstützung für den Konvent, wobei vor allem ÖVP und SPÖ - die sich in der Vergangenheit in dieser Frage nicht selten gegenseitig blockierten - darauf bedacht waren, im Gleichschritt vorzugehen.
Wie groß der Gleichklang der beiden Parteien tatsächlich schon ist, zeigte sich gestern, als rund zwei Stunden bevor Khol und Hösele zur ersten gemeinsamen Pressekonferenz der Präsidenten von National- und Bundesrat luden Heinz Fischer, Zweiter Nationalratspräsident und stellvertretender SPÖ-Vorsitzender, seine Vorstellungen zum "Österreich-Konvent" präsentierte: Unterschiedliche Auffassungen betreffen allenfalls Detailfragen, in der großen Konzeption wollen sowohl ÖVP als auch SPÖ in die selbe Richtung.
Indirekt könnte dies nicht ohne Einfluss auf die Zusammensetzung der künftigen Bundesregierung bleiben: Noch vergangene Woche betonten nämlich Vertreter der FPÖ wie etwa der Vorarlberger Hubert Gorbach ihren "Verhandlungsvorteil" gegenüber einer eher zentralistisch denkenden SPÖ in Sachen Föderalismus.
Erneuerung auf Grundlage des Bestehenden als Ziel
Geht es nach dem Duo Khol/Hösele, so soll binnen sechs Wochen eine politische Vereinbarung zwischen allen maßgeblichen Akteuren - Nationalrat, Bundesrat, Landtagen, Bundesregierung, Landeshauptleutekonferenz, Gemeinde- und Städtebund - über die Einrichtung des "Österreich-Konvents" erreicht werden. Nicht zuletzt auch dies ein Indiz dafür, wie weit fortgeschritten die informellen Gespräche zu diesem Thema offensichtlich bereits sind. Erklärtes Ziel ist die Ausarbeitung einer erneuerten Bundesverfassung, die an die Stelle des Bundesverfassungsgesetzes 1920, der verfassungsgesetzlichen Nebengesetze und Verfassungsbestimmungen treten soll.
Erneuerung meint jedoch, im Rahmen des Bestehenden zu verbleiben: Die Reform soll daher auf Grundlage der geltenden Verfassungsprinzipien - Volkssouveränität, parlamentarische Demokratie mit plebiszitären Elementen, sozialer Rechtsstaat, Bundesstaat sowie Gemeindeautonomie und Vielfalt der Selbstverwaltungskörper - erarbeitet werden.
Entmachtung der Landtage vom Tisch
Diese Prinzipien stehen, wie Hösele im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" ausdrücklich betont, für die ÖVP nicht zur Disposition. Auch Khol, bekennender Föderalist und praktizierender Verfassungsrechtler, erklärte gestern die Landtage zu "unersetzlichen Orten der Demokratie". Damit sind sämtliche Überlegungen der letzten Zeit vom Tisch, die auf eine Abschaffung der Landtage oder gar Zusammenlegung der Bundesländer zu größeren Regionen abzielten. Tatsächlich hatten ja zahlreiche Stimmen aus den Bundesländern ihre Zustimmung zu einem "Österreich-Konvent" davon abhängig gemacht, dass die Länder und Landtage nicht über Gebühr in ihren Kompetenzen beschnitten werden.
Da die bestehenden Verfassungsprinzipien zur Grundlage der Staatsreform erklärt werden, wäre eigentlich auch eine Volksabstimmung rechtlich nicht notwendig. Trotzdem signalisierten sowohl die beiden ÖVP-Politiker wie auch Fischer Sympathie für einen solchen Schritt, sollte die Reform der erhoffte "große Wurf" werden. Für die FPÖ hatte schon tags zuvor Parteichef Herbert Haupt eine Volksabstimmung über die Ergebnisse des "Konvents" als politische Forderung deponiert.
Bunte Zusammensetzung mit starker Länderpräsenz
Weit gediehen sind bereits auch die Vorstellungen von ÖVP und SPÖ, was die Frage der personellen Zusammensetzung des "Konvents" betrifft: Neben den drei gesetzgebenden Körperschaften Nationalrat, Bundesrat und Landtage, die Exekutive wie Bundes- und Landesregierungen, Städte- und Gemeindebund und Sozialpartner sollen auch die Höchstgerichte, Volksanwaltschaft, Rechnungshof und weitere so genannte "wise men and women" vertreten sein. Während hier die ÖVP bereits mit 80 Personen eine konkrete Zahl und detaillierten Verteilungsschlüssel präsentierte, der Vertretern von Ländern und Gemeinden eine starke Rolle zuweist, blieb Fischer in diesem Punkt eher unverbindlich.
Mehrheitsentscheidungen "nicht sinnvoll"
Geht es nach der ÖVP so wird der "Konvent" als parlamentarische Enquetekommission eingerichtet und von einem Vorsitzenden, drei Stellvertretern und einem Generalsekretär geleitet. Der Vorsitzende selbst sollte demnach "kein aktiver Politiker sein bzw. in den letzten vier Jahren keine aktive politische Tätigkeit und keine auf Erwerb gerichtete berufliche Tätigkeit ausgeübt haben. Damit dürfte wohl der zuletzt immer wieder genannte Rechnungshofpräsident Franz Fiedler als Vorsitzender aus dem Rennen sein.
Obwohl in Enquetekommissionen üblich, erachten sowohl Khol als auch Hösele Mehrheitsentscheidungen für "nicht sinnvoll". Auch hier bedient man sich des "Europa-Konvents" als Vorbild, wo die Vorschläge als Konsenspapiere erstellt werden. Da es sich bei der Arbeit des "Österreich-Konvents" auch um keine Beschlussvorlagen handle, so Khol, lebe das Ergebnis vor allem aus dem politischen Gewicht der Institution. Der Beschluss bleibe ohnehin Sache des Gesetzgebers.
Zwei Jahre haben ÖVP und SPÖ für die "Konvent"-Arbeit veranschlagt, Mitte 2005 soll - rechtzeitig zum 60. Geburtstag der Zweiten Republik - das Ergebnis vorliegen.