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Josef H. Reichholf

Von Ruth Pauli

Reflexionen

Der deutsche Zoologe, Ökologe und Evolutionsbiologe Josef H. Reichholf spielt bei der Endzeitstimmungsmache der Klimawarner nicht mit. Energiesteuern sind für ihn | moderne Ablasszahlungen. Wenn man wirklich an eine Klimakatastrophe glauben würde, müsste man, so meint er, andere Maßnahmen setzen als | die Reduktion von Kohlendioxid.


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Wiener Zeitung: Herr Professor Reichholf, wenn über die Veränderung des Klimas gesprochen wird, kommen sofort Ausdrücke wie "Klimasünder" und "Leugner" ins Spiel. Klingt das nicht eher nach Religion als nach Wissenschaft?Josef H. Reichholf: Die Klimafrage ist dabei, zu einer Art Glaubensbekenntnis zu werden. Die Fakten treten immer mehr in den Hintergrund. Man unterscheidet nicht mehr zwischen dem, was Wetter ist und sich im Verlauf der Witterung ändert, und dem, was langfristiger klimatischer Trend ist.

Es gibt mittlerweile einen Konferenztourismus in Sachen Klima, wobei gebetsmühlenartig verkündet wird, dass das Kohlendioxid allein an allem schuld sei.

Das ist schwer nachvollziehbar. Warum konzentriert man sich so sehr auf das CO 2 , wo es doch nur eines unter mehreren wirksamen Klimagasen ist und im Vergleich zu Methan oder Lachgas einen großen Vorteil hat: es wird von den Pflanzen aufgenommen und in den natürlichen Kreislauf zurückgeholt - was bei Methan oder Lachgas nicht der Fall ist. Es sind komplizierte chemische Abbauvorgänge notwendig, um diese Gase aus der Atmosphäre zu entfernen.

Warum dann die Konzentration auf CO 2 ?

Es geht darum, die Abhängigkeit des Westens von den Öl- und Gaslieferungen aus politisch instabilen Regionen zu vermindern. Energie zu sparen oder vernünftiger damit umzugehen, ist auf jeden Fall ein gutes Ziel. Leider müssen wir umso mehr dafür bezahlen, je mehr wir einsparen. Ob aber die Reduktion des CO 2 -Ausstoßes in einigen wenigen, industriell hoch gerüsteten Staaten weltweit gesehen ausreichen wird, um in den nächsten 50 oder 100 Jahren großklimatische Veränderungen zu verhindern, das wage ich sehr zu bezweifeln.

Allein der Anteil Europas an der Weltbevölkerung geht ja in wenigen Jahrzehnten schon unter zehn Prozent zurück. Entscheidend wird sein, was in den großen Bevölkerungen und stark wachsenden Volkswirtschaften in Asien passiert. Unsere Zukunft hängt von China, Indien und den südostasiatischen Staaten, aber auch von Südamerika ab. Brasilien ist im Begriff, in den Kreis der weltweit wichtigsten Staaten einzutreten. Was dort geschieht - auch bezüglich der Vernichtung von Tropenwäldern - ist weit entscheidender als alles, was wir in der EU mit unseren Einspar-Zielen erreichen können.

Sie sprechen immer wieder von der Überalterung der europäischen Bevölkerung als einem Mitgrund für die Zukunftsscheu, für die Angst vor Veränderungen, mit der wir der Klimaveränderung gegenüberstehen.

Ich habe aus meinen Erfahrungen in Südamerika und anderen Kontinenten den Eindruck gewonnen, dass wir besonders wehleidig geworden sind und sehr zukunftsscheu, weil unsere Bevölkerung katastrophal überaltert ist. Es fehlt bei uns die Zuversicht, dass man die Zukunft meistern könne, wie ich das aus Südamerika oder Asien kenne.

Als Evolutionsbiologe, Ökologe und Zoologe kommen Sie also nicht zu dem Schluss, dass wir vor einer weltweiten Endkatastrophe stehen?

Nein, denn wir müssen eine entscheidende Tatsache berücksichtigen: Die Species Mensch stammt ursprünglich aus den Tropen und lebt nun in allen Klimazonen dieser Erde von den Tropen bis an die Ränder der Pole, von Tiefländern hinauf in Bergregionen. Überall hat der Mensch es geschafft, sich geeignete Lebensbedingungen zu schaffen. Es ist völlig absurd anzunehmen, dass es auf einer wärmeren Erde grundsätzlich ungemütlicher sein würde. Die Menschen werden sich anpassen. Dabei wird es Gewinner geben und Verlierer. Um darauf vorbereitet zu sein, müssen wir in erster Linie wissen, wo es zu massiven Veränderungen kommen wird, wenn die Szenarien der Klimaforscher stimmen sollten.

Sie sagen: "wenn"?

Gute Beispiele für die Zuverlässigkeit von Prognosen gibt es ja wirklich nicht. Die Vorhersagen des Club of Rome oder von Dennis Meadows sind kläglich daneben gegangen. Aber einmal angenommen, die heutigen Computer würden bessere Vorhersagen ermöglichen, dann würde uns eine globale Aussage auch nichts nützen. Vielmehr müssten wir konkret wissen, wie es in Europa aussehen wird, wie in Mitteleuropa, und was in den anderen Regionen der Erde geschehen wird. Dann erst ließen sich auf Völker, auf Staaten oder auf Regionen bezogene, sinnvolle Vorbeugungs- und Gegenmaßnahmen ergreifen.

Meine diesbezügliche Position ist doch eigentlich nicht unvernünftig: Wenn wir schon so fest an den Klimawandel glauben, dann sollten wir doch so gut wie möglich dafür gerüstet und darauf vorbereitet sein. Wirkungsvoll und überzeugend wäre es, wenn die Welt sähe, dass sich die Europäer gegen die Klimaveränderung gewappnet haben.

Das heißt, wenn man sich der kommenden Klimakatastrophe wirklich so sicher ist, müsste man Krisenvorsorge betreiben?

Ja, genau. Würde die Politik daran glauben, stünden der Schutz vor Hochwässern, die Verbesserung der Sturmsicherheit, Vorsorge gegen Trockenperioden durch Wasserspeicher, Anlage von Nahrungsreserven, Verfügbarhalten von produktiven Flächen für die Nahrungsmittelerzeugung und Ähnliches an erster Stelle. Ich halte es für eine völlig falsche Politik, wenn derzeit in Deutschland bestes Ackerland, auf dem Getreide für die Hungernden in der Welt produziert werden könnte, umgewidmet wird, um Biomasse zu erzeugen - nur damit wir mit grünerem Gewissen weiterhin Auto fahren können.

Biosprit ist also ein falsches Signal?

Er ist sogar schädlich, weil er letztlich den Schadstoffausstoß noch weiter erhöht. Denn für ihn werden in den Tropen immer größere Flächen gerodet, um jenes Futter zu erzeugen, das unser Stallvieh braucht, wenn wir unsere Agrarflächen dazu benützen, Biosprit zu erzeugen. Wir werden zudem auch abhängiger hinsichtlich der Versorgung mit Nahrungsmitteln. Und die Nahrung ist immer das Wichtigste - egal, ob wir Sprit aus "grünen" oder fossilen Quellen benutzen.

Tropenwälder waren vor zehn Jahren das große Thema, dann wurde fast nur mehr vom Ozonloch gesprochen, jetzt nur mehr über CO 2 . Wieso?

Das ist ein typischer Medieneffekt. Die Medien machen die Meinung und steuern die Forschung. Je breiter ein Problem getreten wird, umso größer ist der Geldsegen, den die damit beschäftigten Forscher erwarten können. Es geht längst nicht mehr um die Breitenwirkung der Forschung auf allen Bereichen, sondern vor allem darum, vom Geldsegen, den die Politiker in Aussicht stellen, so viel wie möglich zu erhaschen. Die Forschung, besonders die Universitätsforschung, ist viel zu abhängig geworden von Drittmitteln. Diese spielen inzwischen eine so große Rolle, dass wir fragen sollten: cui bonum - wem nützt es? Wenn wir verstehen, wer von dieser Debatte um den Klimawandel profitiert, dann werden wir ihre Hintergründe klarer sehen.

Und wer sind die Profiteure?

Zunächst einmal die Medienwelt, weil sich Katastrophenmeldungen eben besser verkaufen als gute Nachrichten. Dann folgen jene, die mit ihrer Forschung an dem Geldsegen teilhaben. Zugute kommen Krisenstimmungen - in Deutschland ist das besonders offensichtlich geworden - auch der Politik, die Steuerlöcher auf neuen Wegen füllen möchte. Normale Steuererhöhungen sind kaum noch möglich. Auf diesem Weg kann man der Bevölkerung nicht noch mehr zumuten, das ist inzwischen klar geworden. Aber mit Ablasszahlungen, wie einst im Mittelalter, mit der Erzeugung von Ängsten unter dem Motto "Weil man gesündigt hat, muss man dafür jetzt bezahlen" ist das wieder möglich geworden.

Deswegen gibt es ja auch interessanterweise keine nennenswerte Opposition, weil fast alle Parteien das Ziel haben, das Steueraufkommen zu erhöhen. Mit der Energiesteuer, der "Klimasteuer" auf Benzin, hat Deutschland vorgezeigt, wie man das in perfekter Weise macht, ohne die Gesamtfahrleistung zu vermindern und ohne auch nur im Geringsten etwas für das Klima zu tun. Die Erhöhung der Treibstoffpreise um 20 Cent ist in Deutschland nämlich nicht dazu benutzt worden, Maßnahmen gegen den CO 2 -Ausstoß zur Dämpfung des Klimawandels einzuleiten, sondern um Rentenkassenlöcher zu stopfen.

Die nahende Klimakatastrophe hat ein "Gesicht" bekommen - den Eisbären und sein drohendes Ende.

Das ist typisch. Man nimmt weit entfernte, für den Normalmenschen nicht nachprüfbare Fallbeispiele, um die Problematik maßlos übertrieben darzustellen: Dem Eisbären schmilzt das Eis weg! Als ob er auf dem Eis leben würde. Der Eisbär braucht Robben als Lebensgrundlage. Und während wir Krokodilstränen über Eisbären vergießen, hat Kanada im Frühjahr 2008 weitere275.000 Robben zum Abschlachten freigegeben, um ihre Fischbestände zu schützen. Wenn es uns wirklich um den Eisbären ginge, müssten wir doch mit massivem Druck auf Kanada zu verhindern versuchen, dass ihm die Nahrung entzogen wird.

Aber braucht er nicht doch die Eisschollen zum Jagen?

Der Eisbär treibt auf der Scholle, um zu jagen. Doch die schmilzt ihm weg, und so geht er unter! Das ist grober Unfug. Eisbären jagen an den Insel- und Eisrändern, wo es Robben gibt. Entscheidend für ihn sind Vorkommen und Häufigkeit der Robben. Es gab ja auch früher schon wärmere Zeiten in der Arktis. Wie haben denn damals die Eisbären überlebt? Sie sind nahe mit den Braunbären verwandt, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht. Als Gattung sind sie höchst flexibel. Braunbären können in relativ warmen Gegenden wie Syrien, aber auch in Kälteregionen am Eismeer vorkommen. Die Frage ist, wo man sie leben lässt. Der Braunbär "Bruno" hatte in Bayern keine Chance. Eisbären steckt man in den Zoo und lässt sie niedliche Eisbärchen zeugen. Das ersatzweise Heranziehen von fernen, nicht nachprüfbaren Beispielen ist typisch für solche Diskussionen. Weil man im eigenen Land keine überzeugenden Beispiele findet, die den Menschen nahe gehen würden. Genauso verhält es sich mit dem Schmelzen des Eises auf dem Kilimandscharo, das gar nichts mit der Temperaturerhöhung zu tun hat, wie wissenschaftlichen Forschungen bewiesen haben.

Aber die Auswirkungen dieser Katastrophe sind doch angeblich schon zu spüren - Jahrhunderthochwässer, Sturmkatastrophen!

Da wird einfach die Vergesslichkeit der Menschen ausgenützt. Wer kann sich denn noch genau daran erinnern, welches Wetter vor Jahrzehnten geherrscht hat, welche Stürme es gab oder welche Hochwässer? Wenn man sich ein bisschen Mühe macht und in die Geschichte schaut, dann zeigt sich, dass es in den kälteren Epochen viel schlechteres Wetter und weit schlimmere Katastrophen gegeben hat als in den letzten paar Jahrzehnten. Es wird halt vieles verwechselt und vermengt. Natürlich haben die versicherten Schäden massiv zugenommen. Mit der Stärke der Naturkatastrophen hat das wenig zu tun. Wo liegen denn die historischen Hochwassermarken an der Donau und am Inn im Vergleich zu denen unserer Zeit?

Da sprechen Sie einen Ihrer Hauptkritikpunkte an der aktuellen Diskussion an: die Kurzfristigkeit der Vergleichsdaten. Der Fehler der meisten Aussagen über die Temperaturentwicklung besteht darin, dass wir diese mit einem kalten Zeitalter vergleichen?

Ja, verglichen wird meist mit der klimatisch schlechten Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Veränderungen in der Natur wurden, wie ich einem Gutachten der österreichischen Klimatologin Kromp-Kolb entnehmen konnte, sogar nur auf die letzten 20 bis 30 Jahre bezogen. Das ist viel zu kurzfristig betrachtet. Hätte man auf Quellen zurückgegriffen, die eineinhalb oder zwei Jahrhunderte zurückreichen, hätte sich gezeigt, dass gerade bei uns die meisten Wärme liebenden Arten schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts zugewandert sind und gegenwärtig in weiten Bereichen Mitteleuropas weit mehr Rückgänge aufweisen als Zunahmen. Sie sind zum Feindbild der warnenden Klimatologen geworden. Ja, man wirft Ihnen sogar Fehlinterpretationen vor.

Wenn ich mit der einen oder anderen Interpretation falsch liegen sollte, werde ich sicherlich korrigiert werden. Das gehört zum Selbstreinigungsprozess der Wissenschaft. Keine Kritik üben zu dürfen, widerspricht jedoch dem Grundprinzip der Wissenschaft. Das ist pseudo-religiöser Fundamentalismus. In dieser Diskussion hat man aber nicht mehr den Eindruck, dass es noch um einen Abtausch von Argumenten geht, sondern um moralische Haltung gen. Ja, manchmal wird sogar schon der Eindruck erweckt, es sei unmoralisch geworden, Zweifel zu haben.

+++ zur person

Josef H. Reichholf, geboren 1945, Zoologe, Ökologe und Evolutionsbiologe, leitet die Wildtiersammlung der Bayrischen Nationalsammlung und ist Universitätsprofessor an der Technischen und der Ludwig-Maximilian-Universität in München. Besonders durch sein letztes Buch -"Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends" (S. Fischer 2007), einem Sachbuch-Bestseller - hat er sich den Ärger der Klimatologen zugezogen. Darin unternimmt er ein faszinierendes Experiment: Er unterlegt die politische und kulturelle Geschichte mit dem Verlauf des Klimas. Dabei zeigt sich, dass die warmen Perioden immer jene waren, die positive Auswirkungen auf die Menschen hatten - während uns derzeit die Erderwärmung als ultimative Katastrophe präsentiert wird.

Wer Aussagen über die Zukunft machen will, muss erst die Vergangenheit verstehen, postuliert Reichholf und wehrt sich als Evolutionsbiologe dagegen, dass man den Wandel, die Veränderung in jedem Fall als negativ betrachtet, denn "es gibt keinen besten Zustand". Dem derzeitigen Hype über die Klimakatastrophe hält er entgegen, dass man das Klima nicht mit Temperaturmessungen allein beschreiben könne und dass ja auch tausend Jahre für die Natur ein sehr kurzer Zeitraum seien, gerade einmal die doppelte Lebensspanne einer Eiche. Dass ganz andere Interessen hinter der laufenden Debatte stehen, belegt Reichholf auch mit der Tatsache, dass Al Gore für seine Klima-Warnungen keinen wissenschaftlichen, sondern den Friedens-Nobelpreis bekommen hat. Während Reichholf also einerseits zum Feindbild der Klimatologen wurde, liefern ihm auf der anderen Seite Kollegen aus anderen Disziplinen zahlreiche Ergebnisse zur Unterfütterung seiner Thesen. Aus dieser spontan entstandenen wissenschaftlichen Vernetzung ergeben sich spannende neue Lebens-Erkenntnisse.