Das Gesundheitssystem braucht dringend Geld. Mit der Erhöhung der Sozialabgaben bricht der Premier ein Wahlversprechen.
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Für viele Mitarbeiter des britischen Gesundheitsdienstes NHS waren die vergangenen Monate wahrscheinlich die härtesten ihres ganzen Berufslebens gewesen. Die Corona-Pandemie hatte das Vereinigte Königreich schwerer als viele andere europäische Länder getroffen, das chronisch unterfinanzierte und schon zu Normalzeiten mit Kapazitätsproblemen kämpfende NHS stand der neuen Bedrohung mit stumpfen Waffen gegenüber.
Vor allem zu Beginn fehlte es an Schutzausrüstung für das medizinische Personal und an Beatmungsgeräten für die Patienten, doch als tatsächlich größtes Problem entpuppte sich die quasi-permanente Überlastung der Mitarbeiter in den Krankenhäusern. Die vor allem in den ersten Monaten der Pandemie jeden Abend mit öffentlichen Klatschkonzerten gefeierten Ärzte und Krankenschwestern machten so lange Dienst, bis sie selbst vollkommen erschöpft waren - so erschöpft, dass der zuständige Parlamentsausschuss das grassierende Massen-Burnout vor wenigen Wochen sogar als "außerordentlich gefährliches Risiko für das künftige Funktionieren" des Systems beschrieben hat.
Ein sehr altes Problem
Dass das NHS mehr Geld braucht, ist schon seit vielen Jahren klar. Doch sowohl die Labour-Regierungschefs als auch ihre konservativen Amtskollegen haben sich in der Frage bisher konsequent weggeduckt, weil sie nicht nur den Zorn der Wähler fürchteten, sondern auch den ihrer Parteifreunde. So blieben von den versprochenen Reformen zumeist nur warme Worte.
Nun scheint allerdings die Corona-Krise ein so tiefes Loch in das Budget des NHS gerissen zu haben, dass sogar Boris Johnson, der versprochen hat, nach dem Brexit auf keinen Fall die Steuern zur Finanzierung des Sozialsytems zu erhöhen, eine Kurskorrektur für unumgänglich hält. So kündigte der Tory-Premierminister am Dienstag einen Aufschlag auf die Sozialversicherungsbeiträge an, der 1,25 Prozent ausmachen und ab April 2022 in Kraft treten soll. Der BBC zufolge würde dies für Beschäftigte mit einem Jahreseinkommen von umgerechnet rund 34.500 Euro zusätzliche Kosten von 230 Euro pro Jahr bedeuten
Die zusätzlichen Einnahmen, die Johnson auf knapp 36 Milliarden Pfund (umgerechnet knapp 42 Milliarden Euro) beziffert, sollen auch mithelfen, den massiven Rückstau an aufgeschobenen Behandlungen aufzulösen. Außerdem soll damit eine Deckelung der Pflegekosten im größten britischen Landesteil England finanziert werden. Bisher müssen pflegebedürftige Menschen in England einen Eigenanteil an den Kosten in unbeschränkter Höhe selbst tragen. Das soll sich in Zukunft ändern.
Kritik von Labour
Oppositionschef Keir Starmer kündigte an, Labour werde die Erhöhung der Beiträge nicht unterstützen. Die Erhöhung der Sozialbeiträge gehe in erster Linie zu Lasten jüngerer Menschen, erklärte Starmer. Kritik kam auch aus den Reihen der Tories, die sich traditionell als Verteidiger niedriger Steuern in Großbritannien positionieren. Ex-Parteichef William Hague warnte, Johnsons riskiere, dauerhaft mit dem Bruch eines Wahlversprechens in Verbindung gebracht zu werden. (rs)