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Journalismus nach Corona: Die Qualität wird leiden

Von Gerfried Sperl

Gastkommentare

Was würde wohl die Medienlegende Joseph Pulitzer über die heutige Lage der Presse sagen?


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Die "New York Times", immer noch eine der führenden Qualitätszeitungen, hat vor kurzem den Pulitzer-Preis 2020 für ihre Russland-Berichterstattung erhalten. Die Auszeichnung ist nach Joseph Pulitzer (1847 bis 1911) benannt, der in der Nähe des ungarischen Szeged als Sohn eines Getreidehändlers geboren wurde und 1864 nach Boston auswanderte. Dort begann er in der Zeitung "Westliche Post" des radikaldemokratischen Deutschen und späteren US-Innenministers Carl Schurz zu arbeiten.

Was Pulitzer wohl heute über die Lage der Presse in seiner Heimat sagen würde? Und über die Hetze gegen den Demokratieförderer George Soros, einen Landsmann? Vom Preisstifter stammt ein Satz, der noch immer gilt: "Die Presse mag ausschweifend sein, aber sie ist das moralischste Werkzeug von heute. Durch die Furcht vor dem Journalismus wird mehr Korruption, werden mehr Verbrechen vereitelt als durch das Gesetz." Die von ihm 1883 erworbene "New York World" kletterte mit einer Boulevard-Aufmachung, aber mit penibler Recherche und offener Systemkritik auf eine Auflage von 600.000 Exemplaren täglich. In den 1930ern ging sie leider unter.

Seit gut 15 Jahren gibt es die Auseinandersetzung, ob die gedruckte Zeitung - selbst in der Variante als Massenprodukt - noch lange überleben wird: zu teuer die Herstellung, zu hoch die Vertriebskosten, zu aufwendig die Ausgaben für Journalisten, die man nur fürs Schreiben, nicht aber fürs Denken bezahlen möchte. Man könnte sich die Inhalte ja schließlich in billigen Nachrichtenfabriken in Bangladesh beschaffen und den Druck in Rumänien abwickeln. Und überhaupt: Genügt neben der täglichen News-Revue via Internet nicht eine gedruckte Wochenendausgabe mit vielen Bildern und reißerischen Geschichten? Heidi Klum noch ausgezogener und die Ibiza-Story reloaded mit erfundenen Neuigkeiten?

Kampf um die tägliche Nachrichtenhoheit

Die Corona-Krise hat den Kampf um die tägliche Nachrichtenhoheit jetzt ein Stück weit in Richtung Entscheidung gerückt. Die Online-Ausgaben der Medienmarken - von "Krone" über "Standard" und "Presse" bis hin zur "Kleinen Zeitung" - würden zum Schluss das Nachrichtenbild prägen, in den gedruckten Wochenendausgaben würde man die wichtigsten Storys der Woche und die besten Kolumnen nachlesen können. Wird das so kommen? Dazu verdienen einige Fakten Beachtung:

Die Medien leiden generell unter starkem Anzeigenschwund. Dieser ist bei den Massenzeitungen dem Rückgang des Konsums geschuldet. Die großen Kleidungsketten beispielsweise reduzieren ihr Inseratenaufkommen, ebenso die Möbelketten, außer sie haben in den Verträgen mit Fernsehen und Magazinen vorgesorgt.

Private Medieneigentümer nehmen leichter Fusionsangebote an. Zwei Beispiele, denen weitere folgen werden: Noch vor der Corona-Krise hat der ungarische Regierungschef, der per Dekret herrschende Premier Viktor Orbán, mehr als die Hälfte aller Medien von regierungsnahen Unternehmen aufkaufen lassen. Ebenfalls noch vor Corona hat sich der Fiat-Konzern ein Viertel aller italienischen Qualitätsmedien einverleibt - "Corriere della Sera", "La Stampa", "Il Giornale", "La Repubblica" und weitere. Nicht nur das Anzeigengeschäft ist auf diese Weise effizienter zu gestalten.

Der Auflagenzuwachs der ersten Wochen hat sich abgeschwächt, sodass über einen generellen Erlösrückgang von bis zu 50 Prozent gesprochen wird. Die Folge: Die Verlagshäuser haben einen Großteil ihrer Mitarbeiter auf Kurzarbeit geschickt. Das Homeoffice ist teils nötig, teils eine Masche. Die Verlagshäuser sparen beträchtliche Mietkosten ein - selbst wenn Geschäftsflächen generell billiger werden.

Das Leseangebot wird also kleiner, die Budgets für Recherche außerhalb der Redaktionen (oder gar im Ausland) werden schmäler, selbst nach Wiederaufnahme des Kulturbetriebs werden die Ausgaben für Rezensionen von Aufführungen und Ausstellungen geringer werden. Man wird sowohl Reportagen als auch Kulturkritik öfter "einkaufen", die Tendenz zur Publikation von Billigtexten wird zunehmen, die Qualitätsniveaus werden sinken.

In der Konkurrenz mit den Social Media haben die elektronischen Medien Terrain gutgemacht. Während die Privatsender und privaten TV-Kanäle in den vielen Wahlkämpfen der vergangenen Jahre durch innovative Ideen aufgefallen sind, hat der ORF während der Corona-Krise die Nachrichtenszene beherrscht: einerseits durch seine guten (und sprachlich sehr verständlichen) Beiträge der Wissenschaftsredaktion, andererseits durch den Einsatz etlicher guter neuer Moderatorinnen und Moderatoren.

Schattenseiten und Lichtblicke in der Krise

Was Eigentümer und Manager von Verlagshäusern, so sie keine Redaktionsvergangenheit haben, jetzt schon unterschätzen, ist die spontane Kommunikation unter den journalistischen Mitarbeitern. Beispiele: Gedankenspiele beim Kaffeeautomaten, Leseerlebnisse bei der Lektüre von Gedrucktem oder Flüchtigem am Bildschirm, vor allem: das Salz der Diskussionen bei Redaktionskonferenzen. Der Widerspruch verliert an Gewicht. Ehrgeizige Verlagsmenschen können leichter "durchregieren".

Die Parteien und Ministerien, aber auch große Unternehmen unterhalten jetzt schon den Redaktionen nachgebildete "Newsrooms". Deren Bedeutung wächst, weil sie bei der Nachrichtenbeschaffung helfen. Vor allem im Online-Journalismus werden viele Nachrichten nicht mehr auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Wachsende Schnelligkeit und beinharte Konkurrenz drücken auf die Qualität. Das Coronavirus wirkt als Beschleuniger dieser Prozesse. Aber es gibt auch Lichtblicke. Abgesehen von den gesteigerten Verkäufen während der Corona-Krise ist das Verlangen gebildeter Leserschichten nach seriöser Information ein Hinweis, dass vorrangig nicht der neueste technische Clou im Zeitungsgewerbe gewünscht ist, sondern Verlässlichkeit im Journalismus. Bemerkenswert ist die wachsende Rolle des Wissenschaftsjournalismus. Noch nie war er so gefragt wie jetzt. Dieser Trend mag sich wieder verflachen, aber er ist unumkehrbar. Ich erinnere mich noch an einen Anzeigenleiter im "Standard", der die Einführung einer Forschungsbeilage mit der Begründung ablehnte: "Der Markt sagt, das braucht man nicht." Die Akquisition von Inseraten aus diesem Bereich ist immer noch mühsam, aber auf dem Weg zum guten Geschäft. Auch dank Corona.

Aber: Wie so oft müssen Journalisten (und hoffentlich auch Herausgeber) Widerstand leisten, wenn "der Markt" und/oder "die Politik" versuchen, eine Krise auszunutzen, um die Meinungsvielfalt einzuengen und den Zugang zu Informationen und Fakten zu erschweren. Noch einmal Joseph Pulitzer: "Eine zynische, käufliche, demagogische Presse wird mit der Zeit ein Volk erzeugen, das genauso niederträchtig ist wie sie selbst."