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Die neuen Vorschläge des britischen Premiers würden in Irland statt einer gleich zwei Grenzen schaffen, sagen Kritiker.
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Der Lärmpegel in Westminster war beträchtlich, als der britische Premier Boris Johnson am Donnerstag die neuen Brexit-Pläne präsentierte. Labour-Chef Jeremy Corbyn, die schottischen Nationalisten und die Liberalen zerpflückten die Ideen, die die Notfalllösung für die irische Grenzfrage, den sogenannten Backstop, aus Sicht des Premiers überflüssig machen sollen.
Die Vorschläge sind als Kompromissangebot gedacht, glücklich über den Vorstoß ist aber kaum jemand. Im britischen Parlament regte sich sogar Sehnsucht nach dem ursprünglichen, von Ex-Premierministerin Theresa May verhandelten Plan, der von den Abgeordneten drei Mal bei Abstimmungen abgeschmettert worden war.
In Brüssel reagiert man nach der Präsentation des neuen Ansatzes vorsichtig, gibt sich diplomatisch, immerhin will man nicht sofort die Türe zumachen und dann als Hauptverantwortlicher für einen ungeregelten Brexit dastehen. Allerdings hat die EU-Kommission bereits klargemacht, dass die Vorschläge nur ein Ausgangspunkt für weiterführende Verhandlungen sein könnten. Auch das EU-Parlament stellt am Donnerstag fest, das man Johnsons Plan für "unzureichend" hält.
Johnson könnte es mit neuen Tricks versuchen
Noch wagt es in Brüssel niemand, den Plan zu verwerfen. Ob es weitergehende Gespräche zwischen London und der EU geben wird, ist unklar. Johnson hat bereits in Frage gestellt, ober überhaupt zum EU-Gipfel am 17./18. Oktober kommen wird. Sollte es bis zum 31. Oktober keinen Deal geben, dann wäre Johnson per Gesetz verpflichtet, um eine Fristverlängerung anzusuchen. Der Premier hat aber angedeutet, dass er das nicht tun wolle. Es gibt bereits Spekulationen, wonach Johnson dem Ansuchen um eine Fristverlängerung ein weiteres Papier beifügen könnte, in dem er Forderungen stellt, die für die EU nie und nimmer akzeptierbar sind. Damit würde er die Fristverlängerung zu einer Farce machen.
Die Vorschläge Johnsons zum Backstop sehen kreative Sowohl-als-auch-Lösungen vor und sollen es Großbritannien nach dem Brexit ermöglichen, eigenständig Handelsverträge abzuschließen. Gleichzeitig soll die britische Provinz Nordirland weiter ungehindert Handel mit dem EU-Nachbarn Irland treiben.
Der Johnson-Plan würde auf der einen Seite eine Zollunion zwischen Nordirland und Großbritannien schaffen. Damit wäre ein Austritt aus dem EU-Binnenmarkt gegeben. Auf der anderen Seite soll die Grenze zwischen Nordirland und Irland offen bleiben. Das ist für Irland und Brüssel wichtig, weil man ein Aufflammen des alten Konflikts fürchtet. Auch in London beteuert man immer wieder, dass man eine Grenze nicht wolle. Doch das ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, wenn man bedenkt, dass Grenzkontrollen nur innerhalb eines gemeinsamen, einheitlichen Wirtschaftsraumes wegfallen können.
Der neue britische Plan sieht nun vor, dass die nordirischen Vorschriften bei Lebensmitteln und Agrarprodukten weiter auf EU-Standard bleiben. Die Formalitäten, die abseits davon doch nötig würden, sollen nicht an der Grenze zwischen Irland und Nordirland, sondern elektronisch oder an anderen Stellen der Produktionskette, etwa in den Lagerhallen, erfolgen.
Vor der Einführung dieses neuen Regimes müssten das nordirische Parlament und die nordirische Vertretung - eine Regierung gibt es seit 2017 nicht - zustimmen. Dann würden die Bürger alle vier Jahre erneut abstimmen, ob sie die Vereinbarung fortführen wollen.
In Brüssel glaubt man nicht, dass die Pläne Johnsons in der Praxis funktionieren werden. Allein, dass die nordirische Vertretung immer neu über die Regelung abstimmen soll, könnte auf eine Befristung der Garantie einer offenen Grenze hinauslaufen. Jedenfalls hätte die DUP, die nordirische Partnerpartei der Tories, praktisch ein Vetorecht.
Weiterer Schritt in Richtung No-Deal-Brexit?
Dass Zollkontrollen weit von der Grenze entfernt in der Praxis möglich wären, glaubt man in Brüssel und Dublin ebenfalls nicht. Die technischen Lösungen dafür gäbe es einfach noch nicht, heißt es. Damit könnte der Schmuggel explodieren und Zollkontrollen an der Grenze erst recht notwendig werden.
Der britische Oppositionsführer Jeremy Corbyn wies darauf hin, dass Johnsons "Kompromiss-Angebot" eine zweite Grenze, diesmal zwischen Nordirland und Großbritannien, notwendig machen würde. Ex-Premier May widersetzte sich unter dem Druck der DUP einer derartigen "Spaltung" des Vereinigten Königreichs in zwei "regulative Gebiete" Jetzt stimmt die DUP zu, weil man schließlich auch die Möglichkeit bekommt, sich der Regelung wieder elegant zu entledigen.
Parlamentarier der Opposition warfen Johnson am Donnerstag vor, unter der Hand einen No-Deal-Brexit anzustreben. Sein neuer Vorschlag in Sachen irische Grenze sei ein weiterer, schlagender Beweis dafür.
Unterdessen ist Johnson weiter bemüht, das Parlament, ruhigzustellen. Er kündigte eine weitere kurze Suspendierung Westminsters vom 8. bis 14. Oktober an. Da die Pause im Rahmen des Üblichen liegt, dürfte sie weit weniger umstritten sein als der erste Versuch. Eine von Johnson verhängte fünfwöchige Zwangspause des Parlaments war kürzlich vom Obersten Gericht für illegal erklärt und aufgehoben worden.