)
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Jean-Claude Juncker kann sich zugutehalten, dass er die EU-Wahl gewonnen hat. Dass er sich daher nicht als Handlanger der EU-Regierungschefs definiert, sondern sich stärker Richtung EU-Parlament orientiert, ist nicht nur logisch, sondern auch richtig.
Nun hat dieses Parlament allerdings einen großen Fehler gemacht, indem es zwar den Briten Jonathan Hill und den Spanier Miguel Arias Canete als künftige EU-Kommissare akzeptierte, aber die bei den Liberalen schwach abgesicherte Slowenin Alenka Bratusek ablehnte. Nicht einmal ein zweites Hearing wurde ihr zugestanden, kein Ruhmesblatt für Christ- und Sozialdemokraten, auch nicht für die Liberalen.
Der künftige Kommissionspräsident sollte eigentlich an Bratusek festhalten, das Parlament stimmt über die neue Kommission schließlich in Bausch und Bogen ab. Es müsste demnach die gesamte Kommission ablehnen. Da sich Juncker stärker als sein Vorgänger Jose Manuel Barroso in Richtung Parlament orientiert, wäre dies ein Affront, der die EU-Institutionen in eine tiefe Krise stürzen würde.
Allein Bratuseks Austausch droht den Terminplan durcheinanderzubringen. Junckers Team soll am 1. November mit der Arbeit beginnen. Wenn er die neue slowenische Kandidatin Violeta Bulc nicht mit der Energieunion betraut (und das wäre kurios), muss Juncker die Zuständigkeiten ändern. Wenigstens zwei Kommissare bräuchten also ein neues Hearing. Ade, 1. November.
Dies ist schon ein Dämpfer für die "große Koalition" auf europäischer Ebene, die Juncker bisher virtuos dirigierte. Denn es erlaubt den EU-Regierungschefs, die in Gestalt des Europäischen Rates die Geschicke mitlenken, ihren Führungsanspruch zu unterstreichen. Genau das will Juncker nicht, und zwar mit gutem Grund. Die Beschlüsse der Regierungschefs in der Euro-Krise fielen spät und halbherzig. Und, wie gerade wieder an Frankreichs Budget zu sehen ist, sie scheren sich wenig um bestehende Einigungen.
Wenn Juncker mutig agieren möchte, müsste er an Bratusek festhalten. Und wenn das EU-Parlament klug agierte, würde es das akzeptieren.
Davon ist wenig zu sehen, was als beunruhigender Hinweis auf das Kommende gelten kann. Denn Europa braucht eine gemeinsame Politik, um die Zukunft zu stemmen. Das erfordert Mut und Klugheit und nicht 28 Einzelkämpfer.