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Jüdischer Weltkongress von Orbán-Rede enttäuscht

Von WZ-Korrespondentin Kathrin Lauer

Politik

Ungarns Premier erwähnt in Rede rechtradikale Jobbik mit keinem Wort.


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Budapest. Sollte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán tatsächlich beabsichtigt haben, vor dem Jüdischen Weltkongress (WJC) als Kämpfer gegen den Antisemitismus in seinem Land aufzutreten, so ist der Versuch gewaltig misslungen. Zwar verlangte er in seiner Rede auf der Budapester WCJ-Plenarversammlung "null Toleranz" für Antisemitismus. Er lobte knapp auch das "blühende" jüdische Leben in Ungarn. Und schließlich betonte Orbán vor den Delegierten jüdischer Gemeinden aus aller Welt noch, dass in Ungarn keine Synagogen mit Bomben angegriffen würden - es war wohl als Beruhigung gedacht. Kein Wort verlor der Fidesz-Politiker aber über die harten Fakten: Dass die rechtsradikale Parlamentspartei Jobbik, Ungarns drittstärkste Kraft, am Vorabend der WJC-Versammlung ungehindert gegen den "Zionismus" demonstriert und dabei den ganzen Katalog der gängigen antisemitischen Beschimpfungen abgespult hatte. Dass es allein im vorigen Jahr 102 bekannt gewordene rassistische Zwischenfälle gegeben hat. Den Antisemitismus stellte Orbán als gesamteuropäisches Phänomen dar, ohne auf die ungarischen Spezifika einzugehen. Der einzige ansatzweise kritische Satz lautete: "Wir sind uns bewusst, dass es im Lauf der Jahrhunderte böse Christen und böse Ungarn gegeben hat, die schwere Sünden begangen haben." Welche Sünden? Wie steht es um die "Sünden" jüngeren Datums? Orbán sagte es nicht.

Mehr noch, er pries seine reaktionäre Verfassung, die er 2011 mit Hilfe der parlamentarischen Übermacht seiner rechtskonservativen Fidesz durchgesetzt hatte, als Mittel gegen den Antisemitismus an. In diesem neuen Grundgesetz wird der Ungar als Christ definiert, das ungarisch-jüdische Kulturerbe kommt darin nicht vor. "Wir Ungarn denken, dass es ein Fehler war zu glauben, dass eine Gemeinschaft mit einer schwachen nationalen und religiösen Identität eine bessere Chance auf friedliches Zusammenleben hat." Diese Verfassung sei Ungarns "Antwort" auf den Antisemitismus, sagte Orbán.

Die Reaktionen darauf waren gemischt, der Applaus verhalten. Der WJC kritisierte nachher, Orbán sei "der wahren Natur des Problems nicht entgegengetreten", da er die Bedrohung durch Jobbik nicht erwähnt habe. Zufrieden mit der Orbán-Rede äußerte sich hingegen der Präsident des Verbands der Jüdischen Gemeinden Ungarns (Mazsihisz), Peter Feldmájer. Er gab zu bedenken, das Orbán sich bereits zuvor in der israelischen Zeitung "Jediot Ahronot" von Jobbik distanziert habe. WJC-Präsident Ronald S. Lauder hatte Orbán aufgefordert, die "dunklen Kräfte" des Antisemitismus zu bekämpfen. "Die ungarischen Juden brauchen Sie", sagte Lauder.

Aufruf zur Zivilcourage

Stehenden Applaus bekam hingegen der deutsche Außenminister Guido Westerwelle, der in seiner Gastrede wörtlich sagte: "Antisemitismus hat keinen Platz, weder in Berlin, noch in Budapest, noch sonst wo in Europa oder der Welt." Der FDP-Politiker zitierte auch den deutschen Pastor und Widerstandskämpfer Martin Niemöller (1892-1984), der einst zur Zivilcourage gegen das Hitler-Regime aufgerufen hatte. Die Niemöller-Sätze aus Westerwelles Rede wurde in Ungarns von der Regierung kontrollierten Staatsmedien nicht zitiert.