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Junckers Egotrip

Von Bernd Vasari aus Brüssel

Politik

Jean-Claude Juncker möchte Gelder der Mitgliedsstaaten auf einen eigens geschaffenen Fonds umschichten.


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Brüssel. Der Erfolg einer Gemeinschaft hängt von der Bereitschaft der Stärkeren ab, die Schwächeren zu unterstützen. Das gilt für Unternehmen, Fußballmannschaften, Ländervereinigungen. Auch die Europäische Union orientiert sich nach diesem Prinzip. Immerhin ein Drittel des gesamten Budgets fließt in die Regionen, vor allem in strukturschwache Gebiete. So will es die Vereinbarung zwischen Kommission, Parlament und Mitgliedsstaaten. Knapp 352 Milliarden Euro, verteilt auf sieben Jahre, sind dafür budgetiert.

Doch nun soll dieser Grundpfeiler europäischer Solidarität gekappt werden. Initiator des Vorstoßes ist ausgerechnet der große Europäer und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Setzt er sich durch, verliert das Parlament an Macht. Und statt der Regionen werden Konzerne profitieren.

Bis 2020 haben sich die Mitgliedsstaaten verpflichtet in die Regionalentwicklung einzuzahlen. Nun beginnen die Verhandlungen für die nächste Förderperiode nach 2020. Die Ausgangsposition: Ein Zehntel des EU-Budgets fällt mit dem Austritt von Großbritannien weg. Zudem will Juncker mehr Geld für den von ihm ins Leben gerufenen Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI). In Brüssel wird sein Vorhaben Juncker-Plan genannt, auch er selbst verwendet den Begriff.

Regionalpolitiker und EU-Parlamentarier sind alarmiert. Beim 7. Kohäsionsforum über die Zukunft der Regionalpolitik machten sie vergangene Woche in Brüssel klar, dass der Juncker-Plan von ihnen keine Zustimmung erhalten wird. "Die Regionalpolitik der EU darf nicht abgeschafft werden, sondern muss noch stärker integriert werden. Europa muss seine soziale Politik verstärken", sagte Enrico Rossi, Präsident der Toskana.

"Ein Teil Europas würde verloren gehen"

In der italienischen Region wurden mit EU-Geldern tausende Arbeitsplätze für Jugendliche geschaffen. Der jahrelange Negativtrend der Wirtschaft konnte mit den Mitteln umgedreht werden, der Anteil herstellender Industrie wächst wieder. "Wir sagen danke Europa, aber es betrifft auch zahlreiche andere Gebiete der EU, die ohne die Gelder keine Chance haben und abgehängt werden", erklärt Rossi. Für ihn steht fest: "Ein Teil Europas würde ohne Regionalpolitik verloren gehen."

"Wir werden keine Reduktion akzeptieren, es gibt immer noch zu viele Unterschiede und Klüfte in Europa", sagt auch Mairead McGuiness, erste Stellvertreterin des Europäischen Parlamentspräsidenten. Die grüne EU-Abgeordnete Monika Vana ergänzt: "Wir wollen weiterhin eine starke Regionalförderpolitik, um Menschen in den ärmeren Gebieten Europas echte Chancen auf Arbeitsplätze zu geben und ihre Lebensqualität zu verbessern."

Vor zwei Jahren gründete Juncker den EFSI. Der Fonds soll Investitionen in ganz Europa ankurbeln, so der Plan. "Es geht um Reformen, sonst werden wir scheitern", sagt Juncker. Der Hintergrund seines Vorhabens: Die Höhe der Investitionen in der EU liegen auch knapp zehn Jahre nach Ausbruch der Wirtschaftskrise unter dem Niveau davor. Das will Juncker mit dem EFSI ändern. Anstoßen will der Präsident vor allem riskantere Projekte, die keine Finanzierung bekommen. Investoren sollen mittels finanzieller Garantien des EFSI angelockt werden. Der Deal: Scheitert das Projekt, haftet Junckers Fonds - ergo der europäische Steuerzahler. Der Investor verliert jedoch kein Geld.

Im Gegensatz zur Regionalpolitik werden also keine Zuschüsse verteilt, sondern Kredite vergeben, die – bei Erfolg - zurückgezahlt werden müssen. Bis heute wurden mit dem EFSI vor allem Projekte großer Unternehmen in reichen Staaten unterstützt, die meisten davon in Deutschland und Frankreich. Die Projekte werden von der Europäischen Investitionsbank ausgewählt. Sozialprojekte in abgehängten Regionen gibt es nicht.

Junckers unwiderstehliches Angebot

Mindestens 300 Milliarden Euro will Juncker bis zum Jahr 2023 aufstellen. Neben privaten Investoren hofft er auf die Gelder der Mitgliedsstaaten. Diese lockt er mit einem unwiderstehlichen Angebot. So sollen ihre Beiträge in den EFSI nicht für die Berechnung des Maastricht-Defizits herangezogen werden. Laut den Maastricht-Kriterien darf die Verschuldung eines Mitgliedsstaates nicht über 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Die Beiträge, die hingegen in die Regionalentwicklung fließen, bleiben sehr wohl Maastricht-relevant.

Schwer vorstellbar, dass die notorisch überschuldeten EU-Staaten weiterhin ihr Geld für die Regionalentwicklung ausgeben. Vor allem dann, wenn die derzeitige Null-Zins-Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) aufgegeben wird und der EFSI günstigere Kredite vergeben kann, als am Markt angeboten werden.

Für das EU-Parlament hätte dies schwerwiegende Auswirkungen. Die einzige vom Volk gewählte europäische Institution hat in dem Juncker-Fonds kein Mitspracherecht und würde damit massiv an Einfluss verlieren.

In der Regionalpolitik kann das Parlament zwar auch nicht entscheiden, welche Region wieviel Fördermittel bekommt. Die Kommission muss sich jedoch bei den Rahmenbedingungen mit den Abgeordneten einigen. Die Handschrift des Parlaments bei der Regionalpolitik ist daher deutlich sichtbar. So müssen etwa 20 Prozent in Klimaschutzmaßnahmen fließen und die lokalen Verwaltungen, Sozialpartner und Bürger miteingebunden werden. Zudem darf kein Cent in Atomforschung und -förderung gehen.

Daseinsberechtigung für EU-Parlament

Doch die Regionalpolitik bedeutet für die Abgeordneten mehr als ein paar erkämpfte Kompromisse mit der Kommission. Hier untermauert das Parlament seine Daseinsberechtigung in der EU. Es ist einer jener wenigen Bereiche, in denen die Bürger die Institution zu spüren bekommen. Wenn in strukturschwachen Regionen ein Krankenhaus oder eine Schule aus EU-Mitteln gebaut wird, oder Städte wie Sofia durch die Gelder ihr U-Bahnnetz vergrößern können, wenn, so wie in Malta, die Abwässer nicht mehr ins Meer fließen, sondern durch die neue Kläranlage gereinigt, die Landwirtschaft des trockenen Landes bewässern.

Bürgernähe, Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit. Was für das Parlament grundlegend ist, scheint die Kommission nicht so genau zu nehmen. Bürgernähe ist wichtig, aber die Bürger mitbestimmen lassen? Lieber nicht. Auch der hohe CO2-Ausstoß in der EU muss verringert werden. Warum denn nicht mit Atomenergie? Und sozialen Frieden gibt es dann, wenn die Konzerne gut versorgt sind und Arbeitsplätze schaffen.

Es geht um die Machtverteilung zwischen den europäischen Institutionen und auch darum, welche Ideologie sich durchsetzt. Parlament und Kommission müssen nun versuchen die Mitgliedsstaaten auf ihre Seite zu bekommen.

Die verfolgen jedoch ihr eigenes Interesse. Allen voran Deutschland und Frankreich. Die beiden einflussreichsten Mitglieder wollen eine Sicherheits- und Verteidigungsunion aufbauen. Die Kommission unterstützt sie dabei. In einem ersten Schritt soll ein Verteidigungsfonds gebildet werden. Nach 2020 könnte der Fonds über ein jährliches Budget von fünf Milliarden Euro verfügen, so der Plan.

Es gehe um die Sicherheit Europas, wird die geplante Aufrüstung von Vertretern der Mitgliedsstaaten verteidigt. Der Solidaritätsgedanke darf dabei nicht fehlen, denn gemeinsam sollen die Bürger beschützt werden, wird betont.

Die Regionalpolitik verliert in diesem Setting aber an Bedeutung. Und die Beiträge für strukturschwache Regionen dürften in Zukunft gekürzt werden.