Zum Hauptinhalt springen

Jung und arbeitslos

Von Margot Landl

Politik
Gerade wenn junge Erwachsene einen Job annehmen, den sie im Grunde nicht machen wollen, resultiert daraus eine "Drehtürarbeits losigkeit": Wer draußen ist, ist bald wieder drinnen.
© Jenis

Am Institut für Wirtschaftssoziologie untersuchen Wissenschafter, wie Wiener Jugendliche Arbeitslosigkeit erleben.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. "Junge Leute wollen arbeiten. Arbeit bedeutet Identität." So fasst Professor Bernhard Kittel von der Universität Wien die Ergebnisse der Langzeitstudie zusammen, die er gemeinsam mit seinen Kollegen Nadja Steiber und Monika Mühlböck im Auftrag des Sozialministeriums durchgeführt hat.

Rund 1200 junge Erwachsene zwischen 18 und 28 Jahren, die 2014 beim AMS Wien gemeldet waren, haben die Forscher befragt. Erstmals bei ihrem Eintritt, dann, nach etwa einem Jahr, ein zweites Mal. Zusätzlich wurden 36 davon interviewt, um eine persönlichere Sicht auf die Dinge zu gewinnen. Dabei zeigt sich: Die Motivation, zu arbeiten, ist unter den Befragten hoch.

"Arbeit ist zentral und bedeutet Integration in die Gesellschaft", erklärt Monika Mühlböck. "Wer nicht in das System eingebunden ist, fällt langsam aber sicher heraus". Zuerst entstehe ein Ungleichgewicht zwischen arbeitenden und arbeitslosen Personen, wobei Erstere ihre Geringschätzung vielfach auch zum Ausdruck brächten. Die Betroffenen zögen sich daraufhin aus dem sozialen Zusammenleben zurück, da ihnen außerdem die finanziellen Mittel dafür fehlen würden.

Als "latente Deprivation" bezeichnet die Forschung den Verlust von Sozialkontakten und Status. Bei der "manifesten Deprivation" kommt es schließlich auch zu Schwierigkeiten, materielle Grundbedürfnisse abzudecken. Und wer sich kaum Essen leisten kann, kann von einem Kinobesuch mit Freunden nur träumen.

Zurück nach Marienthal

Arbeit als Identität - dieser Satz erinnert an den Klassiker der modernen Sozialforschung "Die Arbeitslosen von Marienthal". Im Jahr 1930 wurde in dem niederösterreichischen Ort eine Textilfabrik geschlossen, die praktisch der Arbeitgeber des ganzen Dorfes war. Ein Team an Wiener Sozialwissenschaftern unter der Leitung von Paul Lazersfeld, Maria Jahoda und Hans Zeisel machte sich daraufhin auf, in Marienthal die Auswirkungen der plötzlichen Arbeitslosigkeit auf die Menschen und ihr Zusammenleben zu studieren. Das Besondere daran: Jede Forscherin und jeder Forscher hatte die Aufgabe, sich auch sozial im Dorf zu engagieren. So entstand eine einzigartige Feldstudie, die bis heute die sozialwissenschaftliche Forschung maßgeblich beeinflusst.

Als die Wissenschafter in Marienthal ankamen, fanden sie eine, wie sie in ihrem Buch von 1933 schreiben, "müde Gemeinschaft". Anstatt zu revolutionieren, waren die Menschen resigniert und passiv. Sie gingen langsamer, lasen weniger, einige verfielen in Alkoholismus. Insgesamt verschlechterte sich ihre körperliche und seelische Gesundheit, ein Effekt, der sich 90 Jahre später auch bei den Teilnehmern der Studie nachweisen lässt. "Die Menschen leiden an der Arbeitslosigkeit. Sie haben weniger Lebensfreude und auch weniger Vertrauen", berichtet Nadia Steiber. Diese Haltung beeinflusse sich wiederum die Arbeitssuche negativ - ein Teufelskreis. Ebenso vergleichbar ist das Bemühen, eine Tagesstruktur aufrechtzuerhalten. Viele der arbeitslosen Jugendlichen stellen sich beispielsweise den Wecker, auch wenn sie nicht aufstehen müssen.

Frühe Selektion

Etwa 117.000 Menschen waren im Oktober 2017 in Wien arbeitslos gemeldet, davon sind circa 28.000 unter 29 Jahre alt. Im Vergleich zum Vorjahr ist der Wert um 11 Prozent gesunken, die Zahl der Langzeitarbeitslosigkeit steigt allerdings seit Jahren quer durch alle Gruppen. Das zeigt auch die Studie: Mehr als 60 Prozent der Studienteilnehmer war vor der Befragung bereits zumindest einmal arbeitslos, nur ein Viertel war ein Jahr später vollständig in den Arbeitsmarkt integriert.

Für die Forscher ist vor allem die frühe Selektion im österreichischen Bildungssystem entscheidend für wiederkehrende Arbeitslosigkeit bei jungen Erwachsenen. Überproportional betroffen sind Jugendliche, die maximal einen Pflichtschulabschluss besitzen. Höhere Bildungsanforderungen, Stellenwegfall durch technologische Innovationen und Globalisierung treffen diese Gruppe am stärksten. "Gerade in Österreich zählt formale Bildung extrem viel und vererbt sich extrem stark, vor allem durch die Trennung mit zehn Jahren", erklärt Monika Mühlböck. Besonders männliche Jugendliche würden schneller "wegselektiert", wie Bernhard Kittel es ausdrückt. Hat man allerdings, wie etwa die Hälfte der Befragten, einmal eine Schule oder Ausbildung abgebrochen, steht für immer eine Narbe im Lebenslauf. Neben männlichen Jugendlichen und solche mit höchstens einem Pflichtschulabschluss sind auch Migranten überproportional von Jugendarbeitslosigkeit betroffen. Das ändert sich in Österreich - im Gegensatz zu etwa Deutschland - auch nicht mit der zweiten Generation.

"Drehtürarbeitslosigkeit"

Allerdings ist irgendein Job allein noch keine Lösung, wie die Studie zeigt. Hat ein Jugendlicher beispielsweise eine abgeschlossene Tischlerlehre und möchte auch in diesem Bereich arbeiten, wird er in einem Job als Türsteher nicht glücklich werden. "Die Motivation sinkt sogar noch im Vergleich zu der Zeit der Arbeitslosigkeit, da es zu diesem Zeitpunkt zumindest noch die Hoffnung gab, eine geeignete Stelle zu finden", erklärt Nadia Steiber.

Dazu käme, dass viele Arbeitgeber gerade Einsteiger in den Arbeitsmarkt ausnutzen würden. Zwar wäre die Dauer des Arbeitslosengeldes in Österreich relativ großzügig bemessen, um ausreichend Zeit für eine fundierte Suche zu haben. Dennoch könnte das AMS die Auszahlung reduzieren oder sperren, wenn sich der Empfänger oder die Empfängerin nicht um eine Stelle bemüht. Doch gerade wenn junge Erwachsene einen Job annehmen, den sie im Grunde nicht machen wollen, resultiert daraus eine "Drehtürarbeitslosigkeit": Wer draußen ist, ist bald wieder drinnen.