Joe Bidens Angst um die Demokratie wird von den Wählern nicht geteilt. Ihnen geht es vor allem um die Wirtschaft.
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"It’s the economy, stupid!" Vor 30 Jahren wurde der mittlerweile geflügelte Satz im Wahlkampflager von Bill Clinton geboren. Mit Erfolg. Der Demokrat Clinton wurde Präsident, der Republikaner George Bush musste nach nur einer Amtszeit das Weiße Haus räumen.
Clinton und seine Strategen wussten, was die US-Amerikaner mehrheitlich vereint: die Sorge um die Wirtschaft, die Sorge um das eigene Geld. Damals wie heute. Zwar ist der US-Arbeitsmarkt noch robust, aber die Inflation ist auch in den USA sehr hoch. Gegen die Geldentwertung steuert die US-Notenbank mit großen Zinsschritten entgegen - was aber wiederum Kredite teurer macht. Und die Investitionen bremsen könnte.
So ist es kaum verwunderlich, dass laut einer Umfrage von CNN 51 Prozent von potenziellen Wählern die "Wirtschaft" als die derzeit wichtigste Herausforderung ansehen. Das bedeutet, für eine Mehrheit ist die ökonomische Situation der ausschlaggebende Grund für den Gang zur Wahlurne und das Kreuz am Stimmzettel bei den Midterm Elections am Dienstag kommender Woche.
Dabei haben demokratisch gesinnte US-Amerikaner lange Zeit gehofft, dass zumindest das großflächige Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen die US-Amerikaner und vor allem US-Amerikanerinnen entsetzt an die Urnen treibt. Fast die Hälfte aller Bundesstaaten haben schon den Schwangerschaftsabbruch verboten oder planen, es in Kürze zu tun. In vielen Bundesstaaten ist sogar ein Abbruch im Fall von Vergewaltigung oder Inzest verboten.
Aber unzählige Berichte zeugen davon, dass Schwangerschaftsabbrüche für viele erst dann ein Thema sind, wenn sie persönlich betroffen sind. In der Umfrage sagten nur 15 Prozent der Wähler, dass die Autonomie über den eigenen Uterus für sie ausschlaggebend an der Urne sein wird.
Dazu kommt, dass die Biden-Administration sogar zugegeben hat, bei dem nationalen Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen hilflos zu sein. Abhilfe könnte nur eine qualifizierte Mehrheit in den Kongresskammern bringen. Dann können die Demokraten ein Gesetz beschließen und somit das Urteil des Obersten Gerichts revidieren. Das geht einigen Frauenrechtsgruppen nicht weit genug, die argumentieren, Biden hätte einseitig entweder einen nationalen Gesundheitsnotstand ausrufen können oder wenigstens Schwangerschaftsabbrüche auf indigenem Land garantieren lassen. Auf beide Vorschläge ist man im Weißen Haus nicht näher eingegangen, man wollte die Frage offenbar für die Midterm Elections aufheben. Vergeblich. Wo es doch wieder auf die Wirtschaft hinauszulaufen scheint.
Hier haben sich Bidens Demokraten eventuell verkalkuliert. Zumindest was die Optik betrifft.
Denn an und für sich geht es der US-Wirtschaft - angesichts der Umstände in der Weltwirtschaft - gar nicht so schlecht. Aktuellen Zahlen vom Freitag zufolge sind - außerhalb der Landwirtschaft - im Oktober 261.000 Stellen dazugekommen. Für die Ökonomen im Weißen Haus bewegt sich diese Zahl genau innerhalb der erwünschte Menge - weder zu wenig noch zu viel. Denn es gibt auch ein Zuviel an neuen Jobs: Vor einem Jahr wurden unter Biden (aber natürlich im Fahrwasser der Pandemie) mehr als 650.000 neue Jobs im Oktober und November verzeichnet. Mit dieser Geschwindigkeit konnte es nicht weitergehen, das bringt die Wirtschaft zum Überhitzen. Biden versucht seit Monaten, die Entwicklung etwas abkühlen zu lassen, um die Inflation in den Griff zu bekommen. Denn, das wissen auch die Demokraten, die Preissteigerung ist ein mächtiges Thema für die Republikaner. Derzeit steigen die Löhne zwar stark an, allerdings noch nicht im Ausmaß der Inflation. Es scheint, als würde die US-Wirtschaft nach den Jahren der Pandemie und im Umfeld der steigenden Energiepreise wieder etwas konstanter werden.
Joe Biden erklärte zuletzt, die US-Wirtschaft sei verdammt stark. Und wirklich: Anders als in Europa dürfte eine Rezession ausbleiben.
Der demokratische Wahlkampf spiegelt das aber nicht wider. Im Oktober haben die Demokraten 214 Millionen US-Dollar für Fernsehwerbung ausgegeben, die Schwangerschaftsabbrüche thematisiert. Das war fast die Hälfte des monatlichen Werbeetats der Demokraten. Laut CNN-Analyse wurden dagegen vergleichsweise mickrige 68 Millionen US-Dollar für Werbung gezahlt, die Steuern thematisiert - und Inflation war ihnen weniger als 18 Millionen Dollar wert. Zum Vergleich: Die Republikaner haben fast 144 Millionen US-Dollar für Werbeschaltungen zu Steuerfragen ausgegeben und fast 77 Millionen US-Dollar für die Thematisierung der Inflation.
Bidens Herzensthemen ziehen nicht
Weit weg vom schnöden Mammon scheint das Steckenpferd Joe Bidens zu sein: nämlich die Gefahr für die US-Demokratie, die Gefahren für die US-Institutionen und die US-Werte. Die Tatsache, dass Wahlen angezweifelt werden. Dass der Sturm auf das Kapitol nicht nur Demokraten Angst einflößt. Dass vermeintlich unabhängige Höchstrichter ihre Versprechen in Sachen Frauengesundheit brechen.
Joe Biden flehte zuletzt die Wähler an: Sie sollen ihn nicht mit Gott messen, sondern bloß mit der Alternative. Und wer könnte in Bidens Welt schlimmer sein als jene Politiker, die die Verfassung nicht ernst nehmen? Das war schließlich sein Hauptmotiv, weshalb sich Biden für die Präsidentschaft 2020 beworben hatte. Die Rettung der US-Demokratie vor dem Sumpf des Populismus, dem Trumpismus, das ist Bidens Herzensthema. Doch es ist nicht das Herzensthema der Wähler. Einer Umfrage von "New York Times" und Siena Collage zufolge glauben zwar 71 Prozent der Wähler, dass die Demokratie in Gefahr sei - doch nur für sieben Prozent ist das derzeit das wichtigste Thema. Damit konnte Biden in den zwei Jahren zwar die Gefahr der Demokratie auf der Landkarte der Wähler etablieren. Aber wenn es um die Attraktivität der Themen geht, so haben Versprechen auf niedrigere Steuern ganz klar einen Vorsprung.
Wenige Amerikaner verfolgen die Außenpolitik
Auch ein anders Steckenpferd Bidens lockt kaum einen Wähler hinter dem Ofen hervor: nämlich die Außenpolitik. Biden war bekanntlich acht Jahre lang Vize-Präsident unter Barack Obama. Die erste Lebenshälfte des fast 80-Jährigen war zudem geprägt vom Kalten Krieg - einen Gutteil davon war Biden schon politisch aktiv. Transnationale Bündnisse haben für Biden einen ganz anderen Stellenwert als für seinen Vorgänger im Präsidentenamt, Donald Trump.
Biden reiste nach Europa, er warnte vor China. Und er reiste in den Nahen Osten. Hier hat er allerdings keinen besonders schlanken Fuß gemacht - für jene US-Amerikaner, die die Außenpolitik verfolgen. Denn ähnlich wie die EU-Politiker, die nach der Eskalation mit Russland und den Sorgen um die Versorgungssicherheit in Sachen Erdöl die Nähe zu dem saudischen Kronprinzen nicht mehr gescheut haben, so hat auch Biden Mohammed bin Salman seine Aufwartung gemacht und ihn mit einem jovialen "Fist Bump" begrüßt. Dabei hatte Biden in seinem Wahlkampf noch versprochen, dass die saudische Regierung für den Mord an dem Journalisten Jamal Khasohggi büßen werde.
Trotzdem kann Biden außenpolitisch klare Erfolge verbuchen. Dank des Russland-Kriegs sind die G7 und die Nato näher zusammengerückt. Die Nato steht vor der Erweiterung. Und Biden gilt als der logische Anführer des Westens. Der Ukraine wurden bereits Waffen und Ausrüstung im Wert von mehr als 7,3 Milliarden US-Dollar zugesagt. Die Frage ist, ob das die Wähler daheim überhaupt registriert haben.