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Jugendkultur: Pragmatismus statt Rebellion?

Von Matthias G. Bernold

Politik

Skater - Chatter - Partygänger. Junge Menschen zwischen Individualismus und Körperkult, zwischen Lebenslust und Zukunftsangst. Was sie denken, wie sie fühlen und für welche Karriere sie sich entscheiden - das versuchte eine Studie des Instituts für Jugendkulturforschung und Kulturvermittlung herauszufinden.


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Die Mods, die Hippies, die Punks, die Gothics, Beatnicks, Raver, Skater,... Jedes der letzten Jahrzehnten brachte seine eigene Jugendkultur hervor. Als Spiegel oder Reaktion auf gesellschaftliche Zu- oder Missstände verrückte jede Generation der Heranwachsenden auch die Werte der Gesellschaft insgesamt. Zumindest ein kleines Stückchen. Die Wünsche und Erwartungen der Jungen, ihre Moralvorstellungen und Werte sind Indikator einer möglichen Zukunft.

Mit welcher Jugendkultur also haben wir es in diesem Jahrzehnt zu tun und welche Schlüsse lässt dies für künftige Zeiten zu?

Eines vorweg: Leicht haben es junge Menschen heute nicht. Denn jugendlich ist eigentlich jeder irgendwie. Teenagern wird in der Regel mit augenzwinkernder Gleichgültigkeit begegnet, solange sie nicht gerade im Hof mit ihren Skateboards das Stiegengeländer hinunter-"grinden" oder die eigene Hauswand mit Graffiti verzieren. Provozieren, sich durch Abgrenzung von den Älteren selbst definieren wird schwierig, wenn Mama gepierct ist und Papa in Baggy-Pants mit dem Joint vor dem Fernseher sitzt: "Die Eltern sind heute kein Reibebaum mehr," erklärt die Wiener Jugendforscherin Beate Großegger im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", die Jungen wohnten so lange wie möglich bei den Eltern und ließen sich verwöhnen. Großegger: "Das passt zum bequemen Zeitgeist."

Im Zehn-Jahresrythmus durchgeführte Wertestudien zeigen, dass die Basiswerte junger Menschen weitgehend stabil bleiben. Wurden Jugendliche früher gefragt, was ihnen wichtig ist, so sagten sie: Freunde, Familie, Freizeit. Das ist heute genau so. (Politik rangiert übrigens nach wie vor ganz unten.) "Allerdings verstehen Jugendliche unter den Begriffen nicht unbedingt das selbe wie die Erwachsenen. ,Familie' heißt nicht mehr nur Kleinfamilie im bürgerlichen Sinn. Dazu zählen für die Jungen auch enge Freunde und das soziale Umfeld", erklärt Großegger.

Ein deutlicher Unterschied zu vorangegangenen Studien: Schule und Ausbildung werden wichtiger genommen als früher.

Freiheit und Druck

Einerseits bietet die heutige Gesellschaft Jugendlichen Wahlmöglichkeiten, die früheren Generationen verwehrt waren. Gleichzeitig wächst aber der Druck, die richtige Entscheidung zu treffen. Der Arbeitsmarkt ist enger geworden. Der Einstieg ins Erwerbsleben schwieriger. Und von den Studenten wird erwartet, in der Mindeststudiendauer fertig zu werden, sich Auslandserfahrung zu beschaffen und Zusatzqualifikationen anzuhäufen. Großegger: "In den 1980er-Jahren war es völlig selbstverständlich, bis 28 zu studieren. Die Studentenzeit wurde auch als Selbstfindungszeit betrachtet. Das ist offenbar vorbei."

Zu wissen, dass es keine langfristige Sicherheit gibt, mache viele Jugendliche zusehends deprimiert und frustriert: "Es kommt gegen diese Umstände aber zu keinem Aufbegehren, sondern viele reagieren mit einer sehr pragmatischen Haltung." Keine Rebellen, keine Gesellschaftsveränderer seien die Jugendlichen heute, analysiert Großegger weiter, sondern eher so etwas wie "Aussteiger aus der gesellschaftlichen Debatte", die sich ins Privatleben zurück ziehen und sehr im Hier und Jetzt leben. Der Politik und politischen Institutionen werde im Allgemeinen wenig Vertrauen entgegengebracht, meint die Wissenschaftlerin. Sich politisch einzubringen liegt wenig im Trend: "Dazu haben die Jungen scheinbar weder die zeitlichen noch die finanziellen Ressourcen." Auch ein subkulturelles Szene-Engagement - wie etwa in den 1970er und 1980er-Jahren die Autonomen- und Hausbesetzer-Szene - ist heute ein Minderheitenphänomen.

Materielle Burschen

Die Jugendlichen wollen heute vor allen Dingen einen Beruf, der Spaß macht, ihnen Sicherheit und ein harmonisches Privat- und Familienleben ermöglicht. Feststellbar ist auch, dass Geld für die männlichen Jugendlichen eine größere Rolle spielt als für die weiblichen. Laut Studie geben 30 Prozent der Frauen zwischen 14 und 19 Jahren an, dass ihnen Geld sehr wichtig ist - bei den Männern sind es 48 Prozent. "Junge Männer schöpfen ihren Selbstwert oft über materielle Dinge", während junge Frauen eher auf Selbstverwirklichung Wert legen würden. Großegger ergänzend: "Ohne dass sie allerdings gewillt sind, Ungerechtigkeiten zu akzeptieren". Entscheidend dafür, welcher Wert dem fetten Bankkonto eingeräumt wird, ist auch die Zugehörigkeit zur sozialen Schicht. Je ärmer die Eltern, desto wichtiger ist es für deren Kinder, materielle Sicherheit zu erlangen.

Jugendkultur = Freizeitkultur

Jugendkultur ist heute vor allem Freizeitkultur. Jugendliche mit ähnlichen Interessen treffen einander in "informellen" themenorientierten Netzwerken. Musik, Sportarten wie Skaten, Snowboard, Beach-Volleyball oder Computer und Computerspiele dienen als Identifikationsmerkmal. Dabei funktioniert die Szene als große Probebühne für die Selbstperformance.

Pragmatismus statt Rebellion?

Sachen ausprobieren, herausfinden, wer man ist und wer man sein will. In der Szene zählen spezifisches Wissen und entsprechendes Können. Da sei es "egal aus welcher Schicht jemand kommt, egal was der Vater verdient", erläutert Großegger: "Es geht auch, aber nicht nur um ein bestimmtes Markenlogo, es zählen bestimmte Umgangsformen, die Sprache, Rituale."

Erfolgsfaktor: Aussehen

Auch die äußere Erscheinung spielt eine gewaltige Rolle. Junglehrer Jan Killian, der im zweiten Semester am Bundesoberstufen-Realgymnasium in der Landstraßer Hauptstraße in Wien unterrichtet, berichtet verlegen, dass er manchmal in seine Klasse kommt und einzelne Schüler nicht mehr erkennt: "Sie verändern laufend ihr Aussehen, ändern Haarfarbe, Frisur und Mode." Dass ein attraktives Äußeres unabdingbar ist, um in der Gesellschaft bzw. am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, ist unter Jugendlichen unumstritten: Laut einer deutschen Jugendstudie glauben 71 Prozent der 12- bis 18-jährigen jungen Deutschen, dass zukünftig das Aussehen wichtiger sein wird als der Charakter. In dieser Einschätzung sind sich übrigens Männer und Frauen einig.

Aus der Szene in den Job

Heute ist es bereits für 13-jährige Burschen völlig normal, sich die Haare zu färben. "Etwas, das früher unvorstellbar gewesen wäre, weil typisch weiblich", meint Jugendforscherin Großegger. Das ist auch die Folge von Vorbildern wie etwa David Beckham, der sich Beine und Brust rasiert, andererseits aber "typisch männliche" Eigenschaften hat - Großegger ein wenig zynisch: "Er ist Fußballer, betrügt seine Frau." Nachsatz: "Jugendliche sagen uns, wie die Erwachsenenwelt funktioniert."

Mitten drin in der jugendlichen Freizeitkultur stecken die 14 bis 19-Jährigen, vor allem während der Schulzeit. Tendenziell bleiben die Männer länger der jugendlichen Freizeitkultur verhaftet. Wie sich welche Jugendszene auf die spätere Berufslaufbahn auswirkt, ist derzeit unerforscht. "Es gibt darüber keine Langzeitstudien", berichtet Großegger. "Was es aber gibt, sind Szenemitglieder, die zwar altersmäßig die Jugendkultur hinter sich gelassen haben, die aber ihr Insiderwissen nützen, um beruflich etwas daraus zu machen." Beispiele dafür seien etwa Snowboard-Shops oder Plattenläden. Oder Computerspieler, die sich später als Computer-Gurus durchschlagen.

Appell an Politik

Beate Großegger appelliert an die Politik, solche Versuche, eine Leidenschaft zum Beruf zu machen, stärker zu unterstützen. "Denn viele Junge verfügen zwar über das nötige Szenewissen - es fehlt ihnen aber am Wissen um organistorische Abläufe und Buchhaltung. Da müssten vermehrt Kurse für solche Leute angeboten werden, damit die geschaffenen Jobs auch halten." Viel zu sehr würde man sich derzeit auf Normarbeitsverhältnisse konzentrieren.