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Jugend, Politiker und die UNMIK

Von Christine von Kohl

Politik

Auf die Frage, "Gibt es einen Fortschritt?", antworten im Kosovo die einen mit Ja und die anderen mit Nein. Beide haben, jeder in seiner Weise Recht. Interessant dabei ist vor allem, dass die Alten die Optimisten sind, während die Jugend immer skeptischer, frustrierter und wohl auch aufsässiger wird. Was den Finnen Harri Holkeri, Nachfolger des Deutschen Michael Steiner, an der Spitze der vielfach umstrittenen und kritisierten Mission der Vereinten Nationen für eine Übergangsverwaltung des Kosovo (UNMIK) in Pristina erwartet, wird keine leichtere Aufgabe sein als es schon der Franzose Bernard Kouchner und der Däne Hans Haekkerup vor ihnen erleben mussten.


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Ganz eindeutig keinen Fortschritt gibt es fast vier Jahre nach der NATO-Intervention in der Wirtschaft. Der deutlichste Beweis ist eine rund 70-prozentige Arbeitslosigkeit - und das bei einem Durchschnittsalter von 25 Jahren. Besonders problematisch ist die Situation der Jugend auf dem Lande und in Kleinstädten. Niemand kümmert sich um sie, es fehlt ihnen ein Tagesprogramm - weshalb viele ihre Zeit damit verbringen, in den Straßen mit ebenso frustrierten Gleichaltrigen herumzulungern. Wer von diesen jungen Leuten einem Angebot illegaler Verdienstmöglichkeiten widerstehen kann, muss schon über ansehnliche moralische Festigkeit verfügen. Es hungern ja nicht nur sie, sondern auch ihre Familienangehörigen. Vor dem "Verhungern" bewahren diejenigen, die im Ausland arbeiten und immer wieder Geld schicken oder Gegenstände für den alltäglichen Bedarf bringen. Ganz wichtig sind auch Medikamente, denn Arztbesuche oder Spitalsaufenthalte sind unerschwinglich.

Die Wirtschaft liegt brach

Hier, wie in Bosnien-Herzegowina, gibt es eben auf Seiten der für alles verantwortlichen UN-Verwaltung keinerlei Konzept oder Initiative, um die wirtschaftliche Entwicklung anzukurbeln. In unterschiedlicher Form lautet ja die Devise der internationalen Gemeinschaft, dass erst eine rechtsstaatliche Grundlage der Sicherheit für Investoren gegeben sein müsse. Die allgemeine Erfahrung aus der Praxis jedoch, die von den Verantwortlichen nicht zur Kenntnis genommen wird, lehrt: Ohne Perspektiven auch keine ehrliche Demokratie.

In Albanien, wo es keinen Krieg gab und keine UNMIK gibt, investieren heute sowohl die Mafiabosse als auch, in bescheidenem Maße, ausländische Partner, beide schaffen Arbeitsplätze - und die besagten Perspektiven. Im Kosovo aber scheuen sich heute sogar finanziell potente Albaner zu investieren. Das kann kaum verwundern, wenn man bedenkt, dass Bankkredite für Kleinprojekte bis zu 20.000 Euro Zinsen zwischen 12 und 17% kosten, dass Zölle und Abgaben für den Import von Rohstoffen mit insgesamt 27% belegt werden und dass darüber hinaus derartige Zahlungen in Cash erfolgen müssen.

Solche Bestimmungen haben nichts mit fehlender Rechtsstaatlichkeit, die den albanischen Politikern vorzuwerfen wäre, zu tun; das sind Bestimmungen der UNMIK. Da gleichzeitig der Import im Kosovo boomt - so wie in allen anderen Staaten nach dem Sturz des Kommunismus - werden etwa Milchprodukte und Saisonobst aus Slowenien, Mazedonien oder Ungarn eingeführt; die Preise kann kaum jemand zahlen.

"Standard vor Status" war die Devise des energischen, aber trotzdem nicht erfolgreichen UNMIK-Chefs Michael Steiner. Damit hat er die Kosovaren zutiefst verstört - denn die UN-Resolution 1244 spricht zwar von einer möglichen Unabhängigkeit von Serbien, aber erst nach einem neuerlichen Referendum. Die Albaner aber haben sich ja schon mehrfach mit überzeugender Mehrheit dafür ausgesprochen. Sie hätten es verstehen und akzeptieren können, wenn ihnen gesagt worden wäre: Die Unabhängigkeit bekommt Ihr ganz sicher, aber vorher müssen eine ganze Reihe von rechtsstaatlichen und demokratie-politischen Maßnahmen gesetzt werden, damit Ihr nicht unter den übrigen Staaten in der engen und der weiteren Nachbarschaft das Schlusslicht werdet. Stattdessen mehrten sich im letzten Jahr die Anzeichen dafür, dass die internationalen Politiker eher daran interessiert sind, jeden Konflikt mit Serbien zu vermeiden. Und das schürt Unsicherheit und Misstrauen gegen die UNMIK und die internationale Politik.

Unmut über Uni-Pläne

Auch das Projekt einer internationalen, "multiethnischen" Universität im von Belgrad finanzierten und von Serben usurpierten Kosovska Mitrovica sorgt für großen Unmut, insbesondere in albanischen Akademikerkreisen. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass die Universität Pristina es in der Hand gehabt hätte, ein solches Projekt, das im übrigen auch von österreichischer Seite gefördert werden soll, zu vermeiden. Doch statt junge, im Ausland geschulte albanische - vielleicht auch serbische und andere internationale - Akademiker zu holen, um eine auf den aktuellen wissenschaftlichen Stand gebrachte Uni aufzubauen, sitzen die alten Herren, verdiente Pädagogen aus der Zeit der serbischen Okkupation in den neunziger Jahren, fest auf ihren Sesseln: Sie scheuen die Konkurrenz und die Jugend. Die Initiatoren der Mitrovica-Universität wären besser beraten gewesen, wenn sie statt einer teuren Investition - die auf Seiten der Serben wie ein Geschenk verstanden werden muss, auf albanischer Seite wie ein erster Schritt zu einer Teilung des Kosovo - gemeinsam mit den jungen albanischen Akademikern an einer Reform in Pristina mitgewirkt und den alten Herren eine würdevolle Pensionierung zugesichert hätten. Das wäre z. B. ein Schritt in Richtung Vertrauensbasis.

Misstrauen der Jungen

Dass die jungen Albaner pessimistisch in ihre eigene unmittelbare Zukunft blicken, ist kaum verwunderlich. Eigenartig ist hingegen die Erfahrung, dass die Älteren der politischen Elite voller Zuversicht erklären: Wir sind ganz nahe dem Ziel, für das wir schon immer gekämpft hatten: die Unabhängigkeit. Sie gratulieren sich selbst schon im voraus geradezu euphorisch und merken offensichtlich nicht, dass sie in der Bevölkerung immer weniger respektiert werden. Nicht nur die Jungen sagen: "Weg mit den Alten". Der Mangel an Fachkompetenzen in den Ministerien, die belanglosen Streitereien und Debatten im Parlament, die in einer andauernden Stagnation auf allen Gebieten resultieren, ruft verschiedene Oppositionen auf den Plan. Eine politische Persönlichkeit, die Kompetenz, Autorität und Vertrauen vereine und als Hoffnungsträger für eine bessere Entwicklung gelten könnte, sei aber leider nicht in Sicht, sagen die kosovarischen Gesprächspartner.

Andererseits aber melden sich erstaunlich moderate, tolerante, meist besser gebildete junge Menschen zu Wort. Sie wollen die Bürger im Kosovo aus der Apathie, der tiefen Politikverdrossenheit herausführen, wollen die Menschen motivieren, aktiv an der Entwicklung des Kosovo teilzunehmen. Sie sind idealistisch und nüchtern zugleich, haben ein Demokratieverständnis und denken sozial. Man wird sehen, ob sie auch pragmatisch handeln können.

Andere wollen den Dialog mit UNMIK suchen, um auf der Basis von Expertisen zu aktuellen Problemen und Fragen ein besseres Verständnis für die Lage in Kosovo unter den internationalen Funktionären zu erreichen. Auch die einheimischen Politiker, denen Fachkompetenzen und Politikerfahrung fehlen, wollen sie auf diese Weise unterstützen.

Den alten und den jungen Albanern im Kosovo aber ist neben gemeinsamen großen Problemen noch etwas gemeinsam seit dem Ende des Krieges 1999: Ihr neues, täglich aufs Neue bestätigtes Selbstbewusstsein. Sie verdanken es der Tatsache, dass sie heute nicht mehr befürchten müssen, von serbischen Uniformierten tätlich angegriffen und gedemütigt zu werden, wenn sie auf die Strasse gehen. Dafür fühlen sie sich vor allem den USA zu Dank verpflichtet. Für den neuen UNMIK-Chef Holkeri, der über keine Erfahrung am Balkan verfügt, bietet sich eine Chance, wenn er sie denn zu nutzen versteht: die Finnen haben in ihrem Land zwischen Russland und Schweden Standhaftigkeit und Kompromissfähigkeit bewiesen.

Die Autorin ist Herausgeberin der Zeitschrift "BALKAN/Südosteuropäischer Dialog".