Der auch für die Periode bis 2019 nominierte österreichische EU-Kommissar Johannes Hahn erwartet eine Konsolidierungsphase in Europa.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien/Brüssel. In den kommenden Tagen wird sich Johannes Hahn angeblich mit seinen EU-Kommissionskollegen Dacian Ciolos (Rumänien), Maros Sefcovic (Slowakei), Janez Potocnik (Slowenien), Neven Mimica (Kroatien) und Günther Oettinger (Deutschland) zusammensetzen. Die Herren haben alle Chancen, als "Überlebende" des 28-köpfigen Teams von Jose Manuel Barroso in die nächste Kommission unter Jean-Claude Juncker übernommen zu werden. Sie sind allerdings keine Frauen, und Juncker sucht händeringend weibliche Kommissionsmitglieder.
Die fünf oder sechs Köpfe können allerdings ihre Erfahrung in die Waagschale werfen, und das wollen sie allem Anschein nach gemeinsam machen. Für Juncker wäre es ohne Zweifel von Vorteil, Leute in seinem Team zu haben, die den Betrieb in Brüssel bereits kennen. Das spart Zeit und Irritationen. Der 57-jährige Hahn, der auch Vizepräsident der Europäischen Volkspartei ist, wurde von Österreichs Regierung für eine weitere Amtszeit nominiert. Allerdings reden bei der Bestellung Juncker selbst und das EU-Parlament mit. Zum Treffen der "Altvorderen" in der Kommission gab sich Hahn im Interview wortkarg - bei den anderen EU-Themen, zu denen die "Wiener Zeitung" ihn befragte, ging er allerdings auch ins Detail.
"Wiener Zeitung":Was halten Sie von Jean-Claude Junckers Zehn-Punkte-Programm? Da ist viel von Vertiefung und Gemeinschaft die Rede, die Energie-Union gibt es überhaupt noch nicht, 300 Milliarden Euro sollen für Jobs ausgegeben werden. Viel EU-Recht also, weniger bilaterale Vereinbarungen der Regierungschefs und mehr Politik als früher.Johannes Hahn: Es war die einzig richtige Ansage. Juncker steht für die Gemeinschaftsmethode, darum wird er ja von manchen Ländern kritisiert. Aber diese intergouvermentalen Vereinbarungen zwischen den EU-Staaten, also ohne das Parlament und die Kommission einzubinden, können ja auch kein Normalzustand sein. Es lag an der Wirtschaftskrise, und der Notwendigkeit rascher Handlungen. Aber Juncker ist auch pragmatisch genug, um die Frage zu stellen, was auf europäischer Ebene nicht behandelt werden sollte. Und die 300 Milliarden Euro, von denen er im Parlament gesprochen hat, sind auf alle Fälle darstellbar. Wir haben beispielsweise mit der Reform der Regionalpolitik schon wichtige Vorarbeiten für diese viel strategischere Ausrichtung von Investitionen geleistet.
Das EU-Parlament hat bei Junckers Bestellung seine neue Macht und großes Selbstbewusstsein über die Fraktionen hinweg gezeigt. Wird das auch die Arbeit der neuen EU-Kommission verändern?
Es gibt ein neues Zusammenspiel von Europäischem Parlament und Kommission. Ich glaube, der Europäische Rat (das Gremium der Regierungschefs, Anm.) hatte die Dynamik des Modells der Spitzenkandidaten zur EU-Wahl nicht ganz abgesehen. Das hat mittlerweile auch dort einen Nachdenkprozess ausgelöst. Grundsätzlich stehen wir vor einer Periode der Konsolidierung, die bereits für die vergangenen fünf Jahre geplant war. Aber die Finanz- und Wirtschaftskrise hat uns da einen Strich durch die Rechnung gemacht. Und wir dürfen eine Aufgabe nicht vergessen: Die kommende Kommission muss den Vorschlag für die nächste Finanzierungsperiode nach 2020 machen.
Welches Dossier, wie die Ressorts in der EU-Kommission genannt werden, streben Sie selbst an, sollten Sie weiterhin der Kommission angehören? Derzeit sind sie Regionalkommissar, der dreistellige Milliardenbeträge zu verteilen hat. Die neue tschechische Kandidatin hat schon erklärt, sie wolle dieses Ressort haben.
Das zeigt, wie attraktiv dieser Themenbereich ist. Aber es wird davon abhängen, ob Juncker die jetzige Einteilung so belässt, oder ob er die Kommission neu organisiert. Faktum ist, dass niemand die 274 Regionen der EU so gut kennt wie ich.
Gut. Möchten Sie Energie-Kommissar werden?
Noch einmal: Die Ressortverteilung liegt in der Kompetenz des Kommissionspräsidenten. Aber natürlich ist Energie ein attraktives Ressort, das allerdings ein starkes politisches Backing, auch unter den Regierungschefs, braucht. Die Erneuerung der Energienetze ist wegen des enormen finanziellen Aufwands mit den bestehenden öffentlichen Budgets nicht zu machen. Und dann gibt es ja noch einen wesentlichen Aspekt: Es gibt weltweit gültige Ölpreise (an den Börsen New York und London, Anm.), aber es gibt nicht einmal einen europäischen Erdgas- und Strompreis. Das ist eine politische Frage. Energie wird eines der zentralen Themen der künftigen EU-Kommission sein, gerade auch in Hinblick auf die Beziehungen mit Russland.
Gut. Möchten sie Industrie-Kommissar werden? Juncker hat der Industrie wegen ihrer Bedeutung für den Arbeitsmarkt in seinem Zehn-Punkte-Programm einen großen Stellenwert eingeräumt. Österreich hat einen Industrie-Anteil, der über dem EU-Durchschnitt liegt, und Sie haben ja eine einschlägige berufliche Vergangenheit als Generalsekretär in der VATech.
Als erstes sehe ich den Job-Motor eher bei den Klein- und Mittelbetrieben. Aber wir brauchen industrielle Leitbetriebe, weil an jedem Industrie-Arbeitsplatz mehrere Arbeitsplätze in kleinen Zulieferbetrieben hängen. Wir brauchen eine weitere Forcierung von europäischen Industrie-Clustern. Nehmen wir das Beispiel Oberösterreich. Diese Industrie-Region hat als eine der ersten wirtschaftliche Cluster gebildet. Bis heute ist Oberösterreich bei allen Daten vorne mit dabei. Dieses System werden wir im Rahmen der Reform der Regionalpolitik in allen EU-Staaten beziehungsweise EU-Regionen installieren.
Zum Beispiel?
In Manchester wurde vor etwa zehn Jahren ein Herstellungsverfahren für den neuen Werkstoff Graphen entwickelt. Dieser zeichnet sich durch besondere Festigkeit aus, ist härter als Stahl und hat eine besondere elektrische Leitfähigkeit. Mittlerweile gibt es auch im griechischen Patras ein Graphen-Institut. Es liegt also nahe, in Patras Firmen anzusiedeln, die Anwendungen für diesen Werkstoff haben. Da braucht es einen europäischen Cluster. Es ist gut und schön, Schlüsseltechnologien zu definieren, aber was mache ich damit?
Das ist eine schöne Vision. Europa scheitert gerne am Detail. Es gibt also europäische Cluster, aber die jeweiligen Wissenschafter und Industrie-Experten scheitern dann an den Arbeitsbestimmungen und Sozialversicherungen im jeweils anderen Cluster-Land.
Grenzüberschreitende Forschung wird mittlerweile überwiegend elektronisch erledigt. Nehmen wir das Beispiel Europäische Südsternwarte. Diese betreibt Teleskope in Chile, ihre Zentrale ist in München angesiedelt, aber wenn sich ein Forscher aus Wien beteiligen möchte, dann besorgt er sich Beobachtungszeiten in Chile und erledigt das alles von seinem Computer in Wien aus. Da braucht niemand mehr in den Flieger zu steigen.
Zurück zur Makro-Politik. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble hat jüngst in einem Vortrag die Nationalstaaten sinngemäß als überholt bezeichnet, weil diese nicht mehr in der Lage seien, globale Probleme zu lösen. Soll die EU-Kommission eine Art Super-Regierung sein?
Was ist die Alternative zur Abschaffung der Nationalstaaten? Ein Europa von 274 Regionen? So viele haben wir nämlich aktuell. Nein, es gilt, Europa auch institutionell weiterzuentwickeln, aber es muss regierbar bleiben und gleichermaßen die Bürgerinnen und Bürger einbinden. Ein möglicher, gut vorbereiteter Konvent könnte darauf eine Antwort geben. In der Regionalpolitik haben wir - in der Sache, nicht institutionell - Vorarbeiten geleistet. Jede Region definiert ihre Stärken, dem folgen die Förderungen.