Der Rechtsexperte aus Israel Nahum Rakover auf Besuch in Wien. | Das Oberrabbinat in Jerusalem ist auch für Juden in der Diaspora eine Anlaufstelle. | Schon vor 1000 Jahren wurde der Schutz der Privatsphäre beachtet. | Wien. Das Klonen ist im Judentum erlaubt. Warum? "Weil geschrieben steht, dass der Mensch sein Bestes geben soll, um die Welt zu verbessern", sagt Nahum Rakover, israelischer Rabbiner, Universitätsprofessor und Rechtsgelehrter, der zudem 16 Jahre lang stellvertretender Generalstaatsanwalt Israels war.
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Nicht nur in dieser Frage überrasche das Jahrtausende alte jüdische Recht durch seine modernen Grundsätze, betonte Rakover vergangenes Wochenende im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" anlässlich eines Workshops auf Einladung der orthodox-zionistischen Bewegung Misrachi Wien.
Halacha: Basis für das menschliche Miteinander
"Nehmen wir den großen Bereich Privatsphäre", so der Rechtsexperte: "Wir diskutieren heute, wie der Einzelne besser geschützt werden kann." Es sei inzwischen allgemeiner Konsens, dass Menschen ein Leben führen können müssten, das nicht - etwa durch Medien oder im Internet - ständig öffentlich gemacht wird.
Das jüdische Recht hat sich dieses Themas schon vor 1000 Jahren angenommen. Rabbiner Gerschom ben Jehuda, der um 1000 nach Christus in Mainz lebte und wirkte, führte bei Verletzung des Briefgeheimnisses einen Bann ein. "Das war eine sehr schwere Bestrafung", betont Rakover, "denn der Betroffene war nicht mehr Teil der Synagoge und niemand durfte mehr Geschäfte mit ihm machen."
Halacha, darunter versteht man die jüdischen Religionsgesetze. Jene Teile, die den Umgang von Menschen mit Menschen regeln, liegen heute der Gesetzgebung in vielen Staaten zu Grunde. "Hier liegt die Basis des menschlichen Miteinanders", sagt Rakover sichtlich stolz. Er hat vor 30 Jahren "The Jewish Legal Heritage Society" gegründet, die sich mit dem Beitrag des jüdischen Rechts zur modernen Gesellschaft wissenschaftlich auseinandersetzt.
Die Gründung 1980 ist kein Zufall: Damals beschloss Israel, sich nicht mehr an das britische Recht anzulehnen, sondern das jüdische Recht zur Basis seiner Gesetzgebung zu machen. Seit damals gilt auch: "Wenn anhand der Gesetze keine Entscheidung getroffen werden kann, sind die jüdischen Quellen heranzuziehen."
Jüdisches Recht darf man sich allerdings nicht als etwas Statisches vorstellen, das nur durch Interpretation an neue Zeiten angepasst wird. Es wird auch immer wieder adaptiert. So wurde vor 40 Jahren vom Oberrabbinat in Israel festgelegt, dass Frauen nur heiraten dürfen, wenn sie mindestens 16 Jahre alt sind. In der Tora beträgt dieses Alter nur zwölf Jahre.
Die Polygamie war bis vor kurzem bei Sefarden erlaubt
Das Verbot der Mehrehe geht zwar ebenfalls schon auf Rabbiner Gerschom zurück, wurde aber über viele Jahrhunderte lediglich von der Gruppe der Aschkenasen, den Juden aus West- und Osteuropa, eingehalten. Inzwischen gilt es für alle Juden, also auch die Sefarden, jene Nachfahren der Juden, die bis zur ihrer Vertreibung um 1500 in Spanien oder Portugal lebten. Immer wieder hatte der Staat Israel mit Fällen von Juden, die ursprünglich aus dem Jemen kamen, zu tun, die mehrfach verheiratet waren, erzählt Rakover.
Doch das jüdische Recht beeinflusst nicht nur den Alltag der Juden, die in Israel leben. Jeder in der Diaspora, also außerhalb Israels lebende Jude kann private oder geschäftliche Unstimmigkeiten mit einem anderen Juden aber auch Nichtjuden, so dieser dies akzeptiert, von einem Rabbinatsgericht schlichten lassen.
Oberrabbinat in Jerusalem auch für Bioethik zuständig
Grundsätzlich zielt das jüdische Recht dabei nicht auf eine Bestrafung, sondern immer auf eine Wiedergutmachung ab, betont Rakover. Gibt es in dem Land, in dem der Betreffende lebt, kein Rabbinatsgericht oder sind auch die ansässigen Rabbiner ratlos, ist das Oberrabbinat in Jerusalem Anlaufstelle. Im Zeitalter von E-Mail und anderen modernen Kommunikationsmitteln ist auch keine Anwesenheit in Israel erforderlich. Handelt es sich allerdings um Delikte, die unter das jeweilige nationale Strafrecht fallen, sind diese immer vor die staatlichen Gerichte zu bringen.
Das Oberrabbinat von Israel schlichtet übrigens nicht nur Streit, sondern ist auch Anlaufstelle, wenn es beispielsweise um Fragen aus dem Bereich Medizinethik geht , wobei - siehe Klonen - dann meist auf Basis der jüdischen Quellen und durch entsprechende Interpretation ein sehr moderner Standpunkt eingenommen wird. Beispiel künstliche Befruchtung. Auch diese ist im Judentum erlaubt, denn: "Es muss immer Wege geben, eine Mutter eine Mutter sein zu lassen."
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