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Film als Angebot zum Dialog zwischen Religionen und Kulturen. | Eigene Untertitelungen sollen ursprüngliche Inhalte wiederherstellen. | Wien. Familiengeschichten, Komödien, aber auch Arbeiten zu provokativen Themen: Der jüdische Spielfilm ist in allen Genres zu Hause. Seit drei Jahren holt der Jüdische Filmclub Wien jeden Monat eine solche cineastische Arbeit nach Österreich und präsentiert sie im Metro-Kino. Das Publikum ist dabei je nach Thema mehr oder weniger bunt gemischt.
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"Wir zeigen jüdische Filme, sind aber kein geschlossener Verein", betont Frank Stern, seines Zeichens Professor für visuelle Zeit- und Kultusgeschichte am Institut für Zeitgeschichte der Uni Wien, der den Filmclub gemeinsam mit Bella Makagon vom MOADON - Club junger jüdischer Erwachsener und Klaus Davidowicz, Professor am Institut für Judaistik der Uni Wien, gegründet hat. Soll heißen: Hier sitzen religiöse Juden ebenso im Kino wie säkulare, hier können sich aber auch Muslime, Christen - kurz: Nichtjuden - angesprochen fühlen, und sie sind willkommen. "Ja, man könnte den Filmclub durchaus auch als filmisches Dialogangebot sehen", sagt Stern.
Das zeitgenössische jüdische Filmschaffen ist breit - doch fast gar nichts davon findet seinen Weg in die heimischen Programmkinos. "Wo immer es eine jüdische Gemeinde gibt, gibt es auch jüdische Filmschaffende", sagt Stern - von Frankreich über Australien bis Mexiko. "Wir zeigen dabei nicht alles, was produziert wird, sondern möglichst alles, was gut ist."
Nicht immer stehen zudem aktuelle Produktionen auf dem Programm. Im Februar holte der Filmclub beispielsweise eine Rarität aus längst vergangenen Zeiten auf die Leinwand: Gezeigt wurde "Der Fluch", ein Stummfilm des Wiener Regisseurs Robert Land aus dem Jahr 1925.
Der Schwerpunkt im ersten Halbjahr 2011 liegt im April auf der Retrospektive "Jüdischer Film Noir", in der an fünf Tagen Filme zu sehen sind, die entweder noch nie in Österreich gezeigt wurden oder deren jüdischer Zusammenhang bisher vernachlässigt wurde. Partner ist hier das Filmarchiv Austria, das die seltenen Werke, an denen unter anderen wie Wiener Fred Zinnemann und Billy Wilder mitgewirkt haben, für den Filmclub besorgt.
Jüdische Identität ist mehr als die Schoa allein
Wer nun Filme über die Schoa erwartet, liegt falsch. "Jüdische Identität heute ist nicht über die Schoa definiert", betont Stern. Ja, die Schoa sei Teil der Erinnerung. Aber jüdische Identität sei eben viel mehr: Religion, Geschichte, Kultur und auch Atmosphäre.
Oft bietet der Filmclub ein Vorprogramm mit literarischen Lesungen oder Gesprächen mit Filmschaffenden. Bei aktuellen Premieren steuert der Club wiederum selbst eine Untertitelung bei.
Stern sprich hier ein heikles Thema an: Selbst in jenen Fällen, in denen es bereits deutsche Untertiteln gibt, verzichtet das Filmclub-Team meist darauf, diese auch zu nutzen. Der Grund: "Bei vielen Filmverleihern und Produktionsfirmen sitzt die Schere im Kopf. Wenn es um jüdische Themen geht, auch um jüdischen Witz, hat man rasch Angst, an Tabus zu rütteln." Am Ende würden viele Anspielungen, die zum Beispiel in US-amerikanischen oder französischen Filmen auf ein jüdisches Milieu verweisen, einfach nicht übersetzt.
Wichtig ist dem Dreier-Team Makagon, Dawidowidcz und Stern bei der Programmierung vor allem eines: "Es gibt keine Zensur und keine Tabus." Die Rolle von Frauen im Judentum (etwa thematisiert in den beiden 2010 gezeigten Streifen "Ha Sodot" und "A Price above Rubies") kann ebenso behandelt werden wie interkulturelle Beziehungen, beispielsweise jener einer muslimischen Kurdin zu einem Juden in "David & Layla" (ebenfalls 2010 gezeigt).
Koschere Buffets und Diskussionen
Auch die Frage, ob Frauen Rabbinerinnen sein dürfen oder sollen, was seit Jahrzehnten immer wieder diskutiert wird, kann im Rahmen des Jüdischen Filmclubs zur Sprache kommen. "Die Halacha (das jüdische Religionsgesetz, Anm.) ist ja kein Ghetto, sondern hat sich über die vielen Jahrhunderte immer weiter entwickelt. Die jüdischen Lebenswelten rund um den Globus sind unser Thema", betont Stern.
Dennoch: Der Jüdische Filmclub will niemanden ausschließen - daher sind Buffets immer ko-
scher und am Schabbat gibt es keine Vorführungen. Die Filmabende sind immer sonntags. "Die Woche beginnt also am Sonntag nach guter alter jüdischer Tradition." Ebenfalls nach guter alter
jüdischer Tradition wird auch
im Anschluss an jeden Film diskutiert.
Der Jüdische Filmclub Wien sieht in der Entwicklung von Jüdischen Filmclubs in Europa übrigens die Zukunft: Das Bedürfnis nach jüdischen Themen auf der Leinwand wächst, Festivals fänden zu sporadisch statt. Die Produktion jüdischer Filme aus aller Welt sei vielfältig und sehenswert. Noch leichter würde man sich in Wien allerdings tun, gäbe es mehr Sponsoren, sagt Stern. Im Rahmen einer Kooperation mit der Synagoge Baden ist der Filmclub übrigens auch dort aktiv und zeigt am 17. März den Streifen "Alles ist erleuchtet", die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Jonathan Safran Foer.
www.juedischer-filmclub.at