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Jugendliche sollen hinter Gitter

Von Andreas Osterhaus

Politik

Paris - Im Kampf gegen die Jugendkriminalität hat der französische Gesetzgeber die große Keule hervorgeholt. Geschlossene Heime ab 13 Jahren, in extremen Fällen sogar schon für Zehnjährige, Wiedereinführung der Untersuchungshaft für Jugendliche unter 16 Jahren - das alles sieht ein Gesetzentwurf des konservativen Justizministers Dominique Perben vor, der noch vor der Sommerpause durch beide Häuser des Parlaments gepaukt werden soll.


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Letzte Woche begann die Beratung im Senat, diese Woche debattiert die Nationalversammlung. Wenn das Parlament keine entscheidenden Änderungen beschließt, müssen Tausende Jugendliche damit rechnen, von Laien-Richtern ins Gefängnis geschickt zu werden. Allmählich greift die Erkenntnis um sich, dass dies eine Bankrott-Erklärung des Erziehungssystems ist.

Die Reform des Strafrechts solle lediglich ein "Wahlversprechen von Präsident Jacques Chirac einlösen", sagt Justizminister Perben. Vor seiner Wiederwahl im Mai hatte Chirac verkündet, nach fünf Jahren Linksregierung werde er bei Fragen der Inneren Sicherheit die Notbremse ziehen. Kaum war im Juni eine konservative Regierungsmehrheit gesichert, zogen Chiracs Vasallen aus, seine Verheißungen umzusetzen. Innenminister Nicolas Sarkozy plante 13.500 neue Stellen und 5,6 Mrd. Euro zusätzlich für die Polizeikräfte ein, Perben will 3,6 Mrd. Euro in das Justizsystem pumpen und den überlasteten Berufsrichtern 3300 Laienrichter zur Seite stellen, die nach den Gesetzen des gesunden Menschenverstandes Recht sprechen sollen.

Nach dem Rechtsruck bei der Wahl wurde der neue Trend in der Innenpolitik zunächst ohne großen Widerstand hingenommen. Bei der Bewilligung der zusätzlichen Milliarden stimmten die Sozialisten sogar mit der Mehrheit von Chiracs UMP. Aber die Bestimmungen des Perben-Gesetzes rufen nun einen Sturm der Entrüstung hervor. Jugendrichter machen darauf aufmerksam, dass sich die Zahl der Jugendstrafen von 6500 vor einem Jahrzehnt inzwischen ohnehin auf mehr als 13.000 verdoppelt hat.

Die Berufsrichter kritisieren, dass Laien künftig darüber entscheiden sollen, welche Strafen für Minderjährige angemessen sind. Sie verweisen auf die Internationale Konvention über die Rechte von Kindern, nach der die Einbeziehung von Jugendrichtern in solchen Fällen vorgeschrieben ist. Die Nationale Menschenrechtskommission (CNCDH) kritisiert die "Tendenz zum Einsperren", die Zeitung "Le Monde" eine Politik, die "nur auf die Karte der Repression" setzt.

In der parlamentarischen Debatte werden sich Rechte und Linke mit gegenseitigen Schuldzuweisungen überziehen. Die Linke wird ein Dekret von 1945 hochhalten, mit dem das Prinzip der Erziehung über das Prinzip der Bestrafung gestellt wurde. Die Rechte wird auf die unhaltbaren Zustände vor allem in zahlreichen Trabantenstädten des Landes verweisen, wo Halbstarke ihre eigenes Ordnungssystem errichtet haben und Polizisten seit Jahren ihre Füße nicht mehr hinsetzen. Die Kriminalitätsstatistiken zeigen steil nach oben, Zehntausende Eltern und Lehrer müssen versagt haben. In den Trabantenstädten werde die "Schwäche des Staates" vorgeführt, argumentiert etwa der rechtsliberale Abgeordnete Christophe Lagarde. Einer "Minderheit von Straftätern" werde erlaubt, eine "Diktatur über die Mehrheit" auszuüben. Abhilfe soll nun jene Leitlinie schaffen, die Chirac zum Motto seiner fünfjährigen Amtszeit gemacht hat - das Prinzip "Null Toleranz".