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Jetzt regiert der Stärkere

Von Klaus Huhold und Michael Schmölzer

Politik

Der US-Präsident zwingt der Welt sukzessive seine Sicht der Dinge auf. Die EU will sich gegen Trumps Aggression wehren.


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Washington/Wien. Eines kann man US-Präsident Donald Trump wahrlich nicht vorwerfen: dass er seine Wahlkampfversprechen nicht einhalten würde. Das Atomabkommen mit dem Iran? Bezeichnete er als den schlechtesten Deal aller Zeiten. Nun hat er ihn einseitig gekündigt.

Die US-Botschaft in Israel? Gehört nach Jerusalem verlegt. Das haben schon andere US-Präsidenten gefordert, der zum Politiker gewandelte Immobilien-Tycoon hat es tatsächlich gemacht.

Der Klimawandel? Eine Erfindung, um die US-Wirtschaft zu schwächen. Und schon sind die USA nicht mehr Teil des Pariser Abkommens.

Der internationale Handel? Bringt den USA Nachteile. Diese würden durch den massiven Import von deutschen Autos und chinesischem Spielzeug die dortigen Volkswirtschaften aufpäppeln, während in den Vereinigten Staaten die Fabriken schließen müssten. Sagte Trump und brach einen Handelskrieg vom Zaun.

Mit seinen Entscheidungen und auch seiner diesbezüglichen Konsequenz mag Trump bei seinen Anhängern Begeisterungsstürme auslösen. International stößt er jahrzehntelange Verbündete der USA vor den Kopf und löst massive Verwerfungen aus. In seinem Gehabe wirkt Trump sprunghaft und wie ein Irrlicht, in der Gesamtschau seiner Politik wird aber eine Linie deutlich, die Trump knallhart durchzieht: "America first" ist mehr als ein Slogan, es ist die Richtschnur der Trump’schen Administration, der ohne Rücksicht auf Verluste alles untergeordnet wird.

Getragen wird diese auch von Hardlinern wie dem Nationalen Sicherheitsberater John Bolton. Trump und sein Kabinett glauben nicht an die Segnungen der internationalen Kooperation, was sich schon allein daran zeigt, dass sie von US-Vorgängeradministrationen abgeschlossene Verträge einseitig aufkündigen. Sie folgen vielmehr dem Recht des Stärkeren. Und die USA demonstrieren unter Trump noch einmal, wie mächtig sie sind: Alle anderen Staaten starren gebannt nach Washington. Der frühere Reality-TV-Star Trump provoziert und polarisiert - und ist gleichzeitig der Schrittmacher der internationalen Politik, auf den die anderen Staaten reagieren müssen.

Jetzt will die EU Stärke beweisen

Die EU hat es lange mit Reden versucht, ein hochrangiger Politiker nach dem anderen ist nach Washington geflogen, um die USA im Atomabkommen mit dem Iran, das jahrelang unter mühseliger Kleinarbeit ausgehandelt wurde, zu halten. Genützt hat es nichts. Nun will die EU offenbar Stärke beweisen. "Eines ist mir völlig klar: Trump verachtet Schwächlinge", sagte Kommissar Günther Oettinger dem "Deutschlandfunk". "Wenn wir Schritt für Schritt nur nachgeben und uns fügen, wenn wir also eine Art Juniorpartner der USA werden, dann wären wir verloren."

So möchte die EU im Streit um das Iran-Abkommen nun zu ihrer denkbar schärfsten Gegenmaßnahme greifen: Die EU-Kommission begann am Freitag damit, das sogenannte Blockade-Statut von 1996 zu reaktivieren.

Mit dem Blockade-Statut ist es EU-Firmen verboten, sich an jene Sanktionen zu halten, die von den USA nach ihrem Austritt aus dem Atom-Abkommen mit dem Iran angedroht wurden. Zudem werden keine US-Strafmaßnahmen gegen Firmen anerkannt, die Handel mit dem Iran betreiben. Auch Entschädigungszahlungen für europäische Firmen, die in den Strudel der US-Gerichtsverfahren und -Strafen kommen, sind vorgesehen.

Das alles hört sich tatsächlich nach einer harten europäischen Antwort an. Es wird sich aber erst weisen, ob die EU dabei eine Einheit bleiben wird. Maßnahmen würden innerhalb von zwei Monaten greifen, sofern das EU-Parlament und die Mitgliedsländer dies nicht zurückwiesen, teilte die EU-Kommission mit. Einige Staaten könnten bald ausscheren. Aus Deutschland kommen bereits entsprechende Töne, und zwar von niemand Geringerem als Kanzlerin Angela Merkel, dass man die Wirkmächtigkeit der EU nicht überschätzen solle.

Am Ende könnten die USA wieder einmal am längeren Ast sitzen. Zumal sie einen großen Trumpf in der Hand halten: Auf den Rohstoffmärkten und im Bankenwesen werden die meisten Geschäfte nun mal in Dollar abgewickelt, und die USA können dadurch Konzerne von diesen abschneiden. Wer wird das riskieren wollen, um mit dem Iran Geschäfte zu machen? Schutz der EU hin oder her.

Das Beispiel Iran zeigt, in welche Unsicherheiten die Trumpsche Politik die Welt führt. Die Ölpreise haben nun jedenfalls einen Höchststand erreicht - ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent zur Lieferung im Juli kostete diese Woche bereits 80 Dollar -, und der große Preistreiber war laut Analysten die Sorge vor einer Angebotsverknappung aufgrund der US-Sanktionen gegen das wichtige Förderland Iran. Und der große chinesische Technologiekonzern ZTE wäre fast pleitegegangen, weil er verurteilt wurde, gegen die Iran-Sanktionen verstoßen zu haben. Plötzlich will Trump ihn aber begnadigen und US-Firmen doch erlauben, mit ZTE wieder zu handeln.

Angeblich hat China den USA dafür angeboten, mehr Agrarprodukte aus den USA zu importieren. Erst am Freitag war eine hochrangige Delegation in Washington, um im Handelstreit zu verhandeln. Trump wirft den Chinesen Diebstahl geistigen Eigentums vor und hat bereits chinesische Waren mit Strafzöllen belegt. Die Volksrepublik hat nun angeblich Gegenvorschläge gemacht, wie das Handelsdefizit der USA mit China abgebaut werden könne. Keiner weiß allerdings, wie diese Verhandlungen ausgehen - oder ob die EU weiterhin von den US-Strafzöllen ausgenommen sein wird. Die Sprunghaftigkeit ist Teil der Trump’schen Verhandlungstaktik.

Im Handelsstreit sitzen nun plötzlich China und die EU in einem Boot, wenn auch mit Abstrichen. Die EU hat auch kein Interesse an einem gegenseitigen Hochschrauben der Zölle, allerdings fürchtet auch sie den Diebstahl geistigen Eigentums.

Überhaupt ist die Welt derzeit so durcheinadergewürfelt, dass Blöcke und Länder Freund und Feind zugleich sind. Angela Merkel hat am Freitag Russlands Präsident Wladimir Putin in Sotschi besucht. In der Iran-Frage sind die EU und Russland klar auf einer Linie. Gleichzeitig muss sich die EU, und das am besten gemeinsam mit den USA, gegen die russischen Cyberangriffe und den Angriff aus Moskau gegen die Demokratie wehren.

Eine neue Weltordnung -aber wie sieht sie aus?

Trumps Politik ist derzeit der bestimmende Grund dafür, dass sich die Welt rasanter verändert, als es viele wahrhaben wollen. Bestehendes wird von dem Ex-Tycoon mit dem Vorschlaghammer zerschlagen, neue Situationen werden geschaffen. Die Frage ist, wie die neue Weltordnung, die im Entstehen begriffen ist, aussehen wird.

Die US-Politik des "America first" zeigt, wie stark Washington auf der internationalen Bühne ist. Gleichzeitig liegt für Experten auf der Hand, dass durch ihren Isolationismus der Einfluss der USA auf lange Sicht abnimmt. Die ungeklärte Frage ist, ob die Ära Trump als Intermezzo in die Geschichtsbücher eingeht oder als Anfang vom großen Abstieg der USA. Die Führungsrolle, was die Verbreitung von Freiheit und Demokratie betrifft, haben die USA jedenfalls eingebüßt. Trump hat ein Faible für autoritäre Machthaber, die er im Rahmen seiner Möglichkeiten nachzuahmen versucht. Die Gewaltenteilung und und der Rechtsstaat stehen ihm hier ihm Weg.

Absehbar ist, dass die Macht der USA ab-, die der Chinesen zunimmt. Es ist davon auszugehen, dass Chinas Wirtschaft um die fünf bis sechs Prozent jährlich wachsen wird. Der Strukturwandel ist voll im Gange, China ist vor allem die Wirtschaftslokomotive, die die Schwellen- und ärmeren Länder mitzieht. Tatsache ist aber auch, dass China selbst mit massiven Problemen kämpft. Der Gegensatz zwischen Arm und Reich ist enorm und spaltet das Land. Das politische System macht das Land anfällig für Misswirtschaft und Korruption. Dass Präsident Xi Jinping seine Macht nun auf unbestimmte Zeit ausdehnen lässt, spricht ebenfalls nicht für Modernisierung. Dazu kommen massive Probleme im Umweltbereich.

Eine Übernahme der globalen Führungsrolle in rasantem Tempo durch China scheint unter diesen Vorzeichen unwahrscheinlich. Die Rechnung "Der Osten gewinnt, der Westen verliert" geht nach Ansicht der Ökonomin und Politologin Clara Brandi nicht auf. Schon deshalb, weil es im Osten keinen einheitlichen Block gebe. Indien und China stünden in Konkurrenz zueinander. Ein eindeutiger Hegemon fehle, auch wenn China klar den Führungsanspruch stelle. Es gebe auch keine gemeinsame Ideologie und keinen gemeinsamen Feind, der die Akteure in Asien zusammenführen würde.

Es deutet vieles darauf hin, dass der wirtschaftliche Austausch weltweit in den kommenden Jahren zurückgeht. Die internationale Arbeitsteilung nimmt ab, Produkte werden teurer. Trump negiert konsequent die Fehler der 1930er Jahre, als die Große Depression einen Handelskrieg zur Folge hatte, der den internationalen Austausch weitgehend zum Erliegen brachte. Laut dem Wirtschaftsprofessor Henrik Müller, weist vieles darauf hin, dass schon in einigen Jahren Zölle, Einfuhrverbote und Währungsabwertungen als Waffen im Wirtschaftskrieg eingesetzt werden.

Wirtschaft ist für Trump eine kriegerische Veranstaltung, Krieg mit anderen Mitteln. In seiner Welt wird nicht kooperiert, sondern gekämpft, es kann nur Sieger und Unterworfene geben, es ist ein Spiel jeder gegen jeden. Dabei kann es sehr schnell geschehen, dass im Kampf um kurzfristige Vorteile fragile, aber für die internationale Stabilität sehr wichtige Kooperationen und Vernetzungen zerstört werden. Nur eine davon ist die internationale Handelsordnung, die seit den 1940er Jahren in mühevoller Arbeit aufgebaut worden war.

Es ist schon jetzt absehbar, dass nach vier Jahren Donald Trump die ordnenden Kräfte wie UNO und Welthandelsorganisation (WTO) geschwächt sind. Die Politologin Clara Brandi zweifelt daran, ob die WTO demnächst überhaupt noch handlungsfähig sein wird. Trump bricht internationale Regeln oder versucht, sie zu demontieren. Er nutzt das Überraschungsmoment und säht Zwietracht.

Europa und der Rest der Welt haben Vertrauen verloren

An den jüngsten Wortmeldungen von EU-Ratspräsident Donald Tusk und auch Angela Merkel lässt sich klar ablesen, dass die Europäer wie auch der Rest der Welt kein Vertrauen mehr zu Washington haben und sich schon deshalb mehr auf sich selbst besinnen müssen. Obwohl man das eigentlich nicht will. Denn das Problem ist, dass Europa alleine nicht stark genug ist, um die aus dem Ruder geratenen USA wieder einzufangen und global für Stabilität zu sorgen.

Zumal sich auch innerhalb der EU Auflösungstendenzen bemerkbar machen. Die möglicherweise, neue populistische Regierung in Italien will EU-Standards nicht respektieren, sie sieht gerade die EU als Ursache zahlreicher Probleme in Italien. Die EU will, auch auf Druck der USA, eine eigene, schlagkräftige Verteidigungsgemeinschaft aufbauen. Ein weiterer Schritt, der zur Zersplitterung der Kräfte weltweit beiträgt.

Großer Verlierer der US-Politik sind die schwachen Staaten und die, die nicht von einem funktionierenden System der Kooperation aufgefangen werden. Die Abkopplung Großbritanniens von der EU könnte sich für die Insel als fatal erweisen. Die Briten laufen Gefahr, als isolierte Kleinmacht unter die Räder zu kommen.

Amerikas Rückzug von der Weltbühne hinterlässt ein Vakuum, das zum Teil von anderen Mächten gefüllt wird. Interessenssphären bilden sich, Hegemonialmächte rüsten auf und beäugen einander misstrauisch. So könnte die Welt in den 2020er Jahren aussehen: Die USA werden Europa und Asien den Rücken gekehrt haben, China wird im pazifischen Raum immer mächtiger sein. Russland herrscht über seine angestammte Einflusssphäre aus UdSSR-Zeiten, Indien und Brasilien versuchen mitzuhalten. Afrika spielt, wie in der vergangen Jahrzehnten, kaum eine Rolle. Eine multipolare Welt entwickelt sich immer rascher, die Welt wird komplexer, hier sind sich die meisten Experten einig.

Damit wäre die Welt ein höchst unsicherer Ort. Dass die Entwicklung in die beschriebene Richtung geht, zeigt sich bereits im Nahen Osten, der sensibelsten Region der Welt, die am raschsten auf neue Konstellationen reagiert. Der Friedensprozess ist auf absehbare Zeit tot, die Spannungen nehmen an Intensität zu. Neue Konfliktlinien entstehen. Israel attackiert den Iran militärisch auf syrischem Gebiet, die Spannungen zwischen Saudi-Arabien und dem Teheran nehmen zu, die Verzweiflung der Palästinenser und die Zahl der Toten steigt.