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Jugend in Teheran: Westliche Konsumsucht und erbitterte Armut

Von Arian Faal aus dem Iran

Politik

Party statt Politik. | Metrosexualität erreicht Gottesstaat. | Teheran. Eigentlich ist es ein Frühlingstag wie jeder andere auf den Straßen Teherans. Nur einige Wahlhelfer, die Flugblätter der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl verteilen, deuteten darauf hin, dass in dem islamischen Gottesstaat ein wichtiger Urnengang stattfindet. Für den größten Anteil der Bevölkerung, die jungen Menschen im Iran, ist die Politik ziemlich belanglos.


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Die jungen Perser gehen viel lieber - und oft heimlich - feiern, als sich über Wahlen und Politik Gedanken zu machen. Iranische Partys sind etwas Besonderes, vor allem wenn sie in den Nobelvierteln des reichen Nordens Teherans stattfinden. Man fühlt sich wie in einer anderen Welt.

Für kurze Zeit könnte man vergessen, dass sich nur 8,5 Prozent der 15 Millionen Einwohner Teherans, die Oberschicht, solche "Soirée-Veranstaltungen" leisten können. Ein Großteil der Bevölkerung hingegen muss bangen, dass das Durchschnittseinkommen (umgerechnet ca. 300 Euro monatlich) bis zum Monatsende reicht. Daher müssen viele Menschen drei oder vier Jobs annehmen, um irgendwie über die Runden zu kommen.

Immer mehr Arbeitslose

Die Zahl der Langzeitarbeitslosen steigt ständig. Jeder zweite junge Mensch in Teheran ist von Armut betroffen. All diese traurigen Tatsachen scheinen bei der Party, zu der auch Ramin, Armin, Lale und Shaghayegh eingetroffen sind, vergessen. Sie gehören zu den Glücklichen, die über den Tellerrand schauen können. Der Eingangsbereich der palastartigen Villa im Stadtteil Zafaranie ist prall gefüllt mit Schuhen. Aus Hygienegründen und wegen der vielen Perserteppiche ziehen sich die Besucher des Festes die Schuhe aus.

Als die vier Freunde in den Salon schreiten, bietet sich ihnen ein Bild der Freude. Mehrere Jugendliche sind dabei, sich bestens zu amüsieren. Sie rauchen Wasserpfeife, reden, spielen Backgammon, trinken Tee oder Alkohol und tanzen. Hier redet man über Parfums, über Chanel, neueste Gucci-Trends und natürlich über Musik. Nur über Politik redet hier keiner. Zwei Burschen, die gerade einen Ausflug ins Freie gemacht haben, kommen in den Salon. Einer fragt, wem "der geile Audi" draußen denn gehöre. "Er gehört Ramin und mir, wir haben ihn gemeinsam gekauft und teilen ihn uns", meint Armin verlegen.

Ausgelassene Jugend

Allgemeines Staunen folgt. Denn die beiden Burschen haben nicht nur ein schickes Auto, sondern sehen auch gut aus. Die weiblichen Partybesucher beginnen hellhörig zu werden. Flüstereien beginnen. Gott sei Dank wird die Musik von Shahram Solati ziemlich laut gespielt. Sonst würde man hören, was etwa die 22-jährige Parastu zu ihrer Freundin Negin sagt: "Du, Negin, die beiden sind ein heißes Eisen, angeln wir sie uns?" Negin meint: "Ja, aber sieh´ dir ihre Augenbrauen und die gefärbten Wimpern an, ich glaube die sind andersrum." Parastu entgegnet erbost: "Du bist naiv. Denn dann müssten ja 75 Prozent aller Männer, die unter 25 Jahre sind und sich ebenfalls die Wimpern färben und Augenbrauen zupfen, auch schwul sein".

Sie hat Recht. Denn das Schlüsselwort ist Metrosexualität. Sie kennt keine sozialen Schichten samt allem, was dazu gehört.

Eine Fahrtstunde weiter in Richtung Süden findet auch im ärmeren Stadtteil Baharestan eine Party statt. Hier ist man froh, ein Dach über dem Kopf zu haben. Auf 70 Quadratmetern sitzen 40 Leute bei Wasserpfeifen und Tee. Eine alte Musicbox bietet die musikalische Kulisse, die Freude am Feiern ist jedoch durch die schlechte Infrastruktur nicht gemindert.

Auch hier tragen die Jugendlichen Markenkleidung. "Zwar keine echte, aber immerhin", wie Arash, 24, stolz erklärt. "Wir haben im Laufe der Jahre gelernt, uns mit den Gegebenheiten des islamischen Alltags zu arrangieren. Egal, wie arm oder wohlhabend jemand ist, die Lust am Feiern, das Gefühl, sich zumindest privat ausleben zu können, kann uns keiner wegnehmen."