Die Bilanz einer transatlantischen Expertise - und die Frage, was der künftige US-Präsident für die Region tun wird.
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Die Außenpolitik ist sicherlich eine der stärksten Seite des designierten US-Präsident Joe Biden. Schließlich war er als langjähriger Senator (1973 bis 2009) Mitglied und später Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Beziehungen, bis er unter dam damaligen US-Präsident Barack Obama das Amt des Vizepräsidenten (2009 bis 2017) übernahm. Der Balkan stellt dabei eine Region Europas dar, in der Biden sich schon seit den 1990ern engagierte und folglich eine große Expertise gewann.
Nachdem Biden 1993 Sarajevo besucht hatte, warnte er den damaligen US-Präsidenten Bill Clinton vor serbischer Aggression in Bosnien: Wenn die Serben nicht gestoppt würden, werde es in Bosnien einen Völkermord geben. Der damalige US-Außenminister Warren Christopher stimmte nicht mit Bidens Einschätzungen überein - aber zwei Jahre später trat genau das ein, was Biden hatte verhindern wollen: der Völkermord in Srebrenica. Darüber hinaus war Biden auch überzeugt, dass sich der serbische Präsident Slobodan Milosevic, wenn er in Bosnien freie Hand bekäme, mutig fühlen würde, mit militärischer Gewalt gegen die Kosovo-Albaner vorzugehen. Biden sollte rechtbehalten, wie sich Ende der 1990er zeigen sollte.
Frühere Balkan-Besuche
Schon in den 1970er Jahren hatte Biden die Bühne auf dem Balkan betreten. Als 37-jähriger Senator traf Biden 1979 den jugoslawischen Präsidenten Josip Broz Tito während seines erstens Besuches in Jugoslawien zur Beerdigung von Edward Kardelj (einem kommunistischen Politiker und Wegbegleiter Titos). Und seit dem Besuch von US-Präsident Jimmy Carter 1980 (nach Titos Tod) war es wiederum Biden, der in seiner Rolle als US-Vizepräsident als hochrangigster Vertreter der USA Belgrad besuchte (2009 und 2016).
In seiner Tätigkeit als Senator sprach sich Biden für die Nato-Intervention in Bosnien und für die Bombardierung Serbiens im Kosovo-Krieg 1999 aus. Und in seinem Treffen mit Milosevic in Belgrad 1991 zögerte Biden nicht, den serbischen Führer als Kriegsverbrecher zu bezeichnen. Im Unterschied zu Belgrad, wo Biden mit Demonstrationen empfangen wurde, erlebte er im Kosovo das Gegenteil. Hier wurde eine kosovarische Autobahnstrecke 2016 (in der Nähe der US-Militärbasis Camp Bondsteel) zwischen den beiden Städten Ferizaj und Gjilan nach Joe Bidens an Krebs verstorbenem Sohn Beau Biden III. benannt, der sich nach dem Kosovo-Krieg als Anwalt für Rechtsstaatlichkeit auf dem Balkan eingesetzt hatte.
Die US-Präsidentschaftswahl 2020 wird große Auswirkungen auf dem Balkan haben, denn Biden und seine Vize Kamala Harris hatten im Wahlkampf auch die albanisch/kosovarische, bosnische und griechische Diaspora in den USA fest im Blick, als ihr Team drei getrennte Strategiepapiere an diese Wählerschaft richtete und deren Unterstützung suchte. Tatsächlich versprach Biden, als Präsident als "ein bewährter Freund von Bosnien und Herzegowina, von den dunkelsten Tagen des Landes über Krieg und Völkermord bis zum anhaltenden Kampf für Stabilität und Gerechtigkeit", zu agieren. In Bezug auf Griechenland wolle er eng mit der Regierung in Athen zusammenarbeiten, um die regionale Stabilität im östlichen Mittelmeerraum voranzutreiben und die griechischen Interessen vor den expansiven Ambitionen der Türkei zu schützen.
Ein neuer Anlauf für Dialog?
Sein Unterstützungsgesuch an die albanische Community in den USA (schätzungsweise rund eine Million Menschen) beschrieb Biden als "langjährigen Freund Albaniens und des Kosovo sowie der albanisch-amerikanischen Community". Schließlich sei er also Senator "eine herausragende Stimme im Kongress gewesen, die sich Milosevics Aggression widersetzte". Er habe "die Interessen des Kosovo verteidigt, als der Fokus der Welt anderswo lag". Die meisten albanischen und kosovarischen Politiker sprachen sich für Biden aus, während die Serben unter Präsident Aleksandar Vucic mehr oder weniger direkt Donald Trump unterstützten.
Mit Blick auf die Normalisierung der Beziehungen zwischen Prishtina und Belgrad hat Biden versprochen, dass er im Gegensatz zur Trump-Administration versuchen werde, in Partnerschaft mit der EU den Dialog zwischen dem Kosovo und Serbien wiederzubeleben - und zwar "um eine stabilisierende, gerechte und umfassende Einigung zwischen den beiden Staaten zu ermöglichen, die die territoriale Integrität des Kosovo respektiert und eine vollständige gegenseitige Anerkennung erreicht".
Als überzeugter Transatlantiker vertritt Biden die These, dass es auf dem Balkan immer dann Frieden und Stabilität gab, wenn die USA und Europa auf einer gemeinsame Linie waren. Ohne diese enge Kooperation hätte es die Abkommen von Dayton (1995), Rambouillet (1999), Ohrid (2001) und Prespa (2018) nicht gegeben, ebenso keine Nato-Aufnahme Sloweniens (2004), Kroatiens (2009), Albaniens (2009), Montenegros 2017) und Nordmazedoniens (2020) oder die EU-Erweiterung um Slowenien (2004) und Kroatien (2013). Auch gäbe es heute kein unabhängiges Montenegro (2006) und keinen Kosovo (2008). Alle oben genannten Ereignisse hätte man ohne enge bilaterale Kooperation zwischen den USA und Europa nicht geschafft.
Bidens Präsidentschaft wird die jahrelang bestehenden Probleme auf dem Balkan und in Europa nicht lösen. Aber sie wird zumindest von einem Gefühl des Verstehens beherrscht werden. Als erfahrener (Außen-)Politiker mit transatlantischer Prägung bleibt Biden eine große Hoffnung. Gleichzeitig ist es auch historisch gesehen ein Mahnruf; denn gerade auf dem Balkan war die Führung der USA in der nahen Vergangenheit von entscheidender Bedeutung.