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"Jugendliche nicht in Haft"

Von Simon Rosner

Politik

Nach heftiger Kritik an Ministerin Beatrix Karl kommen Reformen nun in Gang.


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Wien. "Jugendliche gehören nicht in Untersuchungshaft", sagt Andreas Venier, Professor für Strafrecht an der Universität Innsbruck. Er ist überzeugt: "Ein Gefängnis ist kein Ort für einen Jugendlichen." Jedenfalls ist es kein Ort für Resozialisierung, kein Ort, an dem Jugendliche wieder dorthin gebracht werden, wo sie weit weg von jeglicher Kriminalität sind. Und nun weiß man auch, dass es ein Ort ist, an dem das Aggressionspotenzial so hoch ist, dass für die Sicherheit der Jugendlichen nicht mehr ausreichend gesorgt werden kann.

Die jüngsten Vergewaltigungsfälle haben nach zunächst abwiegelnden Reaktionen aus dem Justizministerium nun doch einiges in Bewegung gebracht. Der Druck auf Justizministerin Beatrix Karl wurde zuletzt auch sehr groß, und er kam aus allen politischen Richtungen. Die Grünen hatten Karl am Dienstag zum Rücktritt aufgefordert, auch BZÖ und FPÖ forderten Reformen im Jugendstrafvollzug. Bundeskanzler Werner Faymann erklärte, "klare Änderungen" zu erwarten, allerdings sprach Faymann Ministerin Karl zugleich sein Vertrauen aus. "Ich stehe hinter ihr."

Über den Sommer wird eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des Sektionschefs für den Strafvollzug, Michael Schwanda, nötige Reformvorschläge erarbeiten, und die könnten zumindest in die Richtung der Forderungen von Strafrechtler Venier gehen. Schwanda will, dass bei der richterlichen Prüfung auf Untersuchungshaft künftig die Kinder- und Jugendanwaltschaft beigezogen wird, dass Verdächtige vermehrt gegen gelindere Mittel auf freien Fuß gesetzt beziehungsweise bis zur Hauptverhandlung in betreute Wohneinrichtungen untergebracht werden.

Die gegenwärtige Praxis ist eine komplett andere. Der elektronisch überwachte Hausarrest ("Fußfessel") kommt bei der Untersuchungshaft bisher so gut wie gar nicht zur Anwendung, und ein betreutes Wohnen ist für Jugendliche derzeit überhaupt nicht vorgesehen.

Für Andreas Venier stellt sich aber auch die Frage, warum bei so vielen Fällen überhaupt vom Mittel der U-Haft für Jugendliche Gebrauch gemacht wird. Generell, also auch die Erwachsenen herangezogen, liegt Österreich seit vielen Jahren im Spitzenfeld bei der Gefangenenrate. Laut Sicherheitsbericht 2011 waren 104 von 100.000 Personen inhaftiert, in Deutschland waren es nur 87, in der Schweiz gar nur 77. Zur U-Haft gibt es zwar keine Aufschlüsselung, laut Venier korreliert diese Zahl aber mit der Gefangenenrate und beträgt rund ein Fünftel bis Viertel der Gesamtzahl der Inhaftierten.

Verhältnismäßigkeit zur Tat

Wie bei Erwachsenen gibt es auch bei Jugendlichen drei Gründe für U-Haft: Flucht-, Verabredungs- sowie Tatbegehungsgefahr. Venier empfindet die hiesige Handhabe aber als zu grob gefasst. "Das Gesetz ist nicht schlecht, aber der praktische Umgang weist Mängel auf." Er verweist auf die Verhältnismäßigkeit, die im Jugendstrafgesetz festgeschrieben ist. Demnach dürfen Jugendliche nur dann in Untersuchungshaft genommen werden, "wenn die mit ihr verbundenen Nachteile für die Persönlichkeitsentwicklung und für das Fortkommen nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Tat und zu der zu erwartenden Strafe stehen". Es ist ein Paragraf, der scheinbar an Bedeutung verloren hat. Doch auch bei Erwachsenen vermutet Venier, dass hinter der rigiden Praxis heimischer Untersuchungsrichter meist andere Gründe liegen: "Kriminaltouristen sollen abgeschreckt werden."

Vor zehn Jahren hatte in Wien der Fall eines 14-Jährigen für Aufsehen gesorgt, der wegen des Verdachts auf gewerbsmäßigen Ladendiebstahl in U-Haft saß und dort von Mithälftlingen vergewaltigt wurde. In der Verhandlung konnte der Richter dann keine Gewerbsmäßigkeit feststellen. Diese war qua Herkunft - der Jugendliche kam aus Rumänien - einfach angenommen worden. Der 14-Jährige hätte gar nicht in U-Haft sein dürfen.

Eindeutige Diskriminierung

"Das passiert bei ausländischen Tatverdächtigen häufiger", sagt Venier. Eine Gewerbsmäßigkeit erhöht nicht nur den Strafrahmen, sondern führt auch zur U-Haft auf Basis der Tatbegehungsgefahr. Die Herkunft spielt auch bei der Prüfung auf Fluchtgefahr eine Rolle, wie auch Dagmar Albegger, Sprecherin des Justizministeriums bestätigt. Es werde zwar immer der Einzelfall geprüft, "aber wenn jemand in Österreich nicht verwurzelt ist, wird Fluchtgefahr eher angenommen".

Für Andreas Venier bedeutet dieser Umstand, dass es "wirklich eine Benachteiligung von Ausländern" gibt. Sie werden öfter in U-Haft genommen und öfter verurteilt. "Es macht kein gutes Bild, wenn jemand nach der U-Haft freigesprochen wird." Es sei auch selten, dass die Strafdauer unter der Dauer der U-Haft liegt, merkt Venier an und verweist auf eine Studie des Juristen Albin Dearing "Man prüft eher belastende Umstände, auch wenn das nicht bewusst passiert", erklärt Venier.