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Irland bekommt einen auf den ersten Blick ungewöhnlichen neuen Premier: den 38-jährigen, indischstämmigen Leo Varadkar.
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Dublin/Wien. Er ist jung, schwul, indischer Abstammung - und nur auf den ersten Blick eine überraschende Wahl für den neuen Regierungschef des katholischen Irland. Die 21.000 wahlberechtigten Mitglieder der konservativen Fine Gael (FG) haben diese Woche einen neuen Parteichef gewählt - und sich für den Sozialminister Leo Varadkar entschieden. Damit wird der 38-jährige zum jüngsten Premier, den das Land je hatte.
Sein Vorgänger, Enda Kenny, war sechs Jahre lang Irlands Regierungschef, 15 Jahre führte er die Fine Gael. Am 17. Mai verkündete der 66-Jährige schließlich seinen Rückzug - nach langem Zögern. Zuvor war er monatelang wegen seines Verhaltens in einer Schmutzkampagne um einen Polizei-Whistleblower kritisiert worden.
Varadkar und sein Herausforderer, der mit 44 Jahren ebenfalls junge Wohnbauminister Simon Coveney, könnten sich kaum mehr voneinander unterscheiden. Während Varadkar äußerst neoliberal agiert, verkörpert Coveney den sanften Traditionalisten: Er kommt aus einer einflussreichen Familie aus Cork, seinen Sitz im Parlament erbte er von seinem Vater, einem erfolgreichen Unternehmer und Segler. Coveney ist verheiratet, hat drei Töchter und personifiziert den klassischen FG-Wähler. Damit steht er Kenny, der gern ungezwungen mit der ruralen Bevölkerung plaudert, deutlich näher. Hingegen mag Varadkar perfekt ins kosmopolitische Dublin passen, am Land wirkt er jedoch verloren.
Der Sohn eines indischen Einwanderers und einer Irin studierte Medizin am Dubliner Trinity College, bevor er vor zehn Jahren in die Dáil Eireann, das irische Unterhaus, einzog. 2011 ernannte ihn der neugewählte Premier Enda Kenny zum Verkehrsminister, 2014 wechselte er ins Gesundheitsressort, seit 2016 ist er Sozialminister. In die Kritik geriet Varadkar mit der Ankündigung, die Namen von Sozialbetrügern auf einer Webseite veröffentlichen zu wollen. Im Vorfeld seiner Wahl warb er damit, alle zu repräsentieren, "die früh aufstehen und hart arbeiten".
Ein modernes Gesicht,ein irischer Macron
Am 18 Jänner 2015, seinem 36. Geburtstag, outete sich Varadkar als homosexuell. Wenig später fand in Irland ein Referendum zur gleichgeschlechtlichen Ehe statt. Varadkar war bei der Yes-Kampagne ganz vorne mit dabei - und wollte sicher stellen, dass ihm später niemand vorwerfen konnte, seine persönlichen Interessen geheim gehalten zu haben. Sein Wunsch, so der Minister damals, sei es, dass das Referendum positiv ausgehe, denn erst dann wäre er ein gleichwertiger Bürger in seinem Land.
Nun mag die Wahl Varadkars zum Premier der katholischen Insel das Ausland verwundern. Es stimmt, dass ein schwuler Premier mit Migrationshintergrund vor 20 Jahren undenkbar gewesen wäre. Doch hat das einst strikt katholische Irland in den vergangenen Jahren eine rasante Wandlung durchgemacht. So haben die zahlreichen Missbrauchsfälle in der Kirche zu Massenaustritten geführt, die ehemals so einflussreiche Institution hat längst nicht mehr jene Macht, mit der sie früher Angst und Schrecken verbreitet hatte. Seinen vorläufigen Höhepunkt fand der gesellschaftliche Wandel im Referendum über die Home-Ehe 2015: Rund 62 Prozent sprachen sich dafür aus - und das in einem Land, in dem Homosexualität bis 1993 verboten war.
Nun möchten sich Irlands Konservative mit der Wahl Varadkars ein moderneres Image verpassen. Den Vergleich des Arztes mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hört man gern in der FG. Varadkar könnte neue Wähler ansprechen, die jüngeren, urbaneren. "Ich will, dass Fine Gael eine breitere Wählerschaft anlockt", sagt er in seinem Wahlvideo.
Ein weiterer Grund, wieso die Partei sich für Varadkar entschieden hat, ist, dass sie sich mit ihm bessere Chancen ausrechnet als mit dem blassen Coveney. Bei den letzten Wahlen im Februar 2016 musste die FG herbe Verluste einstecken. Seither führt sie eine fragile Minderheitsregierung mit der Duldung der ebenfalls konservativen Fianna Fáil. Durchaus möglich, dass Varadkar jetzt auf Neuwahlen hinarbeiten wird.
Während der demnächst startenden Brexit-Verhandlungen braucht Dublin eine starke Stimme. Der EU-Austritt Großbritanniens wird schwere Folgen für Irland haben - nicht nur, weil die EU-Außengrenze die Insel dann teilt, die Republik vom Norden trennt. Auch für die Wirtschaft Irlands wird der Brexit erhebliche Nachteile bringen - ausgerechnet jetzt, wo sie sich nach den Krisenjahren ein wenig erholt hatte.