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Josephinismus in bester Reinkultur

Von Walter Hämmerle

Politik

Liedl: Neutraler Beamtenstaat als | Erfolgsmodell. | Anerkennung | erleichtert Kontrolle radikaler Elemente. | Wien. 9/11 hat die Welt verändert. Seit islamistische Terroristen und Hass-prediger dem Westen den Krieg erklärt haben, ist Religion wieder in aller Munde. Leider in einem kriegerischen Sinn: Die Rede ist von der Bedrohung des christlich-abendländischen Kulturkreises durch einen islamistischen Fundamentalismus und der Frage, ob der Islam mit den Werten der Aufklärung - Demokratie, Emanzipation, Säkularisierung - vereinbar ist.


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In diesem Kulturkampf sieht sich Österreich - und wird von außen auch so gesehen - als Insel der Seligen. Den Grund dafür sieht der Wiener Kulturhistoriker und Islam-Experte Gottfried Liedl in der Anerkennung des Islam bereits im Jahr 1912. Dadurch stiegen gewisse Vereine zu offiziellen Ansprechpartner für den Staat auf. Für Liedl sicherte sich die damalige Monarchie - und in der Folge natürlich auch die Republik - den von (partei-)politischen oder sozialen Zwängen unbefangenen Zugriff des neutralen Beamtenstaats auf den sunnitischen bosnischen Islam.

Ein beabsichtigter und höchst willkommener Nebeneffekt der frühen Anerkennungspolitik ist, dass auch die islamische Zivilgesellschaft unter Kontrolle gehalten wird. Liedl: "Das ist Josephinismus in bester Reinkultur." In diesem Sinne ist für ihn auch der Druck auf die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ), ihre Strukturen im westlichen Sinn zu demokratisieren und transparenter zu gestalten, zu verstehen. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass innerislamische Oppositionsgruppen in basisdemokratische Strukturen außerhalb der anerkannten Glaubensgemeinschaft flüchten.

Und dennoch haben die staatlich anerkannten Strukturen nicht verhindern können, dass auch in Österreich islamistische Hassprediger ihr Unwesen treiben. Für Liedl kein Argument gegen die Strukturen, denn "dass wir die Hassprediger erkennen, zeigt, dass das System funktioniert". Voraussetzung für den Erfolg ist in Liedls Augen der "einzigartige österreichische Typus des philosophierenden Sektionschefs, dem - salopp gesagt - die tagespolitischen Interessen des Ministers egal sind". Es sind für Liedl genau diese bürokratischen Strukturen, die gut zum sunnitischen Verständnis von einem politischen Islam passen, der Politik in allererster Linie als weltliches Ordnungsprinzip verstehe.

Mit dem Weg der frühzeitigen Anerkennung gelang es der Monarchie, den europäisch geprägten, relativ gemäßigten bosnischen Islam in die staatlichen Strukturen einzubinden. Kurz darauf setzte die Niederlage im Ersten Weltkrieg dem multiethnischen und -religiösen Imperium ein abruptes Ende. Die Herausforderung, den Islam politisch zu integrieren, verschwand für viele Jahrzehnte von der politischen Tagesordnung.

"Die Strukturen, die 1912 geschaffen wurden, hörten dennoch nicht auf, unterhalb der Oberfläche fortzuwirken", ist Liedl überzeugt, "sie erinnern sich ihrer selbst, wenn sie gebraucht werden". Das geschah spätestens mit der verstärkten Zuwanderung islamischer Migranten aus der Türkei ab den 70er Jahren. Der Vorteil, über kameralistische Strukturen abseits der Parteipolitik zu verfügen, zeigte sich für Liedl auch bei der Einbindung der islamischen Religionspädagogik in die heimischen Unistrukturen, indem sie dem Spiel der Tagespolitik entzogen wurde.

Tatsächlich spielen - wie auch Liedl offen zugesteht - in dieser langfristigen Perspektive die Zwänge der Tagespolitik keine Rolle. Der Kulturhistoriker ist vielmehr fest davon überzeugt, dass die Tagespolitik grundsätzlich eine destabilisierende Rolle inne hat: "Sie verspricht konkrete Ergebnisse und zielt in Wirklichkeit auf schnelle Schlagzeilen und Unruhe ab - das ist", so Liedl, "das kleine, schmutzige Geheimnis der Tagespolitik".

Montag, 26. Mai, um 18.30 Uhr diskutiert Gottfried Liedl mit dem Unternehmer Herbert Paierl im Rahmen des "Trialog" über alte und neue Spielregeln der Zuwanderung. Im Management Club, Kärntner Str. 8, 1010 Wien.