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Hofer: ÖVP hat erkannt, dass eigene Position nicht mehr argumentierbar war. | "SPÖ muss jetzt Blankoscheck unterschreiben." | "Wiener Zeitung": Ist das Ja der ÖVP zur Wiederaufnahme der Regierungsverhandlungen nun der Durchbruch zu einer großen Koalition?
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Thomas Hofer: Das glaube ich nicht. Hätte die ÖVP ihre starre Haltung nicht aufgegeben, wäre sie der sichere Verlierer kommender Neuwahlen gewesen. Was wir jetzt erleben, ist eher das Endspiel im Match "Wer hat den Schwarzen Peter?" Und dieses Finale beginnt bereits in der heutigen Nationalratssitzung mit der Frage der Pensionserhöhung. Die ÖVP hat es mit diesem Schritt aber geschafft, die SPÖ in die Rolle zu drängen, ein allfälliges Scheitern einer großen Koalition zu verantworten.
Wenn die SPÖ das ÖVP-Angebot annimmt, muss sie die Verhandlungen auch erfolgreich abschließen. Sollten die Gespräche in zwei, drei Monaten doch scheitern, wird Gusenbauer Probleme haben zu erklären, warum es wieder nicht für eine Einigung gereicht hat.
Könnte es nicht sein, dass die ÖVP im letzten Moment doch die Angst vor der Opposition überkommen hat?
Das ist sicherlich auch ein Grund, weshalb man sich kompromissbereit gezeigt hat. Wirtschaft, Bauern und Beamte können in Opposition ja nur verlieren. Aber die ÖVP ist sicher auch zum Schluss gekommen, dass dieser Schwenk allein schon aus taktischen Gründen notwendig war, um sich selbst in eine bessere Position zu bringen und den Druck der Öffentlichkeit etwas aufzuweichen.
Was bedeutet dieser Schritt für die SPÖ, wo scheinbar viele mit einer Minderheitsregierung gerechnet haben?
Die SPÖ muss relativ rasch für sich entscheiden, ob es sich um ein seriöses Angebot handelt. Nur lässt sich das im Moment schwer objektiv überprüfen, die SPÖ muss jetzt quasi einen Blankoscheck unterschreiben. Das ist eine ganz schwierige Situation, es würde mich nicht wundern, wenn jetzt in der SPÖ eine Sitzung die nächst jagt.
Welche Rolle spielt Bundespräsident Heinz Fischer?
Er hat sicherlich keine entscheidende, wohl aber eine aktive Rolle. Vor allem die Frage, wie nun die öffentliche und veröffentlichte Meinung auf das Angebot der ÖVP reagiert, wird er wesentlich mitbeeinflussen: Es kommt darauf an, ob er in seinen Wortmeldungen nun dieonstruktive Aspekte des Angebots betont - oder eben nicht. Fischer wird aber mit Sicherheit jetzt Probleme haben, rasch eine SPÖ-Minderheitsregierung zu beauftragen.
Ihre Prognose für die kommenden Wochen?
Für den Fall, dass nun tatsächlich die Verhandlungen wieder aufgenommen werden, darf man eines nicht vergessen: Es ist bis heute noch kein inhaltlicher Knackpunkt zwischen SPÖ und ÖVP ausgeräumt worden - und deren gibt es viele, von der Luftraumüberwachung über Steuerpolitik bis hin zu Bildungsfragen. Die Möglichkeit baldiger Neuwahlen ist längst noch nicht vom Tisch.