Deutschlands Ex-Außenminister ist gegen jede Form des Protektionismus. | Plädoyer für "Effizienzrevolution" bei Rewe-Forum.
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Wien. Joschka Fischer, Deutschlands Ex-Außenminister, glaubt, dass die Nahrungsmittelpreise global weiter steigen werden. "Als ich 1948 geboren wurde, lebten 2,8 Milliarden Menschen auf der Welt, Ende September werden es sieben Milliarden sein." Der Basistrend lautet für ihn: Die Nachfrage verändert sich und damit einher geht der Verlust von Ackerflächen. Natürlich gebe es auch Spekulation in den Rohstoffmärkten, wie 2007 zu sehen war, aber dieser "Kick bei Lebensmittelpreisen, der ist heute wieder so".
Fischer gegen eineAbschottung Europas
Fischer sprach sich im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" aber - trotz unterschiedlicher Öko- und Sozialstandards - gegen jede Abschottung Europas aus. "Ich warne vor einer Erste-Welt-Arroganz. Auch bei uns waren die Standards nicht immer so hoch, wie sie jetzt sind. Und in China wächst eine Mittelschicht heran, die angefressen ist. Auch die will sich bewusst und gesund ernähren und will, dass ihre Kinder eine gute Bildung bekommen. Die Welt ist einfach zu groß geworden für Protektionismus." Der prominente Grüne Fischer, der nach seinem Ausscheiden aus der Politik als Berater für Großkonzerne tätig ist, räumte zwar ein, dass die gegenwärtige EU-Agrarpolitik einen Schutzmechanismus für die europäischen Bauern darstelle, aber: "Sie geht voran, es gab Reformen und es wird welche geben."
Denn die Vorstellung, dass die ganze Welt den europäischen oder amerikanischen Lebensstandard erreicht, findet er lachhaft. "Das wird nicht funktionieren." Sein Credo bei einem Vortrag im Rewe-Forum in Wien: "Wir brauchen eine Effizienzrevolution. Die vorhandenen Ressourcen müssen einfach auf mehr Köpfe verteilt werden."
Um die gegenwärtige Verschwendung zu stoppen, will der Ex-Politiker vor allem die "wirtschaftlichen Akteure" in die Pflicht nehmen - der Politik traut er es offenbar nicht zu. "Wir können auf Großkonzerne schimpfen, aber sie haben eine enorme Hebelfunktion." Wenn sich Fairtrade-Standards bei den großen Einkaufsorganisationen - wie etwa Rewe - durchsetzen, profitieren südamerikanische und afrikanische Bauern stärker als von bloßer Entwicklungshilfe. "Hilfe macht auch abhängig."
Aus dem Revolutionär der 68er-Bewegung ist ein Fan der Eigenverantwortung geworden. Es komme darauf an, woher Nahrungsmittel kommen und wie sie produziert wurden. Rewe-Chef Frank Hensel hat ein Beispiel parat: "Um ein Kilo Weintrauben zu produzieren, sind 80 bis 150 Liter Wasser notwendig. Und wir verkaufen Tonnen davon." Das sei in Österreich kein großes Problem, aber in Süditalien schon.
Fischers Plädoyerfür Großkonzerne
Joschka Fischers Vergleich: "Wir verwenden den Ast, auf dem wir sitzen, als Brennholz." Er will dies nicht als Eliten-Diskussion verstanden wissen. "Natürlich sind Lebensmittelpreise ein wichtiges Entscheidungskriterium beim Einkauf. Nicht jeder kann sich alles leisten." Allerdings - so eine Studie über das Konsumverhalten - wird derzeit schon mehr Geld für Handys und Internet ausgegeben als für Ernährung.
Fischer ist optimistisch, weil "der "Prozess gestartet ist. Die Wirtschaft wird sich anpassen, weil es gar nicht anders geht." Er ist der Meinung, dass der Klimagipfel in Kopenhagen nicht so ein Desaster geworden wäre, wenn er als "Wirtschaftsgipfel" organisiert worden wäre. Die großen Konzerne haben kein Interesse an einem Zusammenbruch des Systems, da sie dann auch kein Geschäft machen würden. "Wirtschaftsunternehmen müssen Gewinne machen." Ja, der Satz stammt von Joschka Fischer . . .
Und damit seien diese Unternehmen eher bereit, die notwendige Effizienzsteigerungen zu machen. Das Klimaziel hält er in der vereinbarten Zeit für nicht mehr erreichbar, es werden daher durch Klimaveränderungen noch mehr Ackerflächen verloren gehen. "Die Lebensmittelpreise werden weiter klettern." Die nächsten Jahre erwartet er daher in der Weltwirtschaft "tiefe Schlaglöcher", aber dann würden sich die Unternehmen den neuen Gegebenheiten anpassen. Und das bedeute einfach: Effizienz, ein sorgsamerer Umgang mit den vorhandenen Ressourcen der Welt. Diese Revolution - so die These Fischers - werde von den multinationalen Konzernen ausgehen, die als Einzige global agieren. Ein bisschen noch vom veränderten Konsumverhalten vor allem in der westlichen Welt - aber nicht von der Politik . . .