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Jugend kehrt der Union den Rücken

Von WZ-Korrespondent Eva Glauber

Europaarchiv

Keine weiblichen Präferenzen für Angela Merkel. | Minus 6 Prozent bei den Youngsters. | Wenig Chancen für Reformen. | Frankfurt/Main. So viele Unentschlossende unter 62 Millionen Deutschen hatten die Demoskopen noch nie zur Wahlurne gehen sehen. Ein Fünftel der Wahlberechtigten hat sich offenbar erst in letzter Minute entschieden, wo ihr Kreuzchen auf der Liste stehen wird. Dass sich ein großer Teil dieser Wechselwähler der FDP zugewendet hat, war aber nicht der einzige Grund für den Erfolg der Liberalen.


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Denn Politiker wie Analytiker waren sich schon bald nach Vorliegen der Hochrechnungen einig, dass eine kräftige Vitaminspritze seitens der Unions-Sympathisanten das zweistellige Ergebnis der Partei Guido Westerwelles verursacht hat. 41 Prozent der FDP-Wähler sagten den Demoskopen, eigentlich fänden sie die Union besser. 1,250.000 CDU/CSU-Wähler wanderten zu den Liberalen.

Die Liberalen fingen aber auch 170.000 SPD-Wähler auf und 50.000 Grüne. Sie mussten umgekehrt wieder 90.000 an die Linkspartei abgeben.

Bei den Jungwählern war das Minus der Union mit sechs Prozentpunkten am höchsten. Opfer dieses Prozesses wurde besonders die CSU. Auch diesmal hat die CSU mit rund der Hälfte der abgegebenen Stimmen in Bayern zwar das beste Ergebnis einer Partei in einem Bundesland erreicht, sie hat jedoch neun Prozentpunkte weniger als 2002.

"Viele Wähler haben ihre Zweitstimme eben der FDP gegeben", entschuldigte sich CSU-Chef Edmund Stoiber. Er war aber auch 2002 deshalb in Bayern so erfolgreich gewesen, weil er damals den Bonus als Unionsspitzenkandidat gehabt hatte.

Überraschungsangriff von links

Dass es für Schwarz-Gelb dennoch nicht reichte, ist dem Auftauchen einer neuen Kraft im Bundestag zuzuschreiben. Die PDS hat mit ihrer Umbennung in "Die Linkspartei" und der Öffnung für abtrünnige Sozialdemokraten wie Oskar Lafontaine den Schritt nach Westen geschafft. Die Linksaußen sind nun eine Kraft mit gleichgroßer Dimension wie die Grünen.

Dieser Entwicklung musste auch die SPD Tribut zollen. Rund sieben Prozent der Arbeitnehmer und weit mehr als zehn Prozent der Arbeitslosen wandten sich der neuen Kraft zu. Ganz ausgeprägt war diese Wählerwanderung zwar in den neuen Bundesländern. Doch auch in Westdeutschland mussten die Sozialdemokraten einen weiteren Aderlass bei ihren Stammwählern hinnehmen.

Gewerkschaftschef Michael Sommer - selbst Sozialdemokrat - wies allerdings lieber auf die politische Konkurrenz. "Angela Merkel konnte die Arbeitnehmer mit ihrer neoliberalen Reformankündigungen nicht überzeugen," meinte der DGB-Vorsitzende. Er war nach den guten Ergebnissen der Union unter den Gewerkschaftsmitgliedern in früheren Jahren sichtlich erleichtert. "Die CDU muss sich überlegen, ob sie sich noch als Volkspartei darstellt."

So hat das Auftauchen einer neuen bundesweiten Kraft und eines der besten Ergebnisse der Liberalen nur kuriose Ergebnisse hervorgebracht. Die FDP wird rotz des besten Ergebnisses ihrer Geschichte voraussichtlich nicht mitregieren, weil sie die rot-gelb-grüne Ampel als einziger mehrheitsfähiger Konstellation per Parteitagsbeschluß ausgeschlossen hatte, was auch Parteichef Westerwelle am Abend vehement bestätigte. Kanzler Gerhard Schröder hat den Niedergang der SPD trotz der starken Konkurrenz - nun auch von Links - nach der Misstrauensfrage vom 1. Juli durch einen starken Wahlkampf stoppen können.

Dennoch bedeutet das Ergebnis das Ende von Rot-Grün. Kanzler kann Schröder höchstens als Chef einer Minderheitsregierung bleiben, wie es der Politologe Prof. Karl-Rudolf Korte ins Spiel brachte. Seine Vorstellung von einer großen Koalition unter seiner Führung stieß eher auf Unverständnis aller Beobachter.

Zu vorsichtig haben die Deutschen ihr Votum angelegt, als dass Angelas Merkel nun ihren Anspruch auf schnelle Reformen umsetzen könnte. Als Spitzenkandidatin der stärksten Fraktion im Bundestag kann sie aber trotz der herben Verluste ihren Anspruch auf Regierungsbildung erheben. Selbst wenn Angela Merkel die Ära des "Macho Schröder" gegen dessen hinhaltenden Widerstand beenden kann, wird ein weiteres Kuriosum der Entscheidung vom gestrigen Sonntag deutlich: Bei den Frauen hat sie nicht punkten können.