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Europas Populisten eint viel: eine charismatische Führungspersönlichkeit an der Spitze, die Kritik an den etablierten Parteien, das Spiel mit dem "Volk" via Politik auf der Straße, Euroskeptizismus und die neue Nähe zu Wladimir Putin.
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Driftet Europa nach rechts? Le Pen, Strache, Wilders & Co auf dem Vormarsch? Droht eine rechte Internationale? Nicht nur bei der letztjährigen Europawahl beherrschte die Angst vor dem Rechtspopulismus die Gazetten. Mit Kampagnen wie "Daham statt Islam" und "Europa? Nein, danke!" konnten solche Formationen in einigen Ländern seit geraumer Zeit beträchtliche Erfolge verbuchen. Die eigentliche Gefahr ist aber viel grundsätzlicher. Mit einer Anti-Establishment-Haltung zeigen Newcomer dem tradierten System aus Konsens- und Verhandlungsdemokratie gerade auf europäischer Ebene seine Grenzen auf. Nationale und europäische Eliten stehen ratlos da, gerade jetzt, denn: Das mühsam aufgebaute Währungsgerüst und Institutionengefüge Europas bringt nun ein griechischer Linkspopulismus ins Wanken. Dafür stehen zwei Männer: Premierminister Alexis Tsipras, bei der Europawahl 2014 Spitzenkandidat der europäischen Linken, und sein Finanzminister Yanis Varoufakis. Binnen fünf Monaten in der Regierung haben sie alle Register von demagogischem Populismus gezogen, der die Rechtspopulisten trotz deren offenkundiger Fremden- und Immigrationsfeindlichkeit fast wie Waisenknaben erscheinen lässt. Das griechische Handbuch zu diesem Politikstil kann mit Fug und Recht als Machiavellismus des 21. Jahrhunderts gelten.
"Opfer" des Systems
Alexis Tsipras, geboren 1974, begann sein politisches Engagement in der Kommunistischen Jugend Griechenlands, führte es als anarchistischer Anführer von Schüleraufständen und Studentengruppen fort und wurde 2008 Parteivorsitzender des Synaspismos, der größten Partei im Syriza-Wahlbündnis, das damals noch eine Kleingruppierung war. Eigentlich ist Syriza von Natur aus sehr heterogen. Das Bündnis steht für eine Koalition der radikalen Linken mit einem starken kommunistischen Flügel. Vor der Wahl im Jänner 2015 trieb der durch die Krise groß gewordene Tspiras die klientelistischen Regierungsparteien vor sich her, welche für die griechische Misere und das korrupte System wie den aufgeblähten Beamtenapparat verantwortlich zeichneten. Tsipras versprach viel: eine sozialistische Politik nach dem Gießkannenprinzip, keine Einsparungen und Probleme, Hilfsgelder, Schuldenschnitt und ein Weiter-so mit dem Euro. Nach dem Wahlsieg schmiedete Alexis Tsipras in Rekordzeit ein Regierungsbündnis mit einer eindeutig rechtspopulistischen Partei, den Unabhängigen Griechen (Anel). Ideologisch trennt die beiden Koalitionspartner viel, doch die Einigkeit in der Wut auf die EU und die Führungsrolle Angela Merkels überwand alles Trennende. Typisch für den Populismus: Ideologie und Prinzipienlosigkeit sind kein Gegensatzpaar, vielmehr Programm.
Zum besonderen Feindbild mutierte die Troika aus Internationalem Währungsfonds (IWF), EU-Kommission und Europäischer Zentralbank (EZB). "Plünderei" war noch ein harmloses Schimpfwort. Zum Schattengefecht wurden schnell die Fragen, ob Deutschland Reparationszahlungen leisten müsse, sowie die Rückzahlung eines Zwangskredits, den Griechenland dem nationalsozialistischen Deutschland einst gewähren musste.
Als wichtigen Partner holte sich Tsipras einen Quereinsteiger an seine Seite, den kosmopolitischen Wirtschaftsprofessor und Spieltheoretiker Yanis Varoufakis, der den Umgang mit den Medien perfekt beherrscht. Er beantwortet Interviewanfragen aus aller Welt auch via seine persönliche E-Mail-Adresse in Kürze und wirkt global omnipräsent. Dazu tragen sein weltweites Netzwerk auch zu Agenturen, ein persönlicher Blog sowie seine anerkannte Expertise im Zuge der globalen Finanzkrise bei. Sein schnittiger Stil, eine starke Dosis Marxismus, gewürzt mit einer Prise Lifestyle, lassen ihn als modernen Salonkommunisten erscheinen, der breite Faszination über Grenzen hinweg ausübt.
Tsipras und Varoufakis, beide dynamisch und nie mit Krawatte, haben ein Bild eines lässigen Linken kreiert, das von der Radikalität ihrer Forderungen und Ansichten ablenkt und sich vom Bild des Durchschnitts- und Beamtenpolitikers, der grauen Maus, abhebt. Tsipras wirkt wie ein harmloser Musterschwiegersohn, Varoufakis erscheint als intellektueller Dandy. Das Duo entfachte riesigen Aktionismus, unternahm Reise- und Rechtfertigungstouren durch ganz Europa, startete eine Charmeoffensive (auch gegenüber der deutschen Kanzlerin Angela Merkel), nahm Provokationen vor und wieder zurück. Von Beschuldigungen zu Bettelbriefen und wieder zurück.
Der politisch Interessierte denkt unweigerlich an Jörg Haider, den Prototyp des europäischen Rechtspopulismus, der einst ebenso perfekt dieses Spiel beherrschte. Dazu passt auch die Opferpose, die in maximaler Öffentlichkeit zur Schau gestellte David-Goliath-Stellung gegenüber den europäischen Institutionen. Deren oft abgehobene, im Hinterzimmer agierende Repräsentanten leben in der hierarchisch organisierten Kompromisskultur und können schwer mit der griechischen Emotionspolitik umgehen - einer Mischung aus Machoattitüde, Angriffslust und Mut der Verzweiflung. Vorläufiger Höhepunkt ist nun, dass die beiden Männer nach ihrem provozierten Scheitern der Brüsseler Gespräche erneut den Ton vorgeben. Am Verhandlungstisch wollten sie offenbar gar keine Lösung erzwingen. Quasi als Joker im Ärmel gehen Tsipras und Varoufakis einen dritten Weg per eiligem, rechtlich halbseidenem Referendum - ein Weg, der eigentlich gar nicht vorgesehen ist: Verbleib in der Eurozone ohne Auflagen. Damit setzen sie einen Kontrast zur angeblich alternativlosen europäischen Politik. Eigentlich sollte es in der ganzen Debatte um die Frage gehen, ob Griechenland im Euro unter Erfüllung der Reformauflagen bleibt oder den Grexit unternimmt - wie auch immer der aussehen mag, denn dafür müsste Griechenland aus der EU ausscheiden und dann als Nicht-Euro-Land wieder eintreten. Doch diese Frage stellt das diabolische Referendum nicht. Tsipras verkauft diesen Schritt als heroischen Kampf für das griechische Volk.
Placebo direkte Demokratie
Die Bürger sollen vielmehr entscheiden, ob sie die vermeintlich ungerechten Sparauflagen der Euro-Partner akzeptieren wollen. Populismus wirkt immer antiaufklärerisch, direkte Demokratie als Symbolpolitik und Placebo. Idealtypisch gilt das für die konstruierte Volksabstimmug: Tsipras spricht davon, dass es um die "Würde" der Griechen geht. Dabei wären die Griechen auf die erpresserischen Methoden gar nicht angewiesen. Keiner in Europa möchte, dass Griechenland scheitert. Jeder weiß, dass ein starkes und finanziell unabhängiges Griechenland auch Europa stärkt. Mehr noch: Griechenlands geopolitische Lage macht es zu einem wichtigen demokratischen Anker an den Außengrenzen der EU. Auch das wissen die griechischen Politiker. Aber auch das nutzen sie propagandistisch aus. Warum sonst trifft sich Alexis Tsipras immer wieder mit Russland Präsidenten Wladimir Putin? Die typische Strategie aller Populisten ist durchschaubar: Man erklärt sich per Dekret, ohne Legitimation aller Bürger, zum Anwalt aller einfachen und entrechteten Bürger und schafft ständig neue Feindbilder. Auch hier sei an Haider erinnert, der ob der griechischen Schamlosigkeit entzückt wäre.
Für die "Gedemütigten" der Entwicklungen der letzten Jahre ist Tsipras ein Robin Hood - zu dem sich Haider einst selbst küren lassen wollte. Tsipras übertrifft ihn an Machiavellismus noch. Europas Populisten von rechts und links eint viel: eine charismatische Führungspersönlichkeit an der Spitze, die Kritik an den etablierten Parteien, das Spiel mit dem "Volk" via Politik auf der Straße, Euroskeptizismus, die neue Nähe zu Putin als Kontrapunkt zum transatlantischen Dogma. Da spielt der starke Marxismus innerhalb von Syriza keine Rolle mehr, die Ideologie rückt in den Hintergrund.
Europas neuer Schrecken kommt von links und sorgt für Stirnrunzeln im vom Prestigeprojekt Euro abhängigen Establishment, ganz nach Haiders Geschmack. Er hätte seine helle Freude an dem absurden Theater. Tsipras und Varoufakis werden seit dem Wahlsieg von Populisten und Protestgruppierungen aller Couleurs gefeiert, von der spanischen Podemos über den Italiener Beppe Grillo und am deutlichsten von den radikalen Rechtspopulisten, allen voran dem Front National um Marine Le Pen. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ist hier vergleichsweise zurückhaltend, äußerte aber schon nach dem Wahlsieg von Tsipras, dieser bemühe sich ernsthaft um das griechische Volk. Insofern ist Griechenland Trendsetter Europas.
"Griechenland führt eine heldenhafte Kampagne gegen die europäische Sowjetunion des Euro, der Arbeitslosigkeit und der Banken." (Matteo Salvini, Chef der rechtspopulistischen Lega Nord in Italien und neuer starker Mann im Mitte-Rechts-Lager)
"Der Widerstand gegen die Forderungen der Gläubiger ist der einzige Weg, um sich von den Ketten des Euro und der Austerität zu befreien. Das griechische Volk hat keine andere Wahl." (Parlamentarier der "Fünf-Sterne-Bewegung" des italienischen Populisten und Ex-Komikers Beppe Grillo)
"Der IWF und die deutsche Regierung greifen die Demokratie an. Sie zerstören das politische Projekt Europas." (Pablo Iglesias, Chef der linken spanischen Protestpartei "Podemos")
"Ein Schuldenschnitt für Griechenland muss sein - insoweit hat Syriza völlig recht." (Bernd Lucke, Chef der eurokritischen deutschen AfD; er fordert die Rückkehr Griechenlands zur Drachme)
Der Autor
Florian Hartleb ist Politologe, freier Publizist und Buchautor. Er arbeitete zuvor unter anderem als Koordinator für Politikanalysen und Parteienforschung an der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung, welche der CDU nahesteht.