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Der am Mittwoch angelobte 46. Präsident der USA will und muss sein gespaltenes Land einen. Doch auch wenn Biden mit den Republikanern im Kongress Kompromisse schmieden kann, stehen ihm Millionen Amerikaner ablehnend gegenüber.
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Für Joe Biden ist es ein langer Weg gewesen. Und einer mit ungewissem Ausgang. Denn dass Biden einmal auf den Stufen des Kapitols zum Präsidenten der Vereinigten Staaten angelobt werden wird, war die meiste Zeit über der eher unwahrscheinliche Ausgang der Geschichte als der wahrscheinliche.
Der ferne Traum einer Präsidentschaftskandidatur hat den irisch-stämmigen Demokraten zwar schon seit jenen Tagen begleitet, als er sich mit nicht einmal 30 Jahren bei der Senatswahl in Delaware durchsetzt und als jüngster Politiker seit mehr als 150 Jahren ins US-Oberhaus einzieht. Doch selbst in vorderster Reihe zu stehen und das höchste politische Amt der USA auszufüllen, wollten ihm viele auch in der eigenen Partei lange nicht so recht zutrauen. Erst im dritten Anlauf nach 1988 und 2008 gelingt es ihm im Frühjahr 2020, die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten zu holen. Und auch dann blieben Zweifel, ob der ehemalige Vizepräsident von Barack Obama mit damals 77 Jahren der Richtige ist, um es mit dem rüpelhaften Politik-Quereinsteiger Donald Trump aufzunehmen.
Radikalisierte Basis
Die größte Bewährungsprobe für Biden dürfte aber nicht die Wahl vom 3. November gewesen sein, die er letztlich mit 306 zu 232 Wahlmännerstimmen gegen Amtsinhaber Trump gewonnen hat. Vielmehr übernimmt er als 46. Präsident ein Amerika, das nach dem von Trump befeuerten Sturm auf das Kapitol so gespalten und zerrissen ist wie selten zuvor.
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Dass ein wütender Mob am 6. Jänner in die Herzkammer der US-Demokratie eingedrungen ist, ist dabei nur die Spitze eines gewaltigen Eisbergs. Mit seinen völlig haltlosen Vorwürfen über massiven Wahlbetrug und seiner Weigerung, seine Niederlage einzugestehen, hat Trump große Teile der republikanischen Parteibasis von Tag zu Tag weiter radikalisiert. Millionen konservative Wähler sind heute überzeugt davon, dass Biden am 3. November nicht rechtmäßig gewonnen hat und ein illegitimer Präsident ist. Dass Biden seine Amtseinführung unter das Motto "Amerika vereint" gestellt und in seiner Inaugurationsrede zur Versöhnung aufgerufen hat, wird daran nicht viel ändern.
Ein Brückenbauer
Was den Zustand seines Landes betrifft, hat sich der frühere Vizepräsident allerdings nie irgendwelchen Illusionen hingegeben. So hat Biden, der 1942 in eine katholische Arbeiterfamilie geboren wurde, schon den Wahlkampf gegen Trump zur "Schlacht um die Seele der Nation" erklärt. Und auch wenn der Politik-Veteran sich in den vergangenen Wochen oder Monaten immer wieder optimistisch gezeigt hat, die verfeindeten Lager versöhnen zu können, hat er stets darauf gedrungen in diese Frage vieles zu sein, aber "nicht naiv".
Möglicherweise ist Biden, dessen Leben immer wieder von schweren Schicksalsschlägen erschüttert worden ist, aber genau der richtige Mann für eine solche Zeit. Der neue Präsident hat sich stets als volksnaher Brückenbauer verstanden, der Demokraten und Republikaner an einen Tisch bringen will und kann. Als Biden Vizepräsident ist, heißt es immer wieder: "Holt Joe ans Telefon", wenn die Regierung und Mitch McConnell, der starke Mann der Republikaner im Senat, in der parlamentarischen Arbeit nicht und nicht zusammenkommen.
Wenn Biden so wie in den vergangenen Wochen immer wieder betont, er wolle der Präsident für "alle Amerikaner" sein, ist das also mehr als eine hohle Phrase. Ob die Republikaner diese ausgestreckte Hand annehmen wollen und auch können, steht aber auf einem anderen Blatt. Denn die Partei, die Trump in den vergangenen vier Jahren ganz zu der seinen gemacht hat, steckt selbst inmitten von Grabenkämpfen: Das alte republikanische Parteiestablishment, das Trump treu ergeben war, solange er Wahlerfolge eingefahren hat, will den Ex-Reality-TV-Star aus New York nun am liebsten rasch und vor allem dauerhaft loswerden. Im Rechtsaußen-Flügel der Republikaner, wo viele ihr Mandat mittlerweile Trump verdanken, steht man dagegen noch immer bedingungslos zum 45. US-Präsidenten und seinem politischen Programm.
Ein Rücken in die Mitte wird damit schwer. Denn die Fundamentalopposition im Tea-Party-Stil, auf die die Gruppe der Trump-Getreuen in den kommenden vier Jahren setzen dürfte, wird wie ein Damoklesschwert über den moderaten Republikanern im Kongress schweben. Bis zu den bereits in weniger als zwei Jahren anstehenden Midterm-Elections werden sie sich für jedes Zugeständnis und jeden Kompromiss mit der Biden-Regierung rechtfertigen müssen - begleitet von der steten Sorge, bei den parteiinternen Vorwahlen von einem weiter rechts sehenden Konkurrenten verdrängt zu werden.
Fragile Mehrheiten
Gelegenheit, seine Fahnentreue zu den Ideen des Trumpismus zu beweisen, wird es genug geben. Denn nach dem überraschenden Stichwahlerfolg in Georgia kontrollieren die Demokraten neben dem Repräsentantenhaus zwar nun auch den Senat. Doch besonders im Oberhaus, wo es nach Sitzen 50 zu 50 steht und das Patt nur durch die Stimme von Vizepräsidentin Kamala Harris aufgelöst werden kann, sind die Mehrheitsverhältnisse eng. So wird Biden mitunter auf einige republikanische Stimmen angewiesen sein, wenn er seine ehrgeizige Agenda im Kampf gegen Corona-Pandemie, Wirtschaftskrise, soziale Ungleichheiten und Klimawandel umsetzen will. Für grundlegende gesetzliche Änderungen, etwa beim Mindestlohn, der Waffenkontrolle oder der Regulierung von Sozialen Medien, braucht der Präsident ohnehin 60 Stimmen.
Doch auch wenn es Biden im institutionellen Gefüge wohl gelingen wird, Kompromisse über die Parteigrenzen hinweg zu schmieden, bleibt ein gewichtiges Problem bestehen. Angestachelt von rechtskonservativen Medien wie Fox News und einzelnen prominenten Talkshow-Persönlichkeiten, hat sich in den USA in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine viele Millionen zählende Gruppe von Bürgern gebildet, die nicht nur keine Versöhnung will, sondern auch jeden Kompromiss als inakzeptable Niederlage ablehnt.
Trump hat dieser gar nicht so homogenen Gruppe eine Stimme und ein Gemeinschaftsgefühl gegeben, in dem er das Amerika jenseits von Silicon Valley und der liberalen Ostküsten-Metropolen zum Vorbild erhoben und die dort grassierenden Stimmungen verdichtet hat: Dass es in Ordnung ist, den Staat als Ganzes abzulehnen und sich sein geglaubtes Recht notfalls auch mit Waffengewalt zu sichern. Oder auch, dass es okay ist, gegen die Latinos zu sein, die den "echten Amerikanern" überall die Jobs wegnehmen.
In den Echokammern
Anders als für Trump sind diese Menschen für Biden allerdings so wie gut wie unerreichbar. Denn die wenigsten von ihnen konsumieren jene etablierten Medien, die Biden als Multiplikator nutzt. Stattdessen bedienen sich die Mitglieder dieser Gruppe bei ultrarechten TV-Sendern wie One America News Network und Newsmax und in den Echokammern der Sozialen Medien.
Ein Angebot könnte Biden dieser Gruppe also bestenfalls mittelbar machen, etwa durch nachhaltige und zukunftsträchtige Investitionen in den alten Industrieregionen des Rust Belts. Für alles andere, etwa die grundlegende Neuordnung der Verantwortlichkeiten bei den Sozialen Medien oder die Steigerung von Bildungschancen, werden Bidens vier Jahre im Amt nicht reichen.