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Jugend in der Warteschleife

Von Klaus Huhold

Politik

Vielen jungen Afrikanern bleibt ein besseres Leben verwehrt, sagt Alcinda Honwana, eine Soziologin aus Mosambik. | Die Antwort der Jugendlichen: Kampf um einen erträglicheren Alltag, Rebellion - oder Auswanderung.


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"Wiener Zeitung": Sie sagen, dass viele afrikanische Jugendliche ein Leben in der Warteschleife verbringen, Sie verwenden dafür das englische Kunstwort "waithood". Was bedeutet das konkret?Alcinda Honwana: "Waithood" setzt sich zusammen aus dem Verb "waiting" und dem Suffix "hood", das wiederum in "childhood" (die Kindheit, Anm.) oder "adulthood" (das Erwachsenenalter, Anm.) vorkommt, also in Worten, die Entwicklungsstadien des Lebens bezeichnen. "Waiting for adulthood" - die jungen Leute warten darauf, erwachsen zu werden. Theoretisch sind sie im richtigen Alter, 18, 19, 20 oder 21, aber in der Praxis finden sie keine Arbeit, können keine Wohnungen mieten und keine Familie gründen. Sie werden älter und älter und warten immer noch auf einer sozialen Ebne auf das Erwachsenendasein. Leute, die 25 oder 30 sind, erfüllen die Erwartungen der Gesellschaft nicht - die etwa meint, dass sie für sich sorgen können sollten. Und auch wenn sich die jungen Menschen um die äußeren Erwartungen nicht kümmern - etwa, wenn von ihnen verlangt wird, dass sie früh heiraten -, dann bleibt noch immer die Frage, ob sie ihre eigenen Erwartungen an das Leben erfüllt sehen. Wenn dies nicht der Fall ist, befinden sie sich auf einer persönlichen Ebene im Zustand der "waithood".

Und wie reagieren die jungen Leute auf ihre Situation?

Sie versuchen etwa, irgendwie über die Runde zu kommen. Universitätsabgänger arbeiten als Kellner oder Schuhputzer. In Afrika, wo das Leben und Überleben härter ist, landen viele junge Leute auch am Rand der Gesellschaft. Manche schließen sich kriminellen Banden an, um an Geld zu kommen. Andere wiederum machen halblegale Geschäfte. Junge Frauen aus Mosambik kaufen etwa Kosmetika in Südafrika ein, die sie in ihrer Heimat verkaufen. Dafür müssen sie aber Zollbeamte schmieren. Andere junge Leute versuchen sich als kleine Jungunternehmer, manche sind mit der Zeit auch erfolgreich. Junge Leute verwenden viele Ideen und viel Kreativität darauf, um mit ihrer Situation zurechtkommen - das ist eine der Strategien.

Welche Strategien gibt es noch?

Dass die jungen Leute gegen ihre Situation ankämpfen, gegen ihre Regierung demonstrieren. Es haben sich viele Protestbewegungen gebildet, das ist eine Reaktion auf die Verhältnisse. Das hat man beim Arabischen Frühling gesehen oder auch bei Protesten in anderen Ländern wie Senegal oder Südafrika. Einige junge Leute machen nicht ihre Regierung daheim, sondern das globale System verantwortlich - den Kapitalismus, die Globalisierung, die multinationalen Konzerne, die in Afrika agieren. Sie wollen diese Ideologie bekämpfen und sich einer revolutionären Bewegung anschließen. Doch es gibt davon nicht viele, und manche Jugendliche landen bei radikalen Organisationen wie Al-Kaida oder Boko Haram. Sie suchen ein Abenteuer, einen Lebenssinn oder einfach nur Geld - und diese Organisationen bezahlen ihre Mitglieder. Eine weitere Antwort auf die "waithood" lautet Migration. Die Jugendlichen blicken etwa nach Südafrika oder nach Europa, wo die Zukunft in einem helleren Licht erscheint.

Machen sie sich dabei auch das richtige Bild von Europa?

Die jungen Afrikaner sind heute viel besser mit der Welt verbunden als die Generation ihrer Eltern. In den abgelegensten Dörfern bekommen Afrikaner, die ein Handy besitzen, sofort mit, was in der Welt geschieht. Und sie wollen mehr an dieser Welt teilhaben, wollen selbst einen Job und Konsumgüter besitzen. Deswegen streben junge Afrikaner heute nach mehr, haben größere Sehnsüchte als ihre Eltern. Sie riskieren daher alles für ein gutes Leben - und das gute Leben repräsentiert für viele Afrikaner der Westen.

Aber oft ist das Leben für sie nicht gut in Europa. Viele Afrikaner werden zu illegalen und rechtlosen Einwanderern und etwa auf europäischen Obst- oder Gemüseplantagen ausgebeutet.

Viele wissen darüber Bescheid, andere vielleicht nicht. Was aber vor allem zählt: Das ist für junge Afrikaner noch immer besser, als das, was sie zurückgelassen haben. In ihrer Heimat gibt es keine Hoffnung, auf der europäischen Plantage sind die jungen Einwanderer dem guten Leben wenigstens näher als zu Hause. Wenn sie es schaffen, die Plantage zu verlassen, finden sie sich vielleicht mitten in einer pulsierenden Stadt wieder. Aber die Migration geht ja nicht nur nach Europa, sondern sie ist auch ein innerafrikanisches Phänomen. Die Leute wandern vom Land in die Städte, von einer Stadt in die nächste. Oder viele Menschen aus den umliegenden Staaten versuchen ihr Glück in Südafrika, das das ökonomische Zentrum in der Region ist.

Andererseits gibt es nun in Afrika - wenn auch ausgehend von einem niedrigen Niveau - ein massives Wirtschaftswachstum, in Nigeria wuchs die Wirtschaft um sieben, in Mosambik um acht Prozent, und es ließen sich noch viele weitere Beispiele nennen. Kann das die jungen Leute nicht auffangen?

Davon profitieren vor allem die Elite und die multinationalen Konzerne. Das Wachstum findet keinen Niederschlag im Alltag der Bürger. Teilweise basiert es auf der Rohstoffindustrie, auf Gas, Öl oder Diamanten - und das schafft keine neuen Jobs. Zudem beschweren sich die Bürger über korrupte Regierungen, die Deals mit den multinationalen Konzernen abschließen und das Geld in die eigene Tasche stecken.

Und das treibt dann wieder die Protestbewegungen auf die Straße?

Ja, aber gleichzeitig haben viele junge Leute realisiert, dass Proteste in ihren Heimatländern alleine das Problem nicht lösen. Dass die afrikanischen Führer Teil eines größeren globalen Systems sind, das die Korruption ermöglicht. Die Migration junger Afrikaner nach Europa ist somit auch eine politische Botschaft. Sie sagen: "Europa, wir sind auch dein Problem. Deine Konzerne operieren in Afrika und zahlen Schmiergelder. Dein System hat für die Globalisierung gesorgt. Du trägst somit Verantwortung." Zugleich gibt es nun aber auch eine große Migration von Nord nach Süd, so kommen viele junge Portugiesen nach Mosambik, um nach Jobs zu suchen.

Aber welche Auswirkungen haben nun all die Protestbewegungen in Afrika?

Es ist eine große Bewegung. Vieles passiert jeden Tag, ohne dass man viel davon hört. So gab es kürzlich Proteste in Brazzaville, der Hauptstadt der Republik Kongo, und zwar dagegen, dass der Präsident per Referendum die Verfassung für eine dritte Amtszeit ändern will. In Südafrika wiederum kam es zu einem Aufruhr von Studenten gegen die Erhöhung der Studiengebühren. Die jungen Leute lassen die Dinge nicht geschehen, sie reagieren - und das wird so bleiben. Dadurch werden sich die Verhältnisse nicht sofort ändern, aber die Bürger realisieren, dass die Zivilgesellschaft Macht besitzt. Das Aufbegehren wird nicht immer wie in Tunesien oder Burkina Faso mit dem Sturz von Langzeitherrschern enden - aber diese Bewegung sendet eine starke Botschaft an die afrikanischen Führer: "Passt auf! Wir stehen eurem Handeln nicht apathisch gegenüber."

Zur Person

Alcinda Honwana

ist in Mosambik aufgewachsen. Derzeit lehrt die Soziologin und Sozialanthropologin als Gastprofessorin an der Open University in Milton-Keynes in Großbritannien. Sie war auf Einladung des "Wiener Instituts für internationalen Dialog" (VIDC) in Österreich zu Gast.