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Jüdisch per Gesetz?

Von Johannes Mayerhofer

Politik

Israels Nationalitätengesetz sorgt für Spannungen. In der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft - und in der Armee.


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Jerusalem/Wien. "Ich schäme mich für das Nationalitätengesetz!" Unter diesem Motto kampagnisiert die 1978 gegründete israelische Friedensbewegung "Peace Now" aktuell gegen den jüngsten Coups des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu. Auf dem Online-Netzwerk Facebook ruft die Bewegung die Bürger auf, sich in Videostatements gegen das am 19. Juli von der rechten Regierungsmehrheit beschlossene "Nationalitätengesetz" zu wenden. Auf Arabisch, versteht sich. Das ist kein Zufall, gilt doch Arabisch nach dem neuen Gesetz nicht mehr als offizielle Landessprache. Generell solle das Land nun formal als "jüdischer Staat" definiert werden. Nicht-jüdische Israelis befürchten, zu Bürgern zweiter Klasse zu werden. Vor allem Arabischstämmige. Andere Stimmen warnen vor einer "Panikmache". Gleiche Bürgerrechte seien in Israel nach wie vor garantiert.

"Gesetz hat Realität eingeholt"

"Selbstbestimmung" soll nach dem neuen Nationalitätengesetz ausschließlich den Juden in Israel vorbehalten sein. Außerdem sollen ethnisch-religiös separierte Ortschaften gefördert werden. "Wer heute noch nicht von ,Apartheid‘ in Israel sprechen will, ist schlichtweg verblendet", sagt Professor Moshe Zuckermann von der Universität Tel Aviv im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Der Historiker und Netanjahu-Kritiker sieht mit dem neuen Grundgesetz eine "ohnehin rassistisch und diskriminierend angelegte israelische Alltagsrealität" nun staatsoffiziell abgesegnet. Benachteiligt seien die arabischstämmigen Israelis, die rund 20 Prozent der knapp neun Millionen Einwohner ausmachen, laut Zuckermann ohnehin schon seit langem: am Wohnungssektor, im Bildungssystem, am Arbeitsmarkt. Das Recht habe hier die gelebte Praxis eingeholt, so Zuckermanns Befund. So nehmen 99 Prozent der kleinen israelischen Gemeinden, die in den letzten 70 Jahren gebaut wurden, keine Araber auf, sagt Tsafrir Cohen. Die Leiterin der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv, die der deutschen Partei "Die Linke" nahesteht, befürchtet konkrete Verschlechterungen. Wird einem Araber der Zuzug in eine jüdisch dominierte Ortschaft verwehrt, konnte er bisher gerichtlich dagegen klagen, erklärt Cohen. "Mit diesem Gesetz ist es nun fraglich, ob man vor Gericht gehen und sich das einklagen kann", sagt sie im Deutschlandradio. Das Recht der jüdischen Gemeinden auf Erhalt ihrer Identität werde mit dem neuen Grundgesetz über die Minderheitenrechte gestellt, so Cohen.

Den Grund für die aktuellen Entwicklungen sieht Historiker Zuckermann nicht bloß in der seit 2015 amtierenden rechtskonservativ-religiösen Regierung Israels. Sie seien vielmehr die zwingende Konsequenz eines Dilemmas, in welches sich der Zionismus aufgrund seiner "inneren Logik" selbst hineinmanövrieren musste, erklärt er. Für Zuckermann ist der Zionismus per se weder fähig noch willens zu einer Zweistaatenlösung mit den Palästinensern. Die Fortsetzung der Besatzung und Besiedelung des Westjordanlandes führe zu einer Weggabelung für den zionistischen Staat. Entweder man bildet einen binationalen, demokratischen Staat. Dieser wäre dann allerdings kein zionistischer Staat mehr. Es käme zu einer palästinensischen Mehrheit. Die zweite Möglichkeit: Israel deklariert sich trotz palästinensischer Mehrheit zum "jüdischen Staat". Dies wäre dann klassische Apartheid.

"Bürgerrechte sind garantiert"

Diametral entgegengesetzt sieht Abraham Diskin die Problematik. Weder würden nicht-jüdische Israelis zu Bürgern zweiter Klasse gemacht, noch sei das Gesetz unabwendbares Resultat zionistischer Expansionsgelüste. "Die Bürgerrechte sind vor allem durch zwei Gesetze von 1992 und den Gleichberechtigungsgrundsatz des Obersten Gerichtshofs seit 1948 garantiert", sagt der Politikprofessor der Hebräischen Universität Jerusalem. Daran ändere auch das neue Nationalitätengesetz - übrigens als Grundgesetz mit Verfassungsrang konstruiert - nichts. Grundrechte, wie das aktive und passive Wahlrecht sowie individuelle Rechte für Nicht-Juden blieben beispielsweise unverändert bestehen, so Diskin.

Realpolitisch sei das Nationalitätengesetz unter anderem notwendig, weil viele arabische Staaten die Existenz eines jüdischen Volkes und damit auch eines jüdischen Staates nie akzeptiert hätten. Diskin kritisiert damit auch die Palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland, geführt von Präsident Mahmud Abbas. Auch andere Beobachter der israelischen Innenpolitik meinen, Netanjahu wolle mit dem umstrittenen Gesetz die Position eines jüdischen Staates in künftigen Friedensverhandlungen stärken. Die Gründe für das Gesetz gehen also weit über die israelische Innenpolitik hinaus. Der Politikwissenschafter verurteilt die "Doppelmoral" in der Debatte. Der vermeintliche Widerspruch zwischen einem "demokratischen" und einem "jüdischen Staat" würde einzig und allein im Falle Israels ins Feld geführt, während ähnlich gelagerte Verfassungen in anderen liberalen Demokratien keineswegs derart kritisiert würden. Diese Doppelmoral sei Ausdruck eines vor allem "linken" Antisemitismus, so der 61-Jährige.

Drusen wollen demonstrieren

Doch das Nationalitätengesetz erhitzt nicht nur die Gemüter der Palästinenser und der linken, jüdischen Israelis. Auch unter den rund 130.000 Drusen, welche vor allem im Norden des Landes und auf den Golan-Höhen leben, regt sich massiver Unmut. Sie fühlen sich betrogen, galten sie doch stets als "israeltreu". Die Drusen sind aus dem schiitischen Islam hervorgegangen und leisten seit Israels Gründung 1948 stets Militärdienst. Aus Protest gegen das Nationalitätengesetz waren in den vergangenen Tagen bereits zahlreiche drusischstämmige Soldaten aus der israelischen Armee ausgetreten.

Zwar haben Vertreter der Drusen am Mittwochabend mit Premier Netanjahus Büro noch einen Kompromiss in Form eines gesetzlichen Sondersstatus der Gemeinschaft ausgehandelt. Ihre Ankündigung, am Samstag Protestmärsche abzuhalten, nahmen sie jedoch nicht zurück.