Zum Hauptinhalt springen

Joe Bidens Amerika

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Politik

Am Mittwoch wird Joe Biden als 46. Präsident der USA angelobt. Die Erwartungen an den Demokraten sind groß, die Herausforderungen allerdings ebenso. Zumal auch Donald Trumps langer Schatten auf die kommenden vier Jahre fällt.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Amtsenthebung für den alten, Amtseinführung für den neuen: Am Mittwoch wird Joseph Robinette Biden Junior, Jahrgang 1942, auf den Stufen des Kapitols unter Zuhilfenahme einer Bibel seinen Eid auf die amerikanische Verfassung ablegen. Wenn nichts schiefgeht, wird der ehemalige Vizepräsident von Barack Obama und langjährige Senator des Bundesstaats Delaware für die nächsten vier Jahre den USA als ihr 46. Präsident dienen.

Angesichts der Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate gibt es Leute, die schon allein das für einen Erfolg des amerikanischen Demokratiemodells halten. Als klar wurde, dass der Putschversuch der Anhänger von Bidens abgewähltem Vorgänger Donald Trump fehlgeschlagen war, trachteten zumindest ein paar der dem 74-jährigen Ex-Reality-TV-Star bis dahin offen ergebenen Parteigänger im Kongress danach, ihren Ruf als Feinde der liberalen Demokratie zumindest ein bisschen zu verwässern.

Immerhin zehn Republikaner stimmten gemeinsam mit den Demokraten für die Amtsenthebung Trumps wegen "absichtlicher Anstiftung zum Aufstand" gegen die Regierung der Vereinigten Staaten; zur Enttäuschung ihrer 197 Kollegen, die den Sturm aufs Kapitol, der fünf Todesopfer forderte, teils verharmlosten, teils relativierten und teils und ganz im Ernst "der Linken" in die Schuhe schoben.

Die Chose setzte den vorläufigen Schlusspunkt unter eine Myriade von illegalen und legalen Versuchen Trumps und seiner Verbündeten, das Ergebnis der Wahl vom 3. November für nichtig zu erklären und ihm eine zweite Amtszeit zu ermöglichen. Eingedenk all dessen bleibt die Frage, inwieweit sich die erste Phase der Biden-Präsidentschaft von den teils offen kriminellen Machenschaften seines Vorgängers definieren lassen wird.

Zurück zum Tauwetter

Vordergründig scheint vieles von dem klar, was sich in den kommenden Monaten politisch alles ändern und was gleich bleiben wird. Außenpolitisch wird Biden versuchen, die von Trump weitgehend ruinierten Beziehungen zu den traditionellen Verbündeten der USA zu reparieren. Ob Nato, das Pariser Klima- oder das Iran-Atom-Abkommen, die Israel/Palästina-Frage oder die Behandlung Kubas: Mit dem (Wieder-)Einzug Bidens ins Weiße Haus versprechen die Vereinigten Staaten, mehr oder weniger bedingungslos zum Status quo der Prä-Trump-Ära, sprich einer prononcierten Tauwetter-Politik zurückzukehren. Nicht umsonst konzentrieren sich Trumps Gefolgsleute im Außenministerium deshalb buchstäblich bis zur letzten Sekunde darauf, dem neuen Präsidenten noch so viele Steine in den Weg zu legen wie irgend möglich.

Innenpolitisch stellen sich die Herausforderungen wie die Erwartungen an Biden nicht weniger monumental dar. Das Versagen der Trump-Administration beim Kampf gegen das Coronavirus, das bisher in den USA offiziell rund 400.000 Todesopfer forderte - weil von Republikanern regierte Bundesstaaten wie Florida ihre lokalen Gesundheitsbehörden von Beginn der Pandemie an anwiesen, die wahre Zahl zu verschleiern, dürfte die Dunkelziffer weit höher liegen -, bildet dabei nur die Spitze des Eisbergs. Bisher bekannt gewordene, von Biden geplante Maßnahmen umfassen unter anderem forcierte Massenimpfungen, eine bundesweit geltende Maskenpflicht und eine Test-Infrastruktur, die nicht dem Willen inkompetenter Gouverneure und Lokalparlamente einzelner Bundesstaaten ausgeliefert ist.

Riesiges Loch in der Staatskasse

Was die Abdämpfung des wirtschaftlichen Einbruchs angeht, planen Biden und seine Minister Billionen-Investitionen in Form von Zuschüssen für kleine und mittelgroße Unternehmen, Kommunen und Lokalbehörden sowie Direktzahlungen von bis zu 2.000 Dollar an Not leidende Bürgerinnen und Bürger. Die Finanzierung all dessen soll praktisch ausschließlich aus der Staatskasse kommen. Diese weist dank Trumps Steuergeschenken für Konzerne, Superreiche sowie für die obersten 30 Prozent der Einkommenspyramide - welche, anders als es die Fernsehbilder von in der Hauptstadt herum marodierenden Terroristen ohne Hauptschulabschluss suggerieren, nach wie vor die Stammwählerschaft der Republikaner bilden - allerdings ein Rekorddefizit von 27 Billionen Dollar auf.

Das sind sage und schreibe rund acht Billionen mehr als vor seinem Amtsantritt 2016; ein Schuldenstand, der proportional dem unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg entspricht. Was konservative Senatoren wie Rand Paul (Kentucky) und Mike Lee (Utah), die unter Trump für jedes einzelne das Budget explodieren lassende Gesetz stimmten, heute nicht davon abhält, Biden vor den angeblich "fatalen Konsequenzen" seines Konjunktur-Programms zu warnen. So unglaublich es angesichts der Fakten klingen mag: Das angesichts mangelnder Validität in den vergangenen vierzig Jahren hinlänglichst diskreditierte "Trickle-down"-Dogma Marke Ronald Reagan wird es Biden auch 2020 schwer machen, weil immer noch viele Amerikaner daran glauben, dass Steuerleichterungen und andere Zuwendungen von ganz oben nach unten dringen und dann der Gesellschaft in ihrer ganzen Breite zu Gute kommen. Wie weit die neue Administration im Kampf gegen die über vier Jahrzehnte von den Republikanern propagierten volkswirtschaftlichen Mythen gehen wird, gilt als unklar. Trotzdem deutet allein die Tatsache, dass niemand Geringerer als Bernie Sanders künftig dem mächtigen Senate Budget Committee vorsitzen wird, auf einen Paradigmenwechsel in der Haushalts- und Steuerpolitik hin.

Fix ist freilich nichts. Zwar verfügen die Demokraten nunmehr dank der Siege von Neil Warnock und Jon Ossoff in Georgia bis 2022 über eine einfache Mehrheit im Senat. Eine Garantie für eine progressive Politik gibt es trotzdem nicht, weil einerseits die letzten Angehörigen einer aussterbenden Spezies, die sogenannten "Blue Dogs" (Demokraten, die aus konservativ dominierten Bundesstaaten stammen, wie Senator Joe Manchin aus West Virginia) und die radikal moderat gesinnte Fraktion, angeführt von der greisen Kalifornierin Dianne Feinstein, jetzt noch mehr Gewicht haben als vorher.

Trumps gefährliches Erbe

Ein anderer Faktor, der sich für Biden als potenziell gefährlich erweisen wird, liegt im medialen Erbe seines Vorgängers. Mit seinem fünfjährigen Sperrfeuer aus Lügen, Halbwahrheiten und abstrusen Thesen hat es Donald Trump geschafft, nicht nur die ihm ohnehin zugetanen Medien zu konditionieren. Auch wenn ihm Twitter jetzt - und offenbar dauerhaft - sein wichtigstes Kommunikations-Instrument weggenommen hat, werden ihm andere, wie Facebook-Chef Mark Zuckerberg, seinen Zugang zu seinen anderen Social-Media-Accounts nach einer Abkühlphase zweifellos schon bald wieder gewähren. Spätestens dann, wenn der Senat über die Folgen seiner nunmehr zweiten Amtsenthebung durch das Abgeordnetenhaus diskutieren wird.

Zeitpunkt und Ablauf des Prozederes stehen noch nicht fest. Nur, dass das Impeachment-Verfahren im Senat definitiv während der ersten hundert Tage der Biden-Präsidentschaft stattfinden wird. Die Wortmeldungen von Mitch McConnell, dem nunmehrigen Fraktionsführer der republikanischen Minderheit im Oberhaus, deuten darauf hin, die Sache, quasi in bester konservativer Tradition, in die Länge zu ziehen. Seine Hoffnung: Dass zu dem Zeitpunkt, in dem sich der Wind um die Möchtegern-Putschisten aus den eigenen Reihen gelegt hat, die Medien und die Herren der sozialen Netzwerke unter Berufung auf den "Wert der freien Meinungsäußerung" wieder auf ihre Rolle als simple Weiterverbreitungsdrehscheiben zurückziehen. Ob mit oder ohne Trump, ist McConnell offensichtlich egal. Nicht umsonst lautet der Titel seiner Autobiografie "The Long Game".