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Wenn der britische Premier "vorsätzlich" die Unwahrheit zu einer Party gesagt hat, ist er nicht mehr zu halten.
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Über Jahre hat sich Boris Johnson das Image des Polit-Clowns zugelegt. Er liebt es, im Mittelpunkt zu stehen, und genießt sichtlich, Menschen zu unterhalten. Dieser Tage macht der britische Premierminister keine Späße. Außerhalb des Regierungssitzes würden sie auch immer weniger hören wollen.
Die Stimmung ist gekippt, ironischerweise aufgrund von Festivitäten. Dass in 10 Downing Street Partys gefeiert worden sind, während Bürger aufgrund der Covid-Beschränkungen nicht gemeinsam in Pubs anstoßen durften, erzürnt die Briten. Erst recht, dass im Regierungsviertel Feiern selbst dann angesagt war, als Trauerzeit um den verstorbenen Ehemann der Queen herrschte, der moralischen Autorität im Königreich schlechthin. Die Bilder der Partys kontrastieren nur allzu scharf mit jenen der trauernden Elizabeth, die unter Einhaltung der Abstandsregeln in der Kapelle Abschied nimmt.
"Treten Sie zurück", bekommt Johnson bei jedem seiner Auftritte im Parlament von der Opposition zu hören. Es liegt aber nicht in deren Händen. Viel mehr Bedeutung kommt dem Untersuchungsbericht der Spitzenbeamtin Sue Gray zu. Johnson behauptet, von einer Gartenparty im Mai 2020 mit mehr als 100 Personen an seinem Amtssitz nichts gewusst zu haben. Der Premier versicherte, er sei von einer Arbeitsbesprechung ausgegangen, die er nach 25 Minuten verlassen habe. "Kommt Gray zu dem Schluss, dass Johnson vorsätzlich die Unwahrheit gesagt hat, ist er nicht mehr zu halten", analysiert Melanie Sully, Direktorin des Go-Governance-Instituts.
Alle Parteiflügel sind unzufrieden
Es wäre nicht das erste Mal, dass Johnson über seinen lockeren Umgang mit der Wahrheit stolpert. Nach dem Studium versuchte er sich als Journalist. Die renommierte Londoner "Times" warf ihn nach einem Jahr raus, Johnson hatte Zitate gefälscht.
Nun machen viele Konservative ihren Vertrauensentzug abhängig davon, ob die Ermittlerin Gray den Vorsatz beweisen kann. Ihr Bericht ist bereits fertiggestellt, alle warten auf die Veröffentlichung. 54 Johnson-Gegner aus den eigenen Reihen, 15 Prozent der Konservativen im Unterhaus, braucht es für eine Vertrauensabstimmung in der Fraktion.
Am Donnerstag warnten Verbündete Johnsons, ein Sturz des Premiers würde Neuwahlen auslösen. "Aber alle Parteiflügel sind unzufrieden", sagt Sully im Gespräch mit der "Wiener Zeitung"; von den moderaten Tories um Ex-Premierministerin Theresa May bis zu den Erzkonservativen, in deren Augen Johnson beim Brexit zu wenig geliefert und das Vereinigte Königreich lediglich aus der EU herausgeführt habe.
Bisher konnte sich Johnson, seit Juli 2019 im Amt, halten, trotz des viel zu späten ersten Lockdowns, der geringen Testkapazitäten, der inzwischen mehr als 150.000 Corona-Toten und etlicher Eskapaden. "Systemische Voreingenommenheit zugunsten von Personen mit Verbindungen zur Regierungspartei" machten die Korruptionsbekämpfer von Transparency International bei der Vergabe von Verträgen im ersten Pandemiejahr aus. Dazu passt, dass die Regierung die Parlamentsregeln im Kampf gegen Korruption aufweichen wollte, um einen Abgeordneten zu schützen. Owen Paterson musste dennoch zurücktreten, und die Tories verloren bei der Nachwahl seinen Parlamentssitz im westenglischen North Shropshire - zum ersten Mal seit annähernd 200 Jahren. Obendrein wollte sich Johnson den luxuriösen Umbau seiner Dienstwohnung von Spendern finanzieren lassen.
Zur Oberschicht zählt Alexander Boris de Pfeffel Johnson seit seiner Geburt 1964 in New York. Ausgebildet wurde er an Elitestätten: Schule in Eton, Studium in Oxford. Er baut griechische Mythologie in seine Reden ein und steht gleichzeitig für simple, eingängige Botschaften: "Take back control", impfte er den Bürgern beim Brexit-Votum ein. Mit "Get Brexit done" holte er bei der Parlamentswahl 2019 eine überwältigende Mehrheit. Heute würden die Tories gegen Labour untergehen. Die Sozialdemokraten liegen seit Anfang Dezember vorne.
Kurz zuvor erschienen die ersten Enthüllungen über Fehlverhalten im Regierungsviertel. Treibende Kraft dahinter ist der einstige Chefstratege des Premiers, Dominic Cummings. Er sinnt auf Rache für seinen Rauswurf und widerspricht auch Johnsons Darstellung der ominösen Gartenparty.
Was die Konservativen auf keinen Fall wollen, sind ständig neue Aufdeckergeschichten. Stellt der Gray-Bericht keine eindeutige Schuld Johnsons fest, wird Cummings weitere Informationen an Medien liefern, damit die Tories mürbe von den ständigen Negativ-Schlagzeilen werden und den Premier fallenlassen.
Bei Corona-Impfung der EU voraus
Dabei sei die Bilanz als Regierungschef laut Sully nicht so schlecht. Sie hebt das Impfstoff-Programm hervor. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gestand zu, dass Großbritannien mit dem Schnellboot unterwegs sei, während die Union mit dem Frachter dahinschippere. Die aktuelle Omikron-Welle dürfte im Vereinigten Königreich ihren Höhepunkt bereits überschritten haben.
Von rund 200.000 täglichen Neuinfektionen zu Jahresbeginn haben sich die Positiv-Fälle halbiert. Die weitreichenden Wirtschaftshilfen insbesondere am Beginn der Pandemie wurden rasch umgesetzt, und für ein Britisches Pfund erhält man derzeit 1,20 Euro. Unter Theresa Mays Amtszeit sackte die Währung in Richtung Parität zum Euro ab.
Johnson würde daher keinesfalls als schlechtester Premierminister in die Geschichte des Königreichs eingehen, sagt Sully. "Dafür gibt es viele Kandidaten - es ist aber auch ein schwieriger Job." Die Politologin erinnert an Lord North, unter ihm verloren die Briten 1781 die entscheidende Schlacht im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und mussten die Kolonien abtreten. Als grundfalsch sollte sich Neville Chamberlains Beschwichtigungspolitik gegenüber dem NS-Regime herausstellen. Dann folgte Winston Churchill - über den Johnson einst eine Biografie verfasste. Rezensenten bemängelten, dass sich das Buch mehr um den Autor als den Porträtierten drehte.
Auch in der jetzigen Krise scheint Johnson zu genießen, dass alle Aufmerksamkeit ihm gilt. Selbst wenn er nicht mehr den Clown geben kann, kämpft er bis zum Schluss um sein Amt.