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Anna Politkowskaja, die prominenteste russische Tschetschenien-Berichterstatterin, ist wegen einer schweren Vergiftung in ein Krankenhaus in Rostow am Don eingeliefert worden. Die Sonderkorrespondentin der oppositionellen Moskauer Wochenzeitung "Nowaja Gaseta" befand sich am 1. September auf dem Weg nach Nord-Ossetien.
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Politkowskaja hatte vor, an den Verhandlungen mit den Geiselnehmern in der besetzten Schule teilzunehmen.
Die mutige Journalistin war bereits bei der Geiselnahme im Moskauer Musical-Theater im Oktober 2002 an den Verhandlungen mit den tschetschenischen Rebellen beteiligt. Damals war es ihr gelungen, Wasser und Medikamente für die Geiseln ins besetzte Theater-Gebäude zu bringen.
Auf dem Weg von Moskau nach Nordossetien hat Politkowskaja beim Umsteigen auf dem Flughafen von Rostow am Don am 1. September um ca. 23.00 Uhr Moskauer Zeit plötzlich das Bewusstsein verloren. Sie wurde ins zentrale städtische Krankenhaus Rostov am Don mit der Diagnose "schwere Vergiftung" eingeliefert und auf der Intensivstation behandelt. Ihr Gesundheitszustand sei kritisch, teilten die Ärzte dem besorgten Chefredakteur der "Nowaja gaseta" Dmitri Muratov mit. Am Donnerstag hat Politkowskaja das Bewusstsein wieder erlangt und wurde am Freitag in eine Klinik in Moskau überstellt. Sie schwebt nicht mehr in Lebensgefahr, ihr Zustand wird als "stabil" bezeichnet.
Neben Dutzenden kritischen Reportagen aus Tschetschenien verfasste Politkowskaja ein Buch mit dem Titel "Der zweite Tschetschenien-Krieg", das 2003 in Köln unter dem Titel "Tschetschenien. Die Wahrheit über den Krieg" auf Deutsch erschienen ist. Die renommierte Reporterin schrieb über grobe Menschenrechtverletzungen im Tschetschenien-Konflikt sowie über die Korruption in der russischen Armee und illegale Ölgeschäfte in der abtrünnigen Republik. Sie wurde mehrmals von Unbekannten massiv bedroht und musste vor etwa zwei Jahren für einige Monate im Ausland untertauchen.
Auch die öffentliche Meinung der Russen in Bezug auf den andauernden Krieg in Tschetschenien hat sich in den letzten Jahren grundlegend geändert. Waren im Februar 2000 noch 70 Prozent der Befragten für den Krieg und 22 Prozent für die Verhandlungen, lag dieses Verhältnis im August 2004 bei 21 zu 68 Prozent - und damit genau umgekehrt. Das blutige Ende des Geiseldramas in Baslan wird diese Tendenz wohl noch weiter verstärken.