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Arbeiten inmitten von Umzugskartons heißt es derzeit für die Mitarbeiter des Wiener Jugendgerichtshofs (JGH), die seit Jahresanfang im Grauen Haus amtieren. Auch die jugendlichen Häftlinge sind von Erdberg in die Josefstadt übersiedelt. Leer steht das Gebäude in der Rüdengasse deswegen aber noch nicht. Die Jugendgerichtshilfe behält zumindest vorerst Büros - und in die "menschenrechtswidrigen Hafträume" in Erdberg werden bald erwachsene Gefangene einziehen.
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Topfpflanzen und Schränke in den Gängen, ausrangierte Küchengeräte und herausgerissene Klappstühle aus alten Verhandlungssälen in den Stiegenhäusern. Dazwischen hunderte Umzugskartons. Die drei Stockwerke im Grauen Haus, wo seit dem 2. Jänner der JGH logiert, erinnerten vergangene Woche eher an ein Caritas-Möbellager denn an ein Gericht.
Jetzt sitzen die Jugendrichter in ihren neuen - noch nicht ausgemalten - Zimmern mit Blick auf den Spazierhof und die vergitterten Fenster der Justizanstalt und ärgern sich. "Alles wird länger dauern", befürchtet Jugendrichterin Claudia Fenz. Der Gebäudekomplex zwischen Landesgerichts-, Alser- und Wickenburggasse nimmt sich mit seinen 85.800 m² Nutzfläche im Vergleich zum JGH-Gebäude aus wie ein Big-Billa Supermarkt zum Greißler ums Eck. Um zu einem Untersuchungs-Häftling im Halbgesperre zu gelangen, berichtet Fenz, brauche sie nun zehn Minuten, "vorausgesetzt, ich muss nicht auf den Lift warten".
Die Hauptprobleme sehen die Jugendrichter beim Strafvollzug. Seit Samstag sind die jugendlichen Gefangenen aus der - dem JGH angeschlossenen - Justizanstalt Erdberg im modernen D-Trakt des Grauen Hauses untergebracht. Während Justizminister Dieter Böhmdorfer davon ausgeht, dass sich Jugendliche und Erwachsene durch die Unterbringung in eigenen Trakten voneinander trennen lassen, hält etwa Jugendrichter Lacom die völlige Trennung für unmöglich. Die Eingliederung der Jugendlichen in die Josefstadt sei daher - so Lacom - als "zivilisatorischer Rückschritt" zu werten.
Richterin Beate Matschnig hat schon bisher die Haftvisiten bei den Jungen Erwachsenen (18 bis 21-Jährige) in der Josefstadt vorgenommen. "Die häufigste Beschwerde war immer, dass sie aus den Hafträumen nicht genug rauskommen", berichtet Matschnig. Während die Jugendlichen in Erdberg zwei mal täglich Sport betreiben konnten, kämen die Jungen Erwachsenen in der Josefstadt nur ein Mal wöchentlich in die Turnhalle. Eine Folge der Überbelegung und der Personalknappheit: "Die Josefstadt ist für 900 Haftinsassen systematisiert - jetzt hat sie rund 1.300."
Minister will JGH auflösen
Wegen des "menschenrechtswidrigen Zustands" der Hafträume in Erdberg und wegen der kostenintensiven Gefangenentransporte wollte Böhmdorfer JGH und Jugendgefängnis mit Landesgericht und Justizanstalt Josefstadt fusionieren. Da sich das Gesetz aufgrund der Neuwahlen nicht mehr ausging, kam ein Ministerial-Erlass. Statt Eingliederung hieß es nun: Übersiedlung und Erhaltung der Eigenständigkeit. Eine (Halb-)Lösung, die die Jugendrichter für das geringere Übel halten. Aber auch Günter Woratsch, der Präsident des Straflandesgerichts, ist damit nicht unzufrieden. Im Falle der Eingliederung würden die Jugendrichter unter seine Obhut fallen - jetzt bleiben Jugend- und Strafrichter getrennt. "Ich mische mich nicht in ihre Sachen und hoffe, dass sie sich nicht in meine einmischen", befindet Woratsch in der ihm eigenen geradlinigen Art.
Keine Posten ausgeschrieben
Wie lang diese Autonomie währt, wird nicht unwesentlich von künftigen politischen Konstellationen abhängen. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" macht Böhmdorfer kein Hehl aus seiner Absicht, die "rechtsstaatliche Anomalie" JGH vollends zu beseitigen: "Sollte ich wieder Justizminister werden, wird der JGH aufgelöst." Das gut funktionierende Netzwerk aus spezialisierten Richtern, Staatsanwälten, Sozialarbeitern und Jugendgerichtshilfe soll allerdings, betont der Minister, erhalten bleiben.
Momentan steht besagtes Netzwerk ohne Leitung da. Die Posten des JGH-Präsidenten, des Leiters der Jugendstaatsanwaltschaft sowie des Leiters der Jugendgerichtshilfe sind vakant - keine dieser Stellen wurde bis dato nachbesetzt oder ausgeschrieben. Für Ex-JGH-Präsident Udo Jesionek, der mit Ende 2002 in Pension ging, ein klarer "Rechtsbruch". Für den Minister nur eine "logische Konsequenz" seines Reform-Planes. Den Vorwurf der Rechtswidrigkeit weist er zurück - es komme immer wieder vor, dass mit einer Ausschreibung zugewartet werde.
Gebäude steht nicht leer
Die Übersiedlung erfolgte zwar betont rasch, aber nicht vollständig. Das Ziel, das JGH-Gebäude wirtschaftlich zu verwerten, scheint in die Ferne gerückt. Zumindest bis Ende Jänner bleiben Mitarbeiter der Wiener Jugendgerichtshilfe in der Rüdengasse. Ab Februar bekommt die Jugendgerichtshilfe dann ein Büro in einer Mietwohnung in der Wickenburggasse. Dass die beschränkten Platzverhältnisse ein Ausweichen auf Wohnungen in der Umgebung des Landesgerichts notwendig machen, war von Seiten des Justizministeriums noch im November heftig dementiert worden. Bis der Keller im Grauen Haus ausgebaut ist, bleibt auch das Aktenarchiv des JGH wo es ist. Und auch die "menschenrechtswidrigen Hafträume" in Erdberg - Böhmdorfer kritisierte damals nicht abgemauerte Toiletten und die Enge der Zellen - werden nicht lange leer stehen: Wie Böhmdorfer bestätigte, werden in Bälde erwachsene Häftlinge in Erdberg einziehen. Die Zellen würden aber nur einzeln belegt, außerdem werde es sich um "Strafgefangene im gelockerten Vollzug" handeln, wodurch die Unterbringung internationalen Standards entspräche.
Fenz abschließend: "Wissen Sie, es ist absurd, ich lobe bei Vorträgen im Ausland seit Jahren das Modell der modernen Jugendgerichtsbarkeit in Österreich - und jetzt muss ich mitteilen, dass man dieses Modell bei uns gerade zerstört."
Info-Box:
Jugendgerichtsbarkeit
Sonderbestimmungen für junge Straftäter enthält das Jugendgerichtsgesetz. Über Jugendliche (14 bis unter 18 Jahre) und junge Erwachsene (18 bis unter 21 Jahre) richten in Österreich rund 100 speziell ausgebildete Jugendrichter. In Wien wurde ein spezieller Jugendgerichtshof eingerichtet.
Verurteilungen
Die Jugendkriminalität ist im europäischen Vergleich niedrig. Laut Sicherheitsbericht 2001 gab es in diesem Jahr 21.873 tatverdächtige Jugendliche und 25.387 verdächtige Junge Erwachsene. Insgesamt wurden im Jahr 2001 3.793 Jugendliche verurteilt.
Jugendliche in Haft
Unter 8.531 Untersuchungs-Häftlingen befanden sich im Jahr 2001 675 Jugendliche: 631 Burschen und 44 Mädchen. 1.047 Haftinsassen waren Junge Erwachsene (85 Frauen). In Strafhaft wurden im Jahr 2001 4.318 Personen genommen - darunter 228 Jugendliche.
Das Graue Haus
Das sogenannte Graue Haus, das nach einer Generalrenovierung eigentlich gar nicht mehr grau ist, beherbergt das Landesgericht für Strafsachen Wien, die Staatsanwaltschaft Wien sowie die Justizanstalt Josefstadt. Seit 1. Jänner 2003 sind in dem Gebäudekomplex (Nutzfläche 85.800m²) zwischen Landesgerichts-, Alser- und Wickenburggasse auch der Jugendgerichtshof Wien, die Jugendstaatsanwaltschaft und die Wiener Jugendgerichtshilfe untergebracht.