Damm wird vorerst nicht verwirklicht. | Türkische Industrie will Solarenergie. | Istanbul. Die Bäuerin Behiye Kepti aus Südostanatolien und die irakische Regierung haben etwas gemeinsam. Beide können sich über den Rückzug der westeuropäischen Investoren aus dem Ilisu-Staudamm-Projekt freuen. Während Kepti, Teil einer "Rettet Hasankeyf"-Initiative, in Ankara von Botschaft zu Botschaft zog, um gegen die drohende Überflutung der historischen Stätte zu protestieren, rief Bagdad Österreich, Deutschland und die Schweiz dazu auf, den Ilisu-Staudamm finanziell nicht zu unterstützen. Das Projekt auf dem Fluss Tigris würde die schon herrschende Wasserknappheit im Irak nur noch verschlimmern.
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Am Dienstag zogen sich die Europäer nun offiziell zurück. Vordergründig weil die Türkei mehr als 150 Auflagen nicht erfüllen konnte. Doch der Widerstand gegen den Bau des 1,2 Mrd. Euro teuren Speicherkraftwerks nahm in den vergangenen Monaten zu. Künstler, Schriftsteller und nicht zuletzt die Einwohner von Hasankeyf protestierten gegen die mögliche Umsiedlung.
Nach der Entscheidung der europäischen Exportkreditfinanzierer erklärte der Bürgermeister von Hasankeyf seine Freude, dass das "historische, kulturelle und menschliche Erbe" erhalten bleibe, statt unter Wasser gesetzt zu werden.
Gemischte Gefühle
Zurückhaltender gab sich die türkische Regierung. An die fünfzig Jahre ist die Idee zum Staudamm mittlerweile alt, zuletzt wurde sie wieder vom amtierenden Kabinett des Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan belebt, der im Vorjahr ein Milliarden schweres Infrastrukturprogramm für den verarmten Südosten des Landes angekündigt hatte.
Die Signale, die aus Ankara in den vergangenen Tagen kamen, waren: "Ob mit oder ohne euch - wir bauen sowieso." Umweltminister Veysel Eroglu hatte erklärt: "Wir werden dieses Projekt machen." Die Türkei sei ein starkes Land, stark genug um hundert solcher Dämme zu bauen. Wie dies allerdings angesichts des wachsenden Budgetdefizits gehen soll, ließ Eroglu offen.
Dennoch bekräftigte das Ministerium auch nach dem Ausstieg der Investoren den Willen zum Weitermachen.
Die Wirtschaftstreibenden in der Region wiederum sehen dem Staudamm-Projekt mit gemischten Gefühlen entgegen. Sie begrüßen zwar Initiativen, die die Kluft zwischen türkischem Osten und Westen verkleinern würden. Doch den Bau des Ilisu-Staudamms sieht etwa Celal Balik nicht als Notwendigkeit an. Der Generalsekretär der südostanatolischen Industrievereinigung sprach sich für die Nutzung von Wind- und Solarenergie aus, um dem steigenden Energiebedarf in der Türkei zu begegnen. Besser als ein Riesenkraftwerk wäre ein weit verzweigtes Bewässerungssystem, das der Landwirtschaft nutze aber auch verarbeitende Industrie nach sich ziehe. So könnten in einem Gebiet, wo fast jeder Dritte ohne Arbeit ist, neue Jobs geschaffen werden.