EU-Karriere: Der Bewerbungsprozess dauert fast ein Jahr. | Gesucht werden Wettbewerbsrechtler und Ökonomen. | Wien."Man entwickelt eine europäische Perspektive, kleinpolitischer Hickhack aus Österreich kommt einem da oft lächerlich vor", erzählt Martina S. Die 36-jährige Juristin arbeitet seit fünf Jahren in Brüssel. Das multikulturelle Umfeld und der "informelle Umgang" miteinander zogen die Steirerin in die EU-Metropole. Im "Quartier européen" tummeln sich auf wenigen Quadratkilometern die meisten EU-Beamten - allein rund 23.000 Personen sind es in der EU-Kommission.
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Die Kennung der EU-Karrieristen: Codierte Plastikkärtchen, Übersetzungs-Kopfhörer, Aktentaschen.
Ein Arbeitsplatz im Schmelztiegel Europas ist für viele ein Traumjob. Europas Sterne hängen hoch, sie sind aber erreichbar.
Wer einen Job in den EU-Behörden anpeilt, bekommt es gleich zu Beginn mit Epso zu tun. Hinter diesem Kürzel verbirgt sich das Amt für Personalauswahl der Europäischen Union, bei dem sich Interessierte online registrieren sowie ihre Bewerbung und den Lebenslauf hinaufladen können.
Voraussetzung für eine Karriere bei Kommission, Rat oder Parlament ist dann ein zweistufiges Aufnahmeverfahren. Es findet einmal jährlich statt und ist seit heuer neu konzipiert. So gilt nicht mehr das veraltete Modell des "Concours", bei dem die Faktenabfrage dominierte. Nach einem internationalen System, wie es beispielsweise Großkonzerne oder Elite-Universitäten verwenden, werden zunächst in einem computergestützten Multiple-Choice-Test Logik und Textverständnis geprüft. Der Test findet in jedem EU-Land in Englisch oder Französisch statt - ab Sommer 2010 auch in Deutsch, ab 2011 in jeder gewünschten EU-Sprache.
Die besten Bewerber erhalten eine Einladung zur Endrunde ins Assessment Center nach Brüssel, wo mittels Fallstudien und Interviews einen Tag lang Fachwissen und soziale Kompetenz getestet werden.
"Nicht nur das Beherrschen von zwei Fremdsprachen, auch Organisationsfähigkeit, Teamfähigkeit und interkulturelle Kompetenz sind wichtige Aufnahmekriterien", weiß Sabine Piska-Schmidt, Verantwortliche für EU-Jobs im Bundeskanzleramt.
50.000 Kandidaten
Ausdauer gehört ebenfalls dazu: Immerhin dauert das Job-Auswahlverfahren fast ein Jahr. Eine Länderquote gibt es in der Einstellungspraxis genauso wenig wie eine Frauenquote.
"Europaweit haben sich heuer 50.000 Menschen beworben, davon werden die 1000 Besten übernommen", so Piska-Schmidt. Sie landen auf Reservelisten, von denen die EU-Institutionen Mitarbeiter rekrutieren. Die Sachgebiete umfassen: Europäische öffentliche Verwaltung, Recht, Wirtschaft, Audit, Informatik und Kommunikationstechnologien sowie Sprachen. Besonders gefragt sind derzeit laut der EU-Job-Koordinatorin Wettbewerbsrechtler, Industrieökonomen und IT-Experten.
Die Vertragsverhältnisse in den europäischen Institutionen reichen vom Praktikum über Zeitarbeitskräfte bis hin zum fixen Beamtenjob. Bezahlt wird in der EU nach 16 Besoldungsgruppen. Das monatliche Einstiegsgehalt eines Hochschulabsolventen beträgt rund 4200 Euro netto - 12 Mal im Jahr. Dazu kommen diverse Familienzulagen für Haushalt, Kinder und Kinderbetreuung.
Liebe auf zweiten Blick
Wen es jedoch nur wegen der Marie und der üppigen Buffets in die EU-Metropole verschlägt, der wird bald sein blaues Wunder erleben: "Auf der Karriereleiter nach oben kommt meist nur, wer mit Fachwissen und guten Netzwerken punkten kann", erzählt die EU-Mitarbeiterin Martina S. "Leute treffen und der regelmäßige Besuch von Abendveranstaltungen sind ein Muss", betont sie.
Ebenso dürfe niemand erwarten, nach zwei Jahren an eine EU-Stelle in Wien zurückkehren zu können. Eher muss man auf einen Wechsel zum Europäischen Rechnungshof oder Gerichtshof nach Luxemburg oder zu den EU-Parlamentariern nach Straßburg gefasst sein. Und auf noch etwas sollten künftige EU-Beamte vorbereitet sein: Brüssel kann von der Attraktivität her nicht mit New York oder London mithalten.
Dennoch: "Man muss sich auf die Stadt einlassen und ihr eine zweite Chance geben", weiß Martina S. aus eigener Erfahrung.
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