Mit dem Amerika-Gipfel wollte der US-Präsident die angeknacksten Beziehungen mit den südlichen Nachbarn reparieren.
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Als die Vereinigten Staaten im vergangenen Jahr ankündigten, den nächsten Gipfel der Organisation Amerikanischer Staaten ausrichten zu wollen, waren die Erwartungen im Team des neuen US-Präsidenten Joe Biden groß gewesen. Nach der erratischen Amtszeit von Bidens Vorgänger Donald Trump sollte das Spitzentreffen nicht nur helfen, die durch die "America First"-Politik schwer in Mitleidenschaft gezogenen Beziehungen mit den mittel- und südamerikanischen Staaten wieder zu reparieren. Die Regierung in Washington erhoffte sich auch, ein paar geopolitische Pflöcke einschlagen zu können, nachdem der chinesische Einfluss in der von den USA lange Zeit als Hinterhof betrachteten Region deutlich zugenommen hatte. Staatsnahe chinesische Unternehmen hatten in den vergangenen Jahren mit großem Mitteleinsatz zahlreiche Infrastrukturprojekte in Lateinamerika vorangetrieben, für viele Länder ist die Volksrepublik mittlerweile auch der wichtigste Handelspartner.
Doch der in Los Angeles abgehaltene Amerika-Gipfel hat bereits für schlechte Stimmung gesorgt, bevor er noch begonnen hat. Der mexikanische Präsident Andres Manuel López Obrador machte einen Tag vor der Eröffnung am Dienstag seine Drohung wahr und sagte seine Teilnahme ab, nachdem die links und autoritär regierten Länder Kuba, Nicaragua und Venezuela von den USA nicht eingeladen worden waren. Lopez Obrador wolle damit gegen die seit "Jahrhunderten" andauernde Politik der "Ausgrenzung" protestieren, erklärte die Präsidentschaftskanzlei in Mexico-City.
Handel als Schlüssel
Nicht nach Los Angeles kommen werden deswegen auch die Staatschefs von Honduras, Guatemala und Bolivien. Für Biden, der am Mittwoch zu seinen bereits zuvor angereisten Amtskollegen stoßen will, dürfte es damit schwierig werden, zusammen mit den südlichen Nachbarn eine gemeinsame und langfristige Vision für den Doppelkontinent zu entwickeln - zumal sich auch andere lateinamerikanische Länder zunehmend vom Führungsanspruch der USA distanzieren.
"Die große Frage ist, ob die Amerika-Gipfel eine Zusammenkunft aller Länder dieser Hemisphäre sind oder nicht", sagt Michael McKinley, früherer US-Botschafter in Peru und nunmehr Berater am Center for Strategic and International Studies gegenüber der "Washington Post".
Eine gemeinsame Stoßrichtung dürfte es wohl am ehesten in wirtschaftlichen Fragen geben. Vielen Staaten Lateinamerikas haben die zwei Pandemie-Jahre stark zugesetzt und gerade in den Handelsbeziehungen, die auch unter Biden keine substanzielle Abkehr von der protektionistischen Politik der Trump-Ära erfahren haben, gibt es für beide Seite noch Luft nach oben. Schon jetzt versucht Washington zahlreiche Initiativen zu setzen, um die Lieferketten weniger verletzlich zu machen und wichtige Produktionsprozesse aus China in die geografisch näher liegenden Länder Lateinamerikas zu holen. Umfassende Kooperationsmöglichkeiten gibt es zudem im Bereich Klimaschutz.
Aus Sicht von Eric Farnsworth, dem Vizepräsident des Council of the Americas, sollte die US-Regierung beim Gipfel in Los Angeles daher nicht weit hinter jenem Handelsabkommen zurückbleiben, das Biden bei seiner Asien-Reise vor einigen Wochen mit den Pazifikanrainerstaaten vereinbart hat. Doch ob der US-Präsident, der für das Treffen tatsächlich eine neue Handelsinitiative angekündigt hat, bereit ist, so weit zu gehen, ist fraglich. Denn im Vergleich zur Indo-Pazifik-Region dürfte Biden Lateinamerika als geostrategisch deutlich weniger wichtig einschätzen, und eine allzu großzügige Freihandelsregelung würde in den USA wohl massiven Widerstand auslösen.
Migration als Bidens Kernanliegen
Noch schwieriger als beim Thema Handel dürfte eine Annäherung freilich bei Bidens zweitem Kernanliegen sein. Denn ein regionales Abkommen zur Eindämmung der Migration, das Biden vor den wichtigen Midterm-Wahlen im November als Erfolg präsentieren könnte, stößt in Mexiko und den anderen mittelamerikanischen Ländern bisher auf wenig Gegenliebe. So wollen die USA zur Bekämpfung von Fluchtursachen zwar viele Millionen Dollar in die betroffenen Länder pumpen, um dort die größte Not zu lindern, gleichzeitig fordert die Regierung in Washington aber auch eine entschiedene Bekämpfung von Korruption und Misswirtschaft, die sie ebenfalls als Migrationstreiber ansieht.
Für den Präsidenten geht es dabei um viel. Denn obwohl Biden seine Vizepräsidentin Kamala Harris persönlich beauftragt hat, Lösungen für die von den Republikanern politisch ausgeschlachtete Migrationskrise zu finden, hat sich an der Gesamtsituation kaum etwas geändert. Erst am Montag machten sich mehrere tausend Migranten im Süden Mexikos auf den Weg, um in die Vereinigten Staaten zu gelangen.