Ein Ende der Maskenpflicht naht - die Gefahr sei aber noch nicht gebannt, warnen Mediziner.
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Die Konstellation ist freilich verlockend: Erstmals seit August 2020 wurden am Montag in den vergangenen 24 Stunden weniger als 100 Corona-Neuinfektionen vermeldet. Die Anzahl der Geimpften wächst, die Temperaturen wandern nach oben, und das Leben im Freien ruft. Die in der Vorwoche angekündigten Lockerungen wie das Entschärfen der Maskenpflicht und das Öffnen der Nachtgastronomie schüren die Sehnsucht nach einem Sommer wie früher. Zuletzt hat nun Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sogar ein Ende der Maskenpflicht in Handel und Öffis in Aussicht gestellt.
Konkret soll vorerst dort, wo "3G" gilt (Zugang nur für Geimpfte, Getestete, Genesene), ab 1. Juli die Maskenpflicht auch indoor fallen. Ab 22. Juli soll nur noch in Öffis und Geschäften des täglichen Bedarfs ein Mund-Nasen-Schutz (MNS) zu tragen sein, eine FFP2-Maske in Spitälern und Pflegeheimen. Entwickle sich die Situation weiterhin gut, werde es aber auch im Handel und in den Öffis weitere Erleichterungen geben, sagte Kurz zur Tageszeitung "Österreich". "Wenn möglich, dann werden wir auch dort reduzieren", wurde er am Sonntag zitiert. Mit 22. Juli werde man jedenfalls weitere Lockerungen vornehmen, resümierte daraufhin auch Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne).
Nicht zu 100 Prozent immun
Markus Zeitlinger, Leiter der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie, und Hans-Peter Hutter, stellvertretender Leiter der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin an der MedUni Wien, warnen jedoch: Selbst nach einer sogenannten Vollimmunisierung gegen das Virus ist man nicht zu 100 Prozent immun. Vor der indischen Delta-Variante ist man zudem nicht gleichwertig geschützt.
Die Impfung sei zweifellos wichtig und einer der wesentlichen Schritte zur Bekämpfung der Pandemie - allzu sorglos dürfe man jetzt mit dem Virus allerdings nicht umgehen. Auch SPÖ-Bundesparteichefin Pamela Rendi-Wagner und der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) haben am Montag zur Vorsicht beim Lockern der Corona-Maßnahmen gemahnt. Unmittelbar danach schloss sich Kärnten an: Man schließe nicht aus, dass man die von der Regierung angekündigten Lockerungen nicht zur Gänze mittragen werde, hieß es aus dem Büro von Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ). Regionale oder lokale Maßnahmen seien möglich.
Aktuellen Kohortenstudien zufolge seien alle vier Impfstoffe, die derzeit in Österreich gegen eine Erkrankung mit dem Coronavirus geimpft werden, effektiv, präzisiert Zeitlinger im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Egal, ob von AstraZeneca, Biontech/Pfizer, Moderna oder Janssen (Teil von Johnson & Johnson): Sie schützten auf jeden Fall vor einem schweren Verlauf der Krankheit und helfen somit, die Anzahl der Intensivpatienten drastisch zu reduzieren.
Mischimpfung: Wenige Daten
Nach der ersten Teilimpfung sei man jedoch nur zu 50 Prozent und nach der zweiten zu 80 bis 90 Prozent geschützt, sagt Zeitlinger. Und: Bei der ansteckenderen Delta-Variante sei der Schutz nach der ersten Teilimpfung um 20 Prozent und nach der zweiten um zehn Prozent geringer. Auch dafür, ob Teilimpfungen mit unterschiedlichen Impfstoffen gleich wirksam sind, gibt es laut Zeitlinger "noch nicht ausreichend Daten".
Allein der vergangene Sommer 2020 habe gezeigt, dass ein zu lockerer Umgang mit dem Virus fatale Folgen haben könne: Die im Herbst folgende zweite Welle mündete in einen nächsten Lockdown. "Das war nicht nur dem Zyklus des Virus, sondern auch dem Verhalten der Menschen geschuldet - es ist immer eine Mischung aus beidem", sagt Zeitlinger.
Damals war freilich noch niemand geimpft. Die ersten Impfungen wurden im Dezember 2020 verabreicht, aktuell haben laut Mückstein 50,14 Prozent aller Menschen zumindest einen ersten Stich erhalten. Aber, so Hutter, eine potenzielle Gefahr bei den Geimpften sei nun zum Beispiel, dass einige von ihnen erkranken und das Virus weitergeben - und zwar, ohne es zu merken. Diese Möglichkeit und damit die symptomlosen Kranken dürfe man nicht komplett ignorieren.
Um dem vernünftig zu begegnen, "kann man zwar den Sommer genießen und sich entspannen, keine Frage", sagt Hutter, "die Lockerungen entbinden uns aber nicht von einer gewissen Umsicht, was das Ansteckungsrisiko betrifft." Vor allem Risikogruppen wie chronisch Kranken rät Hutter, nach wie vor eine FFP2-Maske zu tragen. Denn die partikelfilternden, dicht sitzenden Schutzmasken der Klassen FFP1 bis FFP3 dienen dem Selbst- und Fremdschutz, der MNS schützt nur das Gegenüber (und FFP-Masken mit Ventil nur einen selbst).
Auch ein gewisser Abstand zum Gegenüber und das regelmäßige Händewaschen seien wichtige Vorsichtsmaßnahmen und "absolut zumutbar", so Hutter. Auf jeden Fall dürfe man nicht zu leichtfertig mit der Situation umgehen und nicht vergessen: "Die Lockerungen, wie sie demnächst kommen, haben wir uns hart erkämpft."