Betreuungsplätze für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind rar, viele bleiben lange ohne Obsorge. Verbesserungen stehen im Regierungsprogramm, wurden bisher aber nicht umgesetzt.
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Kommen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Österreich, ist erst einmal niemand zuständig. Wie auch Erwachsene werden sie zunächst in Unterkünften des Bundes untergebracht. Doch Kinder- und Jugendhilfe ist Ländersache. Das bedeutet, dass junge alleinreisende Geflüchtete fürs Erste ohne Obsorge bleiben.
In der Theorie sollte die Unterbringung in Einrichtungen der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) nur eine Übergangslösung sein. Sobald ein Asylwerber - egal ob jugendlich oder volljährig - zum Asylverfahren zugelassen wird, fällt er in den Zuständigkeitsbereich der Länder und wird in ein Landesquartier überstellt. Für Minderjährige bedeutet das außerdem, dass nun das jeweilige Jugendamt die Obsorge übernehmen kann.
Soweit die Theorie. "Wir haben das Problem, dass sich die Kinder in den Einrichtungen der BBU rückstauen", sagt Lukas Gahleitner-Gertz vom Verein Asylkoordination. Die BBU bestätigt das. 500 unbegleitete Minderjährige seien aktuell in Quartieren des Bundes untergebracht, 400 davon sind bereits zum Asylverfahren zugelassen - sollten also schon von den Ländern übernommen worden sein. "Wir nehmen wahr, dass die Kapazitäten für die Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in Landes-Grundversorgung begrenzt sind", heißt es von der BBU, über mögliche Gründe will man nicht spekulieren.
Was allerdings feststeht: Es ist teurer und aufwendig, alleinreisende Jugendliche adäquat unterzubringen. Einrichtungen, in denen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge untergebracht werden, benötigen mehr Personal, mehr pädagogische Betreuung, Angebote für Jugendliche, ihre Zeit sinnvoll zu gestalten. Um diese Mehrkosten abdecken zu können, erhalten Quartiergeber für die Unterbringung unbegleiteter Minderjähriger deutlich höhere Tagessätze als für Erwachsene. Je nach Wohnform sind es zwischen 40,50 und 95 Euro pro Tag für jeden unbegleiteten Minderjährigen, der reguläre Tagessatz für Erwachsene beträgt dagegen nur 25 Euro.
Tagessätze seit 2016nicht mehr angepasst
Was nach einem vergleichsweise hohen Betrag klingt, ist immer noch deutlich weniger, als für ein österreichisches Kind gerechnet wird, das nicht bei seinen Eltern leben kann und etwa in einer betreuten Wohngruppe untergebracht ist. Die konkrete Höhe sei je nach Bundesland und Situation des Kindes verschieden, sagt Susanne Schönmayr von SOS Kinderdorf, spricht aber etwa vom Doppelten dessen, was für die Versorgung eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings zur Verfügung steht. SOS Kinderdorf betreut derzeit rund 150 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, dazu kommen noch rund 100 junge Vertriebene aus der Ukraine. Manche Bundesländer zahlen zusätzlich zum Tagessatz Zuschüsse aus den Töpfen der Kinder- und Jugendhilfe aus, Organisationen wie SOS Kinderdorf können außerdem Spendengelder verwenden, um die Unterschiede in der Qualität der Betreuung von österreichischen Kindern und Flüchtlingen möglichst gering zu halten. Zufriedenstellend sei die Situation trotzdem nicht, sagt Schönmayr. "Es darf keinen Unterschied machen, ob ich in Syrien oder in Österreich geboren bin. Und es darf keinen Unterschied machen, ob ich in der Steiermark oder im Burgenland untergebracht bin."
Angepasst wurden die Tagessätze für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zuletzt im Jahr 2016, anders als die Beträge für Erwachsene, die vergangenes Jahr inflationsbedingt von ursprünglich 21 Euro um vier Euro angehoben wurden. Gespräche zwischen Bund und Ländern im vergangenen Jahr, auch die Kostensätze für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge anzuheben, brachten bis heute kein Ergebnis. Das Innenministerium verweist allerdings auf den Teuerungsausgleich für Flüchtlings-Quartiergeber, der kürzlich im Nationalrat beschlossen wurde. Rückwirkend können die Länder Quartiergebern für den Zeitraum von Oktober 2022 bis März 2023 einen Teuerungsausgleich von 2 Euro pro Tag und Flüchtling für organisierte Quartiere ausbezahlen, der Bund erstattet die Kosten. Für unbegleitete Minderjährige sind vier Euro vorgesehen.
Dass es im Bereich der Unterbringung und Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen Reformbedarf gibt, hat die türkis-grüne Koalition sogar in ihrem Regierungsprogramm festgeschrieben. "Schnelle Obsorge für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) durch die Kinder- und Jugendhilfe und Berücksichtigung des Kindeswohls im Asylverfahren; besonderes Augenmerk im Asylverfahren auf UMF", sind in dem Papier als Ziele definiert. Erneute Aufmerksamkeit bekam das Thema vergangenes Jahr, als bekannt wurde, dass 2021 drei Viertel der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in Österreich einfach "verschwunden" waren, nachdem sie einen Asylantrag gestellt hatten. NGOs schlugen Alarm, befürchteten, dass Kinder und Jugendliche auch in die Hände von Kriminellen geraten sein könnten.
Keine Fälle von Menschenhandel bekannt
Das Innenministerium ist heute um Beruhigung bemüht. Jugendliche würden in andere Länder zu Familienangehörigen weiterziehen, die Sekundärmigration lasse sich statistisch klar belegen. "Im Jahr 2021 erfolgte bei Minderjährigen, die sich dem Asylverfahren in Österreich entzogen haben, in mehr als 80 Prozent der Fälle eine Anfrage (gemäß der Dublin III Verordnung) eines anderen Mitgliedstaates an Österreich", schreibt das Innenministerium. Diese Kinder und Jugendliche seien also aus freien Stücken weitergezogen, das sei auch nicht zu verhindern. Fälle, in denen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Österreich Opfer von Menschenhändlern wurden, seien dem Innenministeriums nicht bekannt.
Das Problem mit der fehlenden Obsorge für Kinder und Jugendliche in der Bundesbetreuung bleibt dennoch bestehen. Vergangenes Jahr legte Justizministerin Alma Zadic (Grüne) einen Entwurf für eine bundesweit einheitliche Neuregelung vor, die Obsorge sollte demnach ab dem ersten Tag geregelt sein. Bei einem Kinderschutzgipfel mit den zuständigen Landesräten im vergangenen Mai herrschte in diesem Punkt große Einigkeit - umgesetzt wurde das Vorhaben aber bis heute nicht, bestätigt das Justizministerium.
Indes suchen weiterhin Tag für Tag alleinreisende Jugendliche in Österreich um Asyl an. Laut den Zahlen des Innenministeriums waren mit Stichtag 1. März 1.810 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Grundversorgung. 484 hatten im Jänner und Februar dieses Jahres einen Asylantrag gestellt. Hauptsächlich handelt es sich dabei um männliche Jugendliche zwischen 14 und 18, die meisten kommen aus Afghanistan.
Allerdings hat die Zahl der Asylanträge durch UMF ebenso wie die Zahl der Asylanträge insgesamt zuletzt stark abgenommen: Im Sommer und Herbst 2022 hatten noch jeden Monat zwischen 1.000 und über 2.000 alleinreisende Jugendliche um Schutz angesucht.